Unsere ökonomische Zukunft: Deindustrialisierung
Massenarmut wäre die Konsequenz
Gesellschaftliche Ungleichheiten hat es seit jeher gegeben, aber nur im modernen Kapitalismus sind auch die relativ Armen wohlhabend. Es ist ein Werk der freien Marktwirtschaft, wenn heute selbst Einkommensempfänger der untersten Lohngruppen sich einen Lebensstandard leisten können, von denen frühere Generationen nur träumen konnten, ja nicht einmal träumen konnten, denn vor Beginn der Industrialisierung vor etwas mehr als zweihundert Jahren konnte sich niemand vorstellen, welche Vielfalt an Gütern in welch hoher Qualität heute dem durchschnittlichen Einkommensbezieher zur Verfügung stehen würde.
Energie ist der Schlüssel zur Industrialisierung. Das Fehlen von ausreichender Energie genügt, um Deindustrialisierung auszulösen. Vor der Industrialisierung gab es außer Holz und den Gebrauch von Tieren (hauptsächlich Pferde und Rinder als Zugtiere) kaum zusätzliche Energiequellen, um die menschliche Arbeitskraft zu ergänzen. Man konnte Kohle noch nicht in großem Umfang abbauen, weil man noch nicht wusste, wie man das Grundwasser abpumpt. Die Dampfmaschine löste dieses Problem. Sie erlaubte die Förderung der Kohle aus tiefen Schächten, und der Zugang zu Kohle ermöglichte es wiederum, Dampfmaschinen in großem Ausmaß energetisch einzusetzen – in Fabriken und für den Transport. In den Werkstätten konnte man mithilfe der Dampfkraft Eisen bearbeiten. Mittels der Dampflokomotive wurden die ländlichen Räume erschlossen, mit der Dampfschifffahrt wurden die Kontinente miteinander verbunden.
Die Verbindung zwischen Kohle und der Entwicklung von Pumpen zur Grundwasserentwässerung war grundlegend für den Erfolg der industriellen Revolution. Die Kohle lieferte den notwendigen Brennstoff, während die durch eine Dampfmaschine angetriebene Pumpe einen tieferen Bergbau ermöglichte. Diese Kombination aus reichlich vorhandener Energiequelle und technologischer Innovation legte der Grundstein der industriellen Revolution, die alle vorher stattgefundenen Umwälzungen in den Schatten stellt. Die Synergie zwischen Kohle und Dampfkraft brachte Fabriken als kontinuierlich arbeitende Produktionsstätten hervor, die Güter in einem zuvor unerreichbaren Umfang produzieren konnten.
Die vorher auf lokale Räumlichkeiten weitgehend beschränkte Arbeitsteilung dehnte sich regional immer weiter aus, um schließlich die ganze Welt zu umfassen. Die Folge war ein kolossaler Anstieg der Produktivität. Steigende Produktivität bedeutet, dass mit demselben Einsatz von Arbeit und Kapital ein höherer Ertrag erwirtschaftet werden kann.
Von der gesamtwirtschaftlichen Produktivität hängt die Einkommenshöhe ab. Wenn die Produktivität sinkt, gehen die Einkommen unweigerlich zurück. Es ist eine Illusion, anzunehmen, der Staat könne diesen Verlust irgendwie ausgleichen. Die Höhe der Staatsausgaben hängt von der produktiven Wirtschaft ab, und wenn diese schrumpft, engt sich auch der Staatshaushalt ein.
Mit der Industrialisierung stieg die Lebenserwartung. Die weltweite Zunahme der Bevölkerung wäre ohne Industrialisierung nicht möglich gewesen. Deindustrialisierung bewirkt das Gegenteil. Sie bedeutet, dass die Produktivität zurückgeht. Rückgang der Produktivität aber heißt nichts anderes als Verarmung. Vor der Industrialisierung herrschte Massenelend, und entsprechend wird es als Folge einer Deindustrialisierung zur Verelendung kommen. Konkret heißt dies, dass bei einer Entindustrialisierung nur ein Bruchteil der heutigen Zahl an Menschen überleben könnte. Eine Deindustrialisierung Deutschlands würde zum Beispiel bedeuten, dass hier – wie vom Morgenthau-Plan 1944 vorgerechnet – etwa 20 Millionen Menschen überleben könnten.
Ein solcher Prozess der Entvölkerung infolge der Deindustrialisierung braucht sich nicht über einen langen Zeitraum hinziehen. Zuerst rafft es die Alten, Kranken und Schwachen hin und dann den großen Teil auch der Jungen und Gesunden. Deindustrialisierung bedeutet nicht nur, dass Luxusgüter oder die Güter des sogenannten „höheren Bedarfs“ fehlen würden. Allein schon wegen der Einschränkungen im Warenverkehr würde eine Entindustrialisierung Hungersnöte auslösen.
Energie und Handel sind der Schlüssel zum Wohlstand. Beide verbinden sich unmittelbar mit der Innovation, die den wirtschaftlichen Fortschritt bewirkt. Alle drei Faktoren gehören zusammen. Sie verstärken einander, und wenn ein Faktor fehlt, sind die anderen beiden wirkungslos. Ohne Energie kann der große Teil des Sachkapitals nicht genutzt werden. Ohne Treibstoff bleibt der Lastwagen liegen und die Fließbänder liegen still. Ohne Handel kann die Arbeitsteilung nicht bestehen bleiben. Die Arbeitsteilung geht zurück, die Produktivität sinkt. Der wirtschaftliche Fortschritt bleibt stecken.
Wir erleben derzeit, wie die Grundpfeiler der industriellen Wirtschaft auf breiter Front geschleift werden. Es fängt bei der Energie an, umfasst die Kapitalbildung und reicht bis zur Einschränkung des globalen Handels. Ohne ausreichende Energie lässt sich Deutschland als Industriestandort nicht erhalten. Ohne fortlaufende Kapitalbildung fällt der Lebensstandard, und ohne intensiven Handelsaustausch sinkt die Produktivität.
Vielen Menschen ist nicht bewusst, welche Konsequenzen Deindustrialisierung und Protektionismus nach sich ziehen. Die Ökologisten wollen das Klima „schützen“ oder sogar „retten“ und den Ausstieg aus der Atomenergie sowie den Verbrauch an Gas, Kohle und Öl drastisch limitieren oder sogar ganz verbieten. Die Geopolitiker wollen den internationalen Handel durch Sanktionen einschränken. Sowohl die USA als auch die Europäische Union greifen immer mehr zum Protektionismus. Durchwegs verlangen die etablierten Parteien höhere Steuern auf Einkommen und auf die laufenden Handelstransaktionen und fordern mehr Abgaben auf die individuelle Arbeitskraft. Die Folge ist, dass die Kapitalbildung sinkt und die nationale und internationale Arbeitsteilung zurückgeht. Die Arbeitsproduktivität fällt. Wird diesen Tendenzen nicht Einhalt geboten, wird die Weltwirtschaft in eine erneute Große Depression schlittern und man wird dafür „den Kapitalismus“ schuldig sprechen, obwohl genau das Gegenteil eines freien Kapitalismus, nämlich sozialistischer Interventionismus, die Ursache der Krise war.
Wirtschaftshistorisch betrachtet gibt es in der Weltgeschichte nur zwei Epochen: die Zeit vor und die nach der industriellen Revolution. Neben dem Zusammenwirken zwischen Kohle und Dampfkraft war als zweite Synergie noch diejenige zwischen erfinderischen Technikern beziehungsweise Handwerkern und gewinnorientierten Unternehmern für den Siegesszug der industriellen Revolution ausschlaggebend. Diese Verbindung zwischen verfügbarer Energie, Offenheit für technische Innovationen und freiem Unternehmertum ist weiterhin die Grundlage des wirtschaftlichen Fortschritts. Fehlt auch nur einer dieser drei Faktoren, ist es mit dem Wohlstand vorbei. In dieser Sicht zeigt sich, wie brisant die heutige Lage ist, denn politisch wird an allen drei Säulen gesägt: Der Wirtschaft wird die energetische Basis entzogen, die Offenheit für den wirtschaftlichen Fortschritt nimmt ab, und dem freien Unternehmertum werden immer mehr Fesseln angelegt.
Die industrielle Revolution wurde durch eine geistige Umwälzung eingeleitet. Wie vor allem Deirdre McCloskey in ihren umfangreichen Studien gezeigt hat, entstand die industrielle Revolution in einem geistigen Klima, das der aufstrebenden Bourgeoise Freiheit gewährte und dem Kommerz eine eigene Würde zusprach. Dieser kulturelle Wandel förderte Experimentierfreudigkeit und Gewinnstreben. Persönlicher Reichtum wurde als erstrebenswert anerkannt. Die Achtung der sogenannten „bürgerlichen Werte“ gab dazu den Freiraum. Dieselben Ideen waren es auch, die schließlich der Sklaverei und der Leibeigenschaft ein Ende setzten.
Um den Weg in die Knechtschaft aufzuhalten und wieder auf den Pfad zu Freiheit und Wohlstand zurückzufinden, ist der Zugang zu möglichst günstigen Energiequellen zwar eine notwendige, nicht aber schon die ausreichende Bedingung. Gleichermaßen bedeutend ist eine kulturelle Wende, die Überwindung des zerstörerischen Kulturmarxismus, der heute vor allem in seiner ökologistischen Ausprägung wirksam ist und die persönliche Freiheit und den wirtschaftlichen Wohlstand bedroht.
Deirdre Nansen McCloskey: „The Bourgeois Virtues: Ethics for an Age of Commerce“ (2007)
Antony P. Mueller: „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie“ (2021)
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