Neue Ordnung in Ost- und Mitteleuropa: „Gefangen zwischen Ost und West: Deutschlands außenpolitische Irrwege“
Eine etwas andere Perspektive
von Thomas Jahn
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Eigentlich trifft die Überschrift des Vortrags nicht ganz den Kern des Problems, sondern müsste eigentlich heißen „Zerrissen zwischen Ost und West“, denn die deutsche Gesellschaft ist – nicht erst seit dem Beginn des Ukraine-Krieges – zerrissen zwischen denjenigen, die Deutschland ausschließlich in einem Westbündnis mit einer US-geführten Nato und einer transatlantisch ausgerichteten EU sehen, und jenen, die eine völlige Abkehr von dieser Politik befürworten und für eine Verständigung oder sogar ein Bündnis mit Russland eintreten. Da beide Seiten emotional agieren und sich auch medial alles auf dieses Entweder-oder fokussiert, fehlt jegliche Perspektive dafür, was aus geopolitischer und historischer Sicht einer – gewissermaßen freiheitlichen beziehungsweise natürlichen – Interessenlage dieses Landes entsprechen würde.
Um diese Interessenlage möglichst objektiv zu definieren, muss man an den historischen Ausgangspunkt des Ukraine-Kriegs und des Problems eines neuen Kalten Krieges zurückkehren, also in die Jahre 1914 und 1917:
1914 beherrschte Europa und die von Europäern in Nord- und Südamerika gegründeten Staaten den gesamten Globus mit Ausnahme weniger Länder.
Die erste These lautet daher wie folgt: Dass sich Europa oder der sogenannte Westen seit Beginn der Neuzeit aufmachen konnte, die restliche Welt zu kolonialisieren, lag am damaligen Gegenentwurf zum heutigen „EU-Staat“, denn seit dem Ende des Römischen Reiches war Europa in eine Vielzahl mittlerer und kleinerer Staaten, Territorien, nahezu herrschaftsfreier Gebilde oder teils winziger Stadtstaaten zergliedert. Während östliche Großreiche wie das chinesische Kaiserreich oder das osmanische Sultanat durch Bürokratismus und Gleichförmigkeit erlahmten, wirkte der häufig leider auch oft gewaltsam ausgetragene Wettbewerb der vielen Hundert Königreiche, Fürstentümer, Städte und Kleinstaaten dynamisierend, weil sich auf diesem europäischen Kontinent neue Ideen, neue Erfindungen oder menschliche Talente schneller ausbreiten konnten als in einem großen, behäbigen Zentralstaat.
Als der Italiener Christoph Kolumbus dem portugiesischen König seinen Plan für eine Westpassage nach Indien unterbreitete und anschließend abgewiesen wurde, brauchte er nur zum nächsten König zu gehen, um seine Idee in die Tat umsetzen zu können. Zheng He, der chinesische Kolumbus unternahm zwar schon 1405 seine erste Seereise in Richtung Indien. Da die chinesischen Kaiser aber keinen Nutzen in dieser Ausweitung des Handels oder der Entdeckung neuer, bislang unbekannter Gebiete sahen, ließen sie Zheng Hes „Schatzflotte“, bestehend aus großen Übersee-Dschunken, einfach abwracken. Zheng Hes Nachfolger konnten sich, anders als Kolumbus, nicht an andere Potentaten wenden. Im riesigen chinesischen Reich gab es keinen „Wettbewerb der Herrscher“, sondern nur einen Entscheider, nämlich den Kaiser mit seinem Hofstaat und den ihm untergebenen Berufsbeamten.
Der Abstieg einiger Staaten des Westens begann allerdings schon im 17. und 18. Jahrhundert, als die ersten europäischen Kolonialreiche ähnlich wie China oder das Osmanische Reich an Überdehnung, Zentralismus und dem fehlenden Wettbewerb der Ideen litten. Spanien und Portugal machten den Anfang.
Die zweite These lautet daher wie folgt: Russland, Frankreich und Großbritannien wären diesem Abstieg spätestens 1917 gefolgt, wären nicht die USA in den Ersten Weltkrieg eingetreten, um die drohende Niederlage der Westalliierten abzuwenden. Deutschlands Aufstieg bis 1914 beruhte im Gegensatz zur „Überdehnung“ Frankreichs, Russlands und Großbritanniens auf einem verhältnismäßig schlanken Staat, mit der Konzentration auf Handel, Wettbewerb und vor allem auf technische Innovationen, bei gleichzeitig weitgehenden Verzichts auf den teuren Aufbau und den kostspieligen Erhalt eines möglichst großen Kolonialreichs. Dieser gewissermaßen natürliche Aufstieg wurde 1917 künstlich durch die USA gestoppt, denn die USA waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts das andere erfolgreiche Gegenmodell zum zwanghaften Festhalten an imperialer Größe.
Der Friedensschluss von Versailles, der im eklatanten Widerspruch zu allen früheren europäischen Gleichgewichtsprinzipien stand (Beispiel: Wiener Kongress), sollte eine Friedensordnung festigen, deren Urheber und Garanten (Frankreich und Großbritannien) den Krieg ohne das Eingreifen der USA vermutlich 1917 verloren hätten und die nach dem Rückzug der USA aus Europa und dem Völkerbund zu schwach waren, um Europa ohne gleichberechtigte Einbeziehung Deutschlands zu dominieren. Dies beweist auch der Verlauf des Zweiten Weltkriegs, dessen Ursprung in der untauglichen Friedensordnung der Pariser Vorortverträge von 1919 und der Frage der Möglichkeit des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen lag. Aber selbst Frankreichs Niederlage 1940, innerhalb von nur sechs Wochen, und Großbritanniens Juniorrolle im Zweiten Weltkrieg ließ die politischen Funktionseliten beider Länder nach 1945 in dem Irrglauben zurück, auch diesen Krieg glorreich gewonnen zu haben. Anstatt Frieden und wiedergewonnene Freiheit für die Weiterentwicklung des Mutterlands und des eigenen Kontinents zu nutzen, führten beide Mächte anschließend weiter Kolonialkriege im Stil des 19. Jahrhunderts und reihten Niederlage an Niederlage, angefangen bei Indochina über Suez, Kenia, Malaysia, Algerien bis hin zu Zypern. Und nicht einmal diese Katastrophen verhinderten, dass nach 1960 und der Unabhängigkeit fast aller ehemaliger Kolonien mit dem Commonwealth of Nations, der Französischen Union und vor allem der westafrikanischen CFA-Franc-Zone auf Biegen und Brechen und bar jeglicher wirtschaftlicher Vernunft der Phantomschmerz des eigenen Machtverlusts künstlich verlängert und zu einer Art staatspolitischen Kunstform camoufliert wurde. Die CFA-Franc-Zone band übrigens alle ehemaligen französischen Kolonien in West- und Zentralafrika fest an die französische Währung. Als Frankreich 1999 dem Euro beitrat, mussten diese 14 afrikanischen Staaten folgen, und dies ohne Parlamentsbeschlüsse oder Volksabstimmungen. Seither sind also die ärmsten Länder der Welt im Euro gefangen – und die wirtschaftlichen Folgen sind natürlich noch viel dramatischer als für die sonst ebenfalls strukturschwachen europäischen Mitglieder Griechenland, Portugal oder Spanien. Die Bindung an den Euro ist in den betroffenen afrikanischen Ländern die Hauptursache für die Massenmigration nach Europa.
Der vorerst letzte Akt dieser destruktiven, nur an längst vergangenem Ruhm hängenden Politik war das Niederhalten Deutschlands, das 1990 nur mithilfe der ebenfalls kurz vor dem Untergang stehenden Sowjetunion und um den Preis der Errichtung eines zentralistischen, bürokratischen, ursprünglich von Paris, Brüssel und London aus gesteuerten europäischen Staates gelang. Anstatt die in friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa erkämpfte Freiheit für eine Revitalisierung des Westens durch Dezentralisierung, friedlichen Wettbewerb und Ideenvielfalt zu nutzen, wurden abgeschottete, überregulierte Märkte errichtet und wirtschaftliches Scheitern mit den aus Deutschland stammenden Steuermilliarden, durch Subventionen und einer gleichgerichtet wirkenden Inflationswährung namens Euro belohnt.
Die heutige EU ist also vor allem die Antwort auf eine Wiedergeburt eines großen deutschen Nationalstaats, der vor allem die zweimaligen Weltkriegsgewinner Frankreich und Großbritannien in den Schatten gestellt hätte. Resultat dieser „unnatürlichen Einhegung“ Deutschlands ist die Entstehung eines geopolitischen Vakuums in einer mittel- und osteuropäischen Zone, die zwar dem sowjetischen Joch entkommen war, seitdem aber ohne klare Sicherheitsperspektiven zurückblieb, was vor allem für jene Staaten gilt, die sich wie die Ukraine keinem neuen Bündnis anschließen konnten oder wollten. Für die von linken Ideologen dominierten politisch-medialen Eliten Deutschlands war eine aktive geopolitische Rolle als neue Regionalmacht in Mittel- und Osteuropa allein aus Gründen der deutschen Staatsdoktrin des „Nie wieder“ undenkbar. Zaghafte Versuche einer damals nicht-linken deutschen Regierung (Kohl – Genscher) auf Revitalisierung eines gleichberechtigten Konzerts der Mächte scheiterten, wie das Jahr 1991 beweist: Damals versuchte das frisch vereinigte Deutschland, unterstützt durch Österreich, den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien durch eine schnelle diplomatische Anerkennung zur Unabhängigkeit zu verhelfen. Die darauf reflexhaft folgenden antideutschen und antiösterreichischen Reaktionen Frankreichs, Italiens und Großbritanniens erinnerten damals nicht nur an die Frontstellungen des Ersten Weltkriegs, sondern lähmten die Handlungsfähigkeit der einzig infrage kommenden regionalen Ordnungsmächte, allen voran Deutschlands, wodurch die serbischen Aggressoren ermuntert wurden, den bis dahin blutigsten Krieg seit Ende des Zweiten Weltkriegs vom Zaun zu brechen. Der Jugoslawienkonflikt eskalierte und konnte endgültig erst 1999 durch das Eingreifen der USA beendet werden. EU-Europa war damals wie heute unfähig, Sicherheit, Konfliktprävention und -lösung in seinem eigenen Hinterhof zu gewährleisten. Auch der Ukraine-Krieg ist eine Folge des geopolitischen Missmanagements in Europa, das auf die Fehlkonstruktionen der Friedensordnungen von Versailles, Jalta und Maastricht zurückzuführen ist und zur Entstehung eines Vakuums in Mittel- und Osteuropa geführt hat.
Zwischenfazit: Aus der Krise Großbritanniens und Frankreichs wurde die Krise eines Kontinents. Europa, das der Welt die wichtigsten technischen und zivilisatorischen Errungenschaften bescherte, universelle Menschenwürde durch die Idee der Freiheit des Individuums ermöglichte und dessen kulturelles und geistiges Erbe Nachahmer in aller Welt fand, ist zu einer kleingeistigen Heimstätte für Bürokraten, Kooperatisten, Planwirtschaftler und Zensoren geworden. Der Kontinent, der 400 Jahre lang die Welt beherrschte, kann heute nicht einmal mehr seine eigenen Grenzen schützen, geschweige denn regionale Konflikte an seiner eigenen Peripherie ohne Zutun der USA lösen.
Zurück zu den Anfangsstichworten Etatismus und Zentralismus: Das rot-grüne Establishment in Deutschland unterstützt die Zentralisierung von politischer Macht und verfolgt eine angeblich wertebasierte, das heißt im Klartext ideologiegesteuerte, anachronistische und unrealistische Außenpolitik, die Abweichler und Realpolitiker mit Geschichtsbewusstsein wie Viktor Orbán oder Donald Trump verachtet. Diese ideologiegeladene Politik gegen die Wirklichkeit, mit ihrer Autosuggestion, dem zivilreligiösen rot-grünen Eifer und dem zwanghaften Zeichensetzen, den die führenden EU-Politiker seit rund 30 Jahren aufführen, ist leider auch eine der Ursachen des aktuellen Krieges in der Ukraine.
Wenden wir uns nun Russland und der Sowjetunion zu: Russland hat, wie der Friedensschluss von Brest-Litowsk vom März 1918 beweist, den Ersten Weltkrieg gegen Deutschland verloren. Der militärische Zusammenbruch war nicht nur eine Folge der beiden Umstürze des Jahres 1917, sondern auch der wirtschaftlichen und politischen Desorganisation wegen einer Überdehnung des in Wahrheit zweitgrößten Kolonialreichs der Erde. Die russische Krise, die 1905 durch die Niederlage gegen Japan begann, wurde in Wahrheit durch die kommunistische Machtübernahme noch vertieft. Nur die, vornehmlich, von dem britischen Ökonomen und Historiker Antony Sutton dokumentierte massive Wirtschaftshilfe der USA vor und nach 1941 versetzte Russland in die Lage, eigene Industriezweige aufzubauen und bis 1945 große Teile Ost- und Mitteleuropas zu besetzen.
Der rasche wirtschaftliche Zusammenbruch der Sowjetunion in den 80er Jahren, nach einer erneuten Expansionsphase (Eritrea, Angola, Afghanistan), belegt, dass die vermeintliche Supermacht ein Koloss auf tönernen Füßen war. Russland war aber auch mindestens 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion wirtschaftlich und militärisch immer noch zu schwach, um über ehemalige Teilrepubliken wie die Ukraine eine Hegemonie ausüben zu können.
Interessant ist, dass Russland ähnliche Phantomschmerzen zu plagen scheinen wie die ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. Allen drei Mächten ist gemein, dass sie sich im Abstieg befinden, Russland seit 1991 und die ehemalige „Entente“ spätestens seit ihrer Niederlage bei Dünkirchen 1940 und der Selbsttäuschung, den Zweiten Weltkrieg aus eigener Kraft gewonnen zu haben. Alle drei genannten Staaten betrauern insgeheim immer noch den Verlust ihres Kolonialreichs und damit ihrer Weltgeltung. Mächte, deren Zeit abgelaufen ist, neigen häufig zu irrationalen Aktionen. Auch Russland hat seine Kräfte überschätzt. Der Blitzkriegsplan gegen die Ukraine scheiterte und mündete in einem endlos scheinenden schrecklichen Stellungskrieg mit inzwischen Hunderttausenden Toten. Russland erinnert dabei an eine Macht, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint und die immer noch glaubt, sie könne als Sieger des Zweiten Weltkriegs Großmacht spielen. Dass dieses Land militärisch inzwischen drittklassig geworden ist, zeigt aktuell nicht nur der verzweifelte Einsatz nordkoreanischer Soldaten auf den ukrainischen Schlachtfeldern, sondern auch folgendes Gedankenexperiment: Stellen wir uns nur für einen Moment vor, nicht Russland hätte sein Nachbarland, die Ukraine überfallen, sondern die USA hätten ihren Nachbarn Mexiko mit konventionell ausgerüsteten Truppen angegriffen und Russland hätte dieses Land mit massiven Waffenlieferungen unterstützt. Wie lange hätte es wohl gedauert, bis die US-Armee das gesamte Territorium Mexikos besetzt hätte? Eine Woche? Einen Monat? Selbst skeptische Zeitgenossen würden meinen, dass es niemals länger als ein halbes Jahr gedauert hätte. Dass Russland sich nun schon fast drei Jahre in einem blutigen Stellungskrieg in der Ukraine festgefahren hat, zeigt nicht, wie stark, sondern wie schwach dieses Land in Wahrheit ist.
These drei: Die Osterweiterung der Nato war kein Akt der Stärke, sondern eine Verlegenheitslösung.
Als Ausgangspunkt für diese These wären zunächst drei wichtige Phänomene zu betrachten, die die US-Politik der letzten 100 Jahre geprägt haben:
Erstens: Alle US-Regierungen wollen wiedergewählt werden. Militärische Interventionen beruhten historisch betrachtet daher entweder auf der Einflussnahme durch bestimmte Lobbygruppen oder waren nur zu einem bestimmten Anfangszeitpunkt populär, sodass sie Wählerstimmen lieferten.
Zweitens: Eine Konstante besteht als Wiederwahl-Dilemma für jede US-Administration seit 1917: Kurzfristig konnten die US-Wähler durch geschickte Propagandakampagnen zwar immer wieder für ein Eingreifen in Europa mehrheitlich gewonnen werden. Mittel- und langfristig ist eine Mehrheit der Amerikaner aber immer wieder in der Realität aufgewacht, die auch heute wieder in etwa so lautet: Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die Amerikaner kein Verständnis mehr dafür, dass 450 Millionen Europäer in der EU immer noch nicht in der Lage sind, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Kein Amerikaner, mit Ausnahme von bestimmten Lobbygruppen, glaubt, dass die Freiheit der USA heute in der Ukraine verteidigt wird.
Drittens: Bislang hatte sich jede US-Regierung von einer früheren Intervention zurückgezogen, sobald die notwendige Zustimmung der Wähler verloren gegangen ist. Allseits bekannte Beispiele sind Korea (1953), Vietnam (1975), Irak (2011) und zuletzt Afghanistan (2021). Donald Trump gewann die US-Präsidentschaft auch erneut mit der Parole „America First“, weil er weiß, dass der Großteil der amerikanischen Wähler meint, die Europäer sollten ihre Probleme 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich selbst lösen.
Wollten die USA vor diesem Hintergrund die Osterweiterung der Nato? Definitiv nicht! Die Nato-Osterweiterung ist eine Verlegenheitslösung, die erstens auf der Weigerung der damaligen Regierung Kohl nach 1991 beruhte, geopolitische und militärische Verantwortung zu übernehmen, und zweitens auf dem Trauma der von der Sowjetunion okkupierten Staaten in Mittel- und Osteuropa und deren Angst, dass sich die Ereignisse der Jahre 1945 bis 1948, 1956 (Ungarnaufstand), 1968 (Einmarsch in die CSSR) oder 1981 (Kriegsrecht in Polen) wiederholen. Wie sollte das von Deutschland zu verantwortende Vakuum gefüllt werden? Wie sollten angesichts dieses Vakuums die Sicherheitsinteressen Polens, Ungarns, der Baltischen Staaten, Tschechiens und anderer ehemaliger Staaten des Warschauer Pakts gewahrt werden?
Die einfache Antwort lautet, dass es mangels alternativer Bündnisse eben nur die Nato gab.
Die Nato wurde und wird natürlich durch die USA dominiert, weil die einstigen Weltkriegsgewinner Frankreich und Großbritannien keine Gleichberechtigung Deutschlands akzeptierten, selbst aber zu schwach sind, um eine europäisch dominierte Ordnungsrolle in Europa auszuüben.
Wenn sich die USA aber quasi geordnet aus Europa zurückziehen wollten, ohne ein Chaos zu hinterlassen, bräuchten sie leistungsfähige Verbündete. Die traditionellen Partner der USA aus zwei Weltkriegen und der Zeit des Kalten Krieges, Großbritannien und Frankreich, kommen dafür mangels wirtschaftlicher und militärischer Bedeutung nicht infrage. Eine dauerhafte Friedensordnung in Europa ist aber nur möglich, wenn Russland sein Gesicht wahren kann. Dies müsste zu einer Lösung führen, die einen langfristigen Rückzug der Nato beinhaltet und dadurch russischen Sicherheitsinteressen gerecht wird, ohne gleichzeitig die Sicherheit der aktuellen Nato-Partner in Osteuropa, vor allem Russlands Nachbarstaaten Finnland, Polen und die Baltischen Staaten, zu gefährden. Eine solche Lösung kommt nicht ohne die Einbeziehung und militärische Aktivierung Deutschlands aus. Dazu müssten künftige US-Regierungen bereit sein, ihre wohl immer noch aus den Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkriegs stammenden Ressentiments gegen Deutschlands abzulegen. Sie müssten auch in der deutschen Innenpolitik jene politischen Multiplikatoren und medialen Akteure unterstützen, die für eine Abkehr von einer „regelbasierten“ Außenpolitik (gleich rot-grünes Wolkenkuckucksheim) und damit für eine Rückkehr zur Realpolitik eintreten. Nur wenn Träumer, Ideologen und linke Interventionisten wie Ursula von der Leyen, Annalena Baerbock oder ein Friedrich Merz, soweit er sich in der Tradition von Angela Merkel sehen sollte, die politische Bühne verlassen, sind neue Sicherheitskonzepte möglich, die Europa eine längst fällige und ehrliche Friedensordnung bringen, ohne die USA zum ständigen Ausputzer europäischen Versagens zu degradieren.
Fazit: Nato und EU müssten ihre Pläne aufgeben, die Ukraine aufzunehmen und die Integration des ohnehin schon höchst dysfunktionalen EU-Gebildes auch noch zu vertiefen. Eine neue Sicherheitszone in Mittel- und Osteuropa ist möglich, wenn das Kapitel des Zweiten Weltkriegs endlich abgeschlossen würde und die Resultate dieses Krieges, der eigentlich nur zwei Gegner kannte, akzeptiert werden würde.
Der alleinige Sieger war Washington, von dessen militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung nicht nur Großbritannien und das damals nicht existente, da besetzte Frankreich abhingen, sondern auch die Sowjetunion, die ohne die immensen Lieferungen an Waffen und Material mit ihrer Armee niemals bis nach Berlin gekommen wäre.
Der alleinige Verlierer war Deutschland, der allerdings anders als geplant weder wirtschaftlich noch geopolitisch ausgelöscht werden konnte und daher als Sicherheitsfaktor zwischen Rhein und Don theoretisch zur Verfügung stünde. Die Betonung liegt dabei auf „theoretisch“, denn weder inner- noch außerhalb der Bundesrepublik besteht die Bereitschaft, die nach 1945 und nach 1990 gemachen Fehler einzugestehen.
Einer der letzten Versuche, eine neue Ordnung in Mittel- und Osteuropa zu verwirklichen, scheiterte vor fast genau 35 Jahren: Alfred Herrhausen, Vorstandsprecher der Deutschen Bank, trieb seinen Plan einer D-Mark-dominierten osteuropäischen Entwicklungsbank voran, die natürlich ähnliche machtpolitische Wirkungen wie der Euro, der CFA-Franc oder die Dollar-dominierte Weltbank entfaltet hätte: Am 30. November 1989 wurde Alfred Herrhausen, angeblich durch die RAF, ermordet.
Diese neue Ordnung könnte ein neue, zunächst von einer neu kreierten deutschen Währung dominierte Freihandelszone sein, der alle Länder Mittel- und Osteuropas angehören, die zum einen traditionell enge wirtschaftliche Verbindungen zu Deutschland pflegen und die zum anderen Schutz vor Russland suchen. Es könnte so ein dritter Block, bestehend aus Deutschland und Ländern des ehemaligen Ostblocks sowie einiger ehemals blockfreier Staaten wie zum Beispiel Finnland und Schweden, entstehen, der zu schwach ist, um den Westen (Frankreich, Großbritannien und die Beneluxstaaten) oder Russland zu bedrohen, aber stark genug, um russische Expansionsgelüste abzuwehren. Im Westen würde eine neue kleinere EU entstehen, die sich möglicherweise noch mehrere Jahre auf ihre „Kernkompetenzen“: Besteuerung, Umverteilung und Regulierung konzentrieren könnte, bis das Geld ausgeht.
Die USA könnten sich aus Europa zurückziehen und stünden lediglich noch als Schiedsrichter bereit, falls einer der drei neuen europäischen Blöcke den Mitgliedsstaat eines anderen Blocks angreifen sollte. Die neue „mitteleuropäische Nato“ wäre als klassisches Schutz- und Trutzbündnis ausgestaltet, also nur zum Zwecke der Verteidigung, für den Fall des Angriffs auf einen Mitgliedsstaat.
Russland müsste keine übermächtige USA und keinen transatlantischen Block mehr fürchten und könnte sich auf Aktivitäten außerhalb Europas konzentrieren.
Voraussetzung für diese neue Lösung wäre aber eine Revision der europäischen Friedensschlüsse aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, weshalb sie aktuell unrealistisch scheint. Wie auch immer: Die Schlüssel für die Lösung finden wir in den USA und Deutschland.
Kommentare
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