17. November 2024 06:00

(Parteien-) Demokratie Warum politische Parteien schlechte Politik machen

Der Parteienstaat ist zu einer Gefahr für Freiheit, Wohlstand und Frieden geworden

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: photocosmos1 / Shutterstock Typische empathielose Parteipolitiker moderner Prägung: Haben nur eigene Interessen im Blick

Im modernen demokratischen Staatswesen sind die politischen Parteien der wesentliche Bestandteil des Politikbetriebes. Wer nicht einer Partei zugehört, ist von politischen Entscheidungen praktisch ausgeschlossen. Das gesamte Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland ist parteilich durchsetzt. Diese parteipolitische Durchdringung des Staatsapparates reicht tief hinein in die vielen staatlichen Agenturen, die Universitäten, Staatsmedien und in die Justiz und betrifft nicht nur die Parlamente in Bund, Ländern und Gemeinden. Man muss sogar feststellen, dass der Schwerpunkt der parteipolitischen Machtentfaltung außerhalb der Parlamente stattfindet.

Die sogenannte „politische Willensbildung“ ist einseitig an die Kartellparteien gebunden. Im Parteienkampf kommen hauptsächlich Themen zur Sprache, die weit von den Nöten des Volkes entfernt sind. An die Macht gelangt, treffen die Parteien dann keine Entscheidungen im Interesse des Volkes, ja nicht einmal der eigenen Wähler. Im August 2022 erklärte die immer noch im Amt befindliche Außenministerin Annalena Baerbock in Prag, sie würde ihre Politik nach von ihr selbst bestimmten Interessen betreiben, „egal, was meine Wähler denken“.

Parteipolitik führt zur Politisierung und zur Gesellschaftsspaltung und ruft so den Dauerzustand eines schwelenden Bürgerkrieges hervor. In der Parteiendemokratie gibt es Kompromissbereitschaft, aber nur insofern, als sie dem Parteieninteresse dient und der Karriere der Nomenklatura. Entsprechend sind es keine dauerhaften oder gut ausgehandelten Vereinbarungen. Bündnisse und Koalitionen werden aufgekündigt, wenn sich die Interessenlagen verschieben.

Der Typus der modernen politischen Partei als Kampforganisation ist in der Französischen Revolution entstanden. In diesem Sinne wurde dann die Kommunistische Partei als gewaltbereite Gruppierung gegründet. Wie im Kommunistischen Manifest ausführlich dargelegt, wurde diese Partei mit dem Ziel lanciert, die bestehende bürgerliche Gesellschaftsordnung durch Abschaffung des Privateigentums, der Familie, der Religion und der Nation zu revolutionären. Gegen Ende des Ersten Weltkrieg kam es 1917 in Russland zum parteipolitischen Staatsstreich, der sogenannten Oktoberrevolution, und später (1922) zur Gründung der Sowjetunion mit dem Einparteienstaat unter alleiniger Führung der als Kaderpartei organisierten KPdSU. Unterstützt von der Sowjetunion, entstand die Kommunistische Internationale (Komintern), und die kommunistischen Parteien erlebten in den 1920er und 1930er Jahren eine weite Verbreitung, mit vielen Putschversuchen, nicht zuletzt auch in Deutschland. In vielen Ländern standen sich internationale Sozialisten (Komintern) und nationale Sozialisten (NSDAP) in einem tödlichen Kampf, der keinerlei wechselseitige Toleranz oder Kompromissbereitschaft zuließ, gegenüber. Als es dann aber zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten kam, strömten massenweise die Kommunisten in die Ränge der NSDAP.

Diese Tragödie hatte ein Vorspiel in Form der parteipolitischen Kämpfe in der sogenannten „Weimarer Republik“ (tatsächlich die erste „Berliner Republik“ – wir befinden uns derzeit in der „zweiten“). Im Zuge der Politisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens kam es zu einer extremen Aufsplitterung des Parteienspektrums, die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten endete. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei etablierte sich 1933 als die einzige „legale“ Partei. Sie verschwand 1945 mit dem Untergang des sogenannten „Dritten Reiches“. 

In der DDR lebte die Idee der „Einheitspartei“ wieder auf, während sich in Westdeutschland die Parteiengruppierungen Union und Sozialdemokraten sowie, als „Zünglein an der Waage“, die Freien Demokraten als die führenden Parteien herausbildeten. Erst seit den 1980er Jahren löste sich die Vormachtstellung der Union und der Sozialdemokraten auf. Beide Volksparteien befinden sich in einem Auflösungsprozess. Jetzt spielen hauptsächlich die Grünen die Rolle des Züngleins an der Waage und üben eine Macht aus, die weit über ihren Stimmenanteil hinausgeht. Ihre ganze Amtszeit über hat Angela Merkel praktisch grüne Politik gemacht, um im Amt zu bleiben, auch wenn damit die Anliegen weiter Teile der Bevölkerung auf der Strecke blieben. 

Je mehr Macht eine Partei gewinnt, je besser die Aussicht, eine „Regierungspartei“ zu werden, desto mehr werden die Parteimitglieder zu Apparatschiks, denen die Parteiführung als Nomenklatura gegenübersteht. Seit der Wiedervereinigung manifestiert sich diese ursprünglich für die kommunistischen Parteien geltende Unterscheidung auch im politischen System der Bundesrepublik Deutschland.

Wie ist das zerstörerische Wirken politischer Parteien zu erklären? Der dafür bestehende Mechanismus wurde hauptsächlich für die Kommunalpolitik untersucht, aber er trifft im Kern für alle Regierungspolitiken zu. Das Grundprinzip besteht darin, dass der Ruf nach dem Staat umso mehr erschallt, je schlechter es den Menschen geht. Eine Politik, die Wohlstand, Frieden und Freiheit schafft, macht sich überflüssig. Damit das Politische bleibt, muss es Wohlstandverlust und Kriegsgefahr geben. Dann lassen sich die Freiheiten einschränken und die Parteien können ihre Macht entfalten. Bei Diktaturen ist das leicht zu erkennen, aber auch für die Parteiendemokratie trifft dieser Mechanismus zu. Politische Parteien gewinnen Wahlen aufgrund utopischer Versprechungen und ergreifen Maßnahmen nach dem Wahlsieg, die zum wirtschaftlichen Niedergang führen. Dadurch verbreitern diese Parteien ihre Wählerbasis und werden wiedergewählt, was eine weitere Runde der Verarmung in Gang setzt. Dieser Prozess wurde in den USA für die Kommunalpolitik nachgewiesen und wird als „Curley Effect“ bezeichnet.

Der Curley-Effekt ist ein wirtschafts- und politikwissenschaftliches Konzept, das nach James Michael Curley, einem ehemaligen Bürgermeister von Boston, benannt wurde. Es beschreibt eine Strategie, bei der politische Führer bewusst Maßnahmen ergreifen, um ihre politische Basis zu stärken und ihre Macht zu erhalten, selbst auf Kosten des wirtschaftlichen Wohlergehens einer Stadt oder Region. Der Curley-Effekt verdeutlicht, wie politische Führer durch strategische Entscheidungen ihre Macht auf Kosten des Wohlstandes und der sozialen Stabilität einer Region erhalten können. Nicht nur in den USA leiden viele Gemeinden unter diesem Circulus vitiosus. Dasselbe Spiel lässt sich immer mehr auch für die Bundesrepublik Deutschland beobachten und betrifft nicht nur Kommunen und Länder, sondern auch die Führung der Bundesregierung.

Umverteilung in Verbindung mit antikapitalistischer Rhetorik bewirken, dass Leistungsträger abwandern oder aufhören, zur Wahl zu gehen. Damit wächst die Wählerbasis der Politik, die die Verelendung hervorgerufen hat. Die unheilstiftenden Politiker werden wiedergewählt. Dieser Prozess geschieht dann jedes Mal erneut von Wahlperiode zu Wahlperiode. Dieselben Politiker, die die Probleme verursacht haben, bieten sich als Retter an. Von der Energiekrise bis zum Migrationsproblem, von der prekären Lage im Gesundheitssystem bis zur Altersvorsorge. Wer hat diese Probleme hervorgerufen, wenn nicht dieselben Machthaber, die auch heute das Zepter in der Hand halten? 

In der Bundesrepublik Deutschland wirken die Parteien nicht nur an der politischen Willensbildung mit, wie im Grundgesetz vorgesehen, sondern wegen ihrer konzentrierten Machtfülle sind sie gleichsam zu einem „Staat im Staate“ geworden. Sie dienen als Vehikel, Macht und Pfründe für ihre führenden Mitglieder zu erringen. Dabei werden sie immer diktatorischer. Um als Kandidat aufgestellt zu werden, muss man sich in erster Linie in der Partei bewähren. Nicht das Interesse am Wohl des Volkes zählt, sondern die Durchsetzungsfähigkeit und Anbiederung innerhalb der eigenen Partei. Es ist deshalb mehr als natürlich, dass ein besonderer Typus von Parteipolitiker entsteht. Ein solcher Charaktertypus gelangt zur Spitze, bei dem besonders stark der Machttrieb wuchert und der sein spezielles Talent, andere einzuwickeln, um sie zu beherrschen, skrupellos zur Geltung bringt. Schmierer und Blender kommen zum Zug. Die Anständigen und Intelligenten machen von vornherein nicht mit. Die Verführten steigen aus oder geraten in den Sog der Maschinerie. Selbst wenn sie Karriere machen, bleiben sie Opfer.

Es ist unübersehbar, dass das Unbehagen an Staat und Politik zunimmt. Die Staats- und Politikverdrossenheit ist ein Thema, das bereits seit längerer Zeit diskutiert wird, aber in den letzten Jahren zunehmend verschärft zutage tritt. Selbst Umfragen spiegeln dies wider und zeigen, dass das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen dramatisch im Schwinden begriffen ist. Staatsverdrossenheit beziehungsweise die ihr zugrunde liegende Parteien- und Politikverdrossenheit ist zur mentalen Grundstimmung in der Bundesrepublik geworden. Als Hauptgrund für diese Unzufriedenheit mit dem eigenen Staatswesen wird in erster Linie auf die mangelnde, ja fehlende Verbindung zwischen Regierenden und Regierten verwiesen. Die Regierenden werden zunehmend als „die da oben“ empfunden, die die tatsächlichen Anliegen der Bürger vielfach ignorieren. Die Parteienoligarchen zeigen sich der Empathie unfähig und werden als engstirnige Karrieristen wahrgenommen. Der Parteienstaat ist zu einer Gefahr für Freiheit, Wohlstand und Frieden geworden.

Edward L. Glaeser und Andrei Shleifer: „The Curley Effect: The Economics of Shaping the Electorate“, The Journal of Law, Economics, & Organization, Vol. 21, No. 1 (2005)

Antony P. Mueller: „Antipolitik“ (2024)


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