Top Spin: Christian Lindner: Die gelbe Rettung
Wie Christian Lindner auf den letzten Metern die Kurve gekriegt hat
von David Andres
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Es gibt ein legendäres Foto im Archiv von eigentümlich frei, auf dem der junge Christian Lindner mit einer Ausgabe des libertären Magazins in der Hand durch einen Flur läuft. Damals, in der Zeit, als die FDP wenigstens noch lose mit der Welt echter Freiheitsfunken zu tun hatte. Nun liegt sie in Trümmern, mit drei bis vier Prozent zu den „Sonstigen“ sortiert, und ihr Chef hat vergangene Woche die Ampel platzen lassen. Wieso das eine kluge Aktion war, ein echter „Top Spin“ in rein handwerklicher Sicht, das schauen wir uns an dieser Stelle mal an.
Führen wir uns den Hergang erneut vor Augen. Lindner schreibt ein Wirtschaftspapier, eine Art Notbremse gegen die Planwirtschaft und die erklärte Absicht der Rotgrünen, die Schuldenbremse aufzulösen. Nicht, um in Deutschland die Brücken wieder zu errichten, sondern vor allem, um mehr denn je die Ukraine zu unterstützen. Vieles aus liberaler Sicht ganz Normales steht auf den 18 Seiten. Achtzehn, ausgerechnet. Ich mache jetzt keinen Scherz mit der Nummerologie soziopathischer Nazi-Jäger, aber doch gerne einen mit den goldenen Zeiten der Partei, die 2002 unter Guido Westerwelle (1961–2016) das „Projekt 18“ ausrief. Aus Sicht der Haupstrommedien und der Luise Neubauers dieser Welt, die sich nach der Wahl von Donald Trump weinend im Bett wälzen, ist es natürlich ein Papier sozialen Kahlschlags und reinsten Sozialdarwinismus. Wir kennen das.
Das Papier „kommt raus“, gerät „ungewollt“ an die Öffentlichkeit. „Wer’s glaubt, wird selig“, sagt Richard David Precht im aktuellen Podcast mit Kumpel Markus Lanz und hat an der Stelle Recht. Der Leak ist sicher gewollt, eine Provokation, mindestens, vielleicht ein Drehbuch aller hinter den Kulissen, aber gehen wir von Ersterem aus. Der Kanzler-Olaf feuert Lindner und sendet ihm in einer Wutrede dermaßen verbittertes wie arrogantes Zeter und Mordio hinterher, dass nur beinharte Scholzianer (und natürlich die Hauptstrompresse) es so wahrnehmen, dass Scholz der Staatsmann bleibt und Lindner allein Schuld sei am Scheitern von drei Jahren „transformativer“ Planwirtschaft.
Aber der Rest?
Jeder, der noch bürgerliche Anteile in sich trägt und so gern wieder Gelb wählen würde? Der erlebt, wie hier ein Mann doch noch wahr macht, womit er einst (übrigens auch in einem November) einen Wahlkampf inhaltlich gewann, ohne in die Regierung einzuziehen: „Besser nicht regieren, als falsch.“ Lindner, so sieht es nun aus, „opfert“ sich für seine „Überzeugungen“ und somit die der FDP, die nachträglich mehr denn je als die einzige Säule von Restvernunft dasteht, die es in den drei zerstörerischen Jahren gegeben hat. Zum Schluss rammt er diese Säule noch mal mit lautem Donner in den Berliner Boden und legt damit einen Grundstein, auf dem seine Partei tatsächlich neu aufbauen kann.
Natürlich, wir haben nicht vergessen. Wir Libertäre, wir Politik-Nerds mit dem Elefantengedächtnis. Wir behalten in Erinnerung, was allein ein Justizminister Marco Buschmann alles mitgetragen hat, von den ausgehebelten Grundrechten in der „Pandemie“ bis zum sogenannten „Selbstbestimmungsgesetz“. Wir wissen, wie viele „Liberale“ damals für die Impfpflicht gestimmt oder sich enthalten haben. Wir wissen, dass die FDP nur noch so „liberal“ ist wie „Star Wars“ noch „Star Wars“, seit es von Disney erzeugt wird. Aber die Leute, die weiterhin an der Welt hinter der Brandmauer festhalten, die von einem neuen Schwarzgelb träumen und einer zweiten „geistig-moralischen Wende“ innerhalb des gewohnten Rahmens – die schöpfen nun neue Hoffnung auf eine Wiedergeburt der FDP. Vor allem, weil in der Rhetorik wie im Storytelling gilt: Das Publikum merkt sich von einer Geschichte am zweitmeisten den Anfang und am meisten das Ende. Und mit dem Ende der Ampel schließt Lindner sogar an den „Besser nicht regieren, als falsch“-Anfang an, der als letzter Glanzmoment noch vor ihr stattgefunden hatte. So erschafft er einen Rahmen aus scheinbarer Standhaftigkeit und Prinzipientreue, welcher das gesamte Dazwischen schnell vergessen machen wird. Wetten?
Quellen:
Lindners Kampfansage an die eigene Koalition (Tagesschau)
Podcast: Trump kommt, Ampel geht (Lanz & Precht)
Besser nicht regieren, als falsch (FDP)
Kommentare
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