17. Dezember 2025 06:00

Soziale Hilfe und Verantwortung Drei Stunden, hunderte Menschen und niemand hört zu

Wie der Zwangssozialstaat die Menschen unsozial macht

von Oliver Gorus drucken

Autobahnraststätte: verzweifelten Mann und seinem Sohn neben einem alten VW-Bully
Bildquelle: Redaktion Autobahnraststätte: verzweifelten Mann und seinem Sohn neben einem alten VW-Bully

Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, immer öfter und aufmerksamer auf meine innere Stimme zu hören. Meine Intuition sagte mir an diesem nasskalten Abend auf der großen Autobahnraststätte, dass von diesem Mann, der mich ansprach, keine Gefahr ausging.

Ich bin keineswegs naiv, ich meide generell Innenstädte und größere Menschenmengen und bin unter fremden Menschen stets sehr vorsichtig und immer auf der Hut, denn ich bringe Fremden nach vielen persönlichen Erfahrungen ein gesundes Misstrauen entgegen, und ich kann Kriminalstatistiken und ihre Entwicklung lesen. Aber dieser südeuropäisch aussehende Mann, etwa Mitte dreißig, mit Vollbart und einem sehr schlechten, kaum verständlichen Deutsch, war einfach nur verzweifelt. Das konnte ich sehen und spüren. Ich hielt ein wenig Abstand von ihm und scannte die unmittelbare Umgebung, schaute hinter mich, aber ich war mir sicher, dass mir keine Gefahr drohte. Also hörte ich ihm zu, während um uns herum die Leute vom Parkplatz in die Raststätte und zurück hasteten.

Der Mann war Rumäne, er hatte kein Geld mehr, der Tank seines alten VW-Bullys war leer. Sein etwa zwölfjähriger Sohn saß mit einem leeren Kanister am Fensterabsatz der Raststätte und schaute weg. Er schämte sich. Sein Vater schämte sich auch. Er hatte Tränen in den Augen, als er mir mit deutschen Wortbrocken seine Situation schilderte. Er war mit seinem Sohn auf der Raststätte gestrandet, weil er vergeblich versucht hatte, in der Schweiz, Deutschland oder Österreich irgendwo Arbeit zu finden. Er konnte dabei keinen Wohnsitz angeben, vielleicht ist er ein Zigeuner, jedenfalls fand er nirgends Arbeit und war mit seiner Mission, Geld zu verdienen, gescheitert und versuchte nun, sich wieder zurück zu seiner Familie nach Rumänien durchzuschlagen, die „auch nix Geld“ hat. So viel hatte ich verstanden.

Ich habe keine Ahnung, wie wahr oder vollständig seine Geschichte war, ich spürte nur, dass er in Not war. Die Frage, ob er zu Essen habe, bejahte er, sein akutes Problem waren die 2.000 Kilometer nach Rumänien und der leere Füllstand seines Tanks, den er mir zeigte, indem er kurz die Zündung seines Bullys auf dem Parkplatz anmachte, und den leeren Füllstand seines Portemonnaies, den er mir ebenfalls zeigte.

So weit, so gut, sowas passiert Menschen. In Europa gibt es durchaus noch absolute Armut. Menschen geraten in Not, ob unverschuldet oder weil sie Fehler gemacht haben. Und die näheren Umstände gehen mich auch nichts an. Aber als ich zur Kasse ging, um den Diesel zu bezahlen, mit dem ich ihm aushalf, sagte er einen Satz, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf ging: Seit drei Stunden versuche er, Hilfe zu finden, er habe hunderte Menschen angesprochen, aber niemand höre ihm zu. Ich sei der erste gewesen, der ihm helfe.

Vielleicht haben die Leute Angst, sagte ich. Er meinte, er würde niemals „was machen“, weil Gott ihn sonst bestrafen würde. Dann schlug er ein Kreuz, reichte mir die Hand und wünschte mir und meiner Familie Glück.

Drei Stunden, hunderte wohlhabende Menschen, und keiner hört zu.

Wo sind denn da plötzlich die klaren Mehrheiten von „guten Menschen“, die so begeistert waren, dass in den letzten zehn Jahren die von ihnen gewählten Regierungen mit den Steuergeldern ihrer Mitbürger Millionen Menschen aus armen Weltgegenden mit Gratisleistungen ins Land gelockt haben? Die wollten doch alle so „weltoffen“, so „sozial“, so „solidarisch“ sein und trugen ihre „Haltung“ wie eine Monstranz vor sich her. Aber war denn jetzt wirklich kein einziger von denen auf dieser Raststätte?

Was ich nicht akzeptieren kann: Wenn Menschen sich als gute Menschen aufplustern, weil sie glauben, der guten Partei anzuhängen und das Kreuzchen richtig zu setzen, aber gleichzeitig ein Herz aus Stein mit sich herumtragen und mit hoch erhobener Nase an Menschen in Not vorbeilaufen, um sie nicht sehen zu müssen.

Ich bin mir mittlerweile sicher, dass die Anonymisierung der sozialen Hilfe durch das staatliche Zwangssozialsystem katastrophale Folgen für die Barmherzigkeit und Großzügigkeit der Menschen hat. Das staatliche Sozialsystem lässt die Leute hart und kalt werden. Es ist einfach ethisch nicht richtig, die Wohlfahrt und Armenfürsorge an einen Zentralstaat zu delegieren, der auf der einen Seite den Produktiven so viel Geld wie möglich unter Zwang und Gewalt wegnimmt und es willkürlich und mit dem Ziel der Maximierung von Wählerstimmen und des Machterhalts umverteilt. Und es hat Folgen: Der Sozialstaat macht die Leute unsozial.

Außerdem ist er ineffektiv. Die staatlichen Ausgaben für „Soziales“ wachsen Jahr für Jahr ins Unermessliche, aber Obdachlosigkeit nimmt zu, Schulabstinenz nimmt zu, Drogenmissbrauch nimmt zu, Gewaltdelikte nehmen zu, psychische Krankheiten nehmen zu, Altersarmut nimmt zu, die Zahl der vom Staat finanziell Abhängigen nimmt zu. – Wo ist denn die Erfolgsbilanz des größten Sozialstaats der Welt?

Meine Frau ist Sozialarbeiterin, sie arbeitet seit Jahrzehnten privatwirtschaftlich-unternehmerisch im Feld der persönlichen Not und der familiären Krisen. (Ich bin übrigens maximal stolz auf sie und ihre enorm effektive Arbeit.) Dadurch bin ich sehr nahe dran an den Abgründen der Gesellschaft und sehe, was hinter der demokratischen Fassade so passiert – und zwar übrigens quer durch alle Gesellschaftsschichten von Zigeunern und Junkies über Lehrer und Ärzte bis hin zu Bürgermeistern. Was ich da unter anderem sehe, ist, dass die soziale Arbeit ein Feld für gut ausgebildete Profis ist, keine Sache für gutmenschelnde Ehrenämtler und keine Sache für besserwissende Parteipolitiker in Sozialausschüssen von Parlamenten. Soziale Arbeit darf nicht politisiert werden. Alleine deshalb gehört sie nicht auf die parteipolitische Bundesebene.

Ich sehe außerdem: Wenn die Bürger das Geld, das soziale Arbeit kostet, nicht freiwillig aufbringen, mobilisiert durch die Kirche oder die Kommune vor Ort, um die Not in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu bekämpfen, dann verlieren sie mit der Zeit ihre Caritas. Dann sehen sie keine Not mehr um sich herum. Dann handeln sie nicht mehr wie Christen, sondern glauben, dass mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel ihre „Werte“ ausreichend ausgedrückt sind.

Sind sie nicht.


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.