Krisenpolitik: Das Herumspielen mit dem Notstand
Was der Spannungsfall ganz konkret bedeuten würde
von Oliver Gorus drucken

Wie hoch ist die Drohneninzidenz denn heute? Wenn wir widerspenstigen, tagesschauabstinenten Bürger während der Coronamaßnahmenkrise eines gelernt haben sollten, dann die Erkenntnis, dass man gegen eine Massenhysterie frühzeitig den Mund aufmachen muss, um sie möglichst zu verhindern oder wenigstens zu minimieren, und in der Folge nicht verstummen darf, um den totalitären Treibern keinen Durchmarsch zu ermöglichen. Also, lassen Sie es mich ansprechen …
Merz und Söder ließen vorsorglich verbreiten, dass sie hinter den ominösen Drohnensichtungen über Flughäfen den leibhaftigen Putin im Spähflug wähnen, auch wenn es keinen einzigen Beweis dafür gibt. Gleichzeitig wurde der so genannte „Spannungsfall“ in die öffentliche Diskussion eingeschleust. Der Kriegsangstbeauftragte der CDU, Kiesewetter, hat im Interview mit dem Handelsblatt am 29. September tatsächlich gefordert, wegen der Drohnen den Spannungsfall auszurufen, damit das Abschießen der Drohnen mit „kurzen Entscheidungswegen“ und „klaren Zuständigkeiten“ gleich durch die Bundeswehr „effizient“ durchgeführt werden könne.
Der für unsere Ohren noch ungewohnte Spannungsfall erfordert einen näheren Blick. Diese Sorte Notstand ist eine Vorstufe zum Verteidigungsfall und wird im Grundgesetz durch Artikel 80a geregelt. Zwei Drittel des Bundestags müssten zustimmen, ganz praktisch also die Unseredemokratie-Parteien oder anders gesagt: alle außer der AfD.
Was könnte die Motivation für die Politiker sein, gut fünf Jahre nach der Fabrikation der Coronamaßnahmenkrise erneut einen Notstand auszurufen? Die Antwort ist vordergründig einfach: Um endlich wieder die lästigen Grundrechte einschränken und durchregieren zu können. Das hat schließlich in Berlin jede Menge Endorphine und vor allem Dopamin ausgeschüttet. Und Dopamin kann süchtig machen. Außerdem ließen sich so eine ganze Reihe von Problemen en passant lösen.
Ganz konkret sähe das so aus: Die Bundeswehr wird in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, Reservisten werden aktiviert und die so genannte „Wehrpflicht“, also der Militärzwang ohne weitere Diskussionen, wieder eingeführt. Das treffende Argument, dass die Wirtschaft die Wiedereinführung des Militärzwangs derzeit nicht verkraften würde, käme gar nicht erst zum Tragen.
Kritische Infrastruktur wie Militärbasen oder Waffenlager werden gesichert, Verteidigungsanlagen werden für den Kriegsfall vorbereitet. Die durch die Notstandsgesetze befugte Regierung kann auch Maßnahmen zur Sicherung von Treibstoff oder Nahrungsmitteln ergreifen. Mit anderen Worten: Rationierung für die Bevölkerung, um Staat und Militär zu priorisieren.
Der Zivilschutz, insbesondere das Technische Hilfswerk oder das Deutsche Rote Kreuz, werden mobilisiert, um Übungen für den Ernstfall durchzuführen und Schutzräume bereitzustellen und einzurichten. Erhöhte Polizeipräsenz im Landesinnern und verstärkte Polizeikontrollen an Bahnhöfen und Flughäfen wären weitere wahrscheinliche Maßnahmen.
Unternehmen könnten gemäß Wirtschaftssicherstellungsgesetz verpflichtet werden, ihre Produktion auf verteidigungsrelevante Güter umzustellen, beispielsweise die Herstellung von Ausrüstung oder Waffen. Panzerproduktion bei VW und Munitionsfabriken beim Bosch – das würde mehrere Fliegen mit einer Klappe erschlagen.
Neben diesem Eingriff in die Berufsfreiheit ermöglicht der Notstand wie bei den Coronamaßnahmen auch wieder die Suspendierung des Versammlungsrechts, also die Einschränkung oder das Verbot von Demonstrationen, um die öffentliche Ordnung zu sichern. Demonstrationen gegen ein AfD-Verbot oder gegen die Suspendierung von Spitzenkandidaten oder die Annullierung der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt können dann nicht stattfinden.
Auch Reisebeschränkungen oder Sperrzonen können dann wieder in Kraft treten, die Bewegungsfreiheit nach Artikel 11 GG wäre dann ausgesetzt. Genauso das Eigentumsrecht, denn beispielsweise Fahrzeuge oder Gebäude könnten dann für staatliche Zwecke requiriert werden. Viel wichtiger für die Politiker wäre aber wohl die Befugnis, die Kommunikation via Telefon oder Internet zu überwachen und einzuschränken, um Desinformation oder feindliche Propaganda zu verhindern. Chatkontrolle geräuschlos eingeführt und nie mehr wieder aufgegeben, wie die Schaumweinsteuer oder der Soli, wunderbar. Und schließlich könnten Bürger zu zivilen Diensten verpflichtet werden, etwa im Gesundheitswesen oder in der Logistik.
Dass das politisch besetzte Bundesverfassungsgericht bei alldem in die Speichen greifen würde und nach der Verhältnismäßigkeit, der Notwendigkeit oder der Wirksamkeit der Grundrechtseinschränkungen fragen würde, ist nach der grotesken Durchwinkerfahrung aus der Coronazeit nicht zu erwarten.
Auf Bundes- und Landesebene würden Krisenstäbe eingerichtet, um die Maßnahmen zu koordinieren, die nicht nur gegen Putins Phantomdrohnen helfen würden, sondern auch gegen Energieversorgungs-, Währungs-, Wirtschafts-, Schulden- und Finanzprobleme sowie natürlich auch gegen die Opposition.
Landtagswahlen würden nicht automatisch verschoben werden. Allerdings könnten logistische oder sicherheitstechnische Gründe, beispielsweise akute Gefahr für Wähler durch Drohnenangriffe, eine Verschiebung erfordern. Ein solcher Eingriff in den demokratischen Prozess müsste jedoch durch ein separates Gesetz geregelt werden, mit einer zwingenden Begründung versehen sein und der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten. Nun ja.
Laut den Erfahrungen der letzten fünf Jahre könnte die „Unseredemokratie“ mit Notstandsgesetzen wie im Spannungsfall bei gelungener Panikmache, gutem Timing und Koordination der Maßnahmen mit den Nachbarländern eine Machtübernahme der AfD durch absolute Mehrheiten in einzelnen Bundesländern genauso hinauszögern wie einen Energie-, Finanz- oder Wirtschaftskollaps. Die protestierende Opposition könnte leicht als Landesverräter und „Putinfreunde“ kriminalisiert und marginalisiert werden. Und natürlich würde die angebliche Notlage eine treffliche Begründung für die Finanzierung des Ganzen auf Pump liefern.
So könnte der Krieg in der Ukraine doch noch für die deutschen Politiker gewinnbringend und machterhaltend umgemünzt werden.
Wer vor der Coronazeit solche Spekulationen angestrengt hätte, wäre als Verschwörungstheoretiker und Panikmacher verschrieen worden. Wer sie aber nach den Erfahrungen mit Lockdown, Versammlungsverbot, 2G/3G und partiellem Impfzwang nun nicht einmal durchdenkt, ist naiv.
Naiv ist allerdings auch der Politiker, der glaubt, die neue Fürstenklasse könne machen, was sie wolle. Würde der Notstand dazu genutzt werden, AfD-Alleinregierungen in den östlichen Bundesländern zu verhindern, was mit dem Fall Kemmerich in Thüringen oder mit dem verhinderten AfD-Oberbürgermeister in Ludwigshafen ja schon ähnlich gelagerte Präzedenzfälle hätte, und würde das Bundesverfassungsgericht erneut, wie schon in der Coronamaßnahmenkrise, den Eindruck erwecken, ein bloßes Regierungslegitimierungsgremium zu sein, läge es nahe, die Ausrufung des Spannungsfalls als Versuch der Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung zu werten. Das würde dem Volk gemäß Artikel 20, Absatz 4 GG das Recht zum legitimen Widerstand geben, um Demokratie und Freiheit zu verteidigen. Ein blutiges Chaos und vielleicht ein neuer 17. Juni wären vorprogrammiert.
Darum: Mit dem Notstand spielt man nicht herum. Offensichtlich muss man Politiker heutzutage darauf hinweisen.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.