Staatsfinanzierung: Von der Ethik der Steuerumgehung
Zum Nutzen der Allgemeinheit?
von Olivier Kessler
Wann immer es legale Anstrengungen gibt, um die Steuerlast aus Sicht des Einzelnen oder eines Unternehmens gering zu halten, lässt der Vorwurf der „Steuerumgehung“ nicht lange auf sich warten. Dieser Vorwurf wird oft aus einer angenommenen moralischen Überlegenheit heraus geäußert. Die Ankläger gehen wie selbstverständlich davon aus, das Allgemeinwohl hinter sich zu wissen. Sie sehen dabei das öffentliche Interesse geschädigt, weil für die „Allgemeinheit“ weniger Steuermittel zur Verfügung stünden, wenn Steuerumgehung betrieben würde. Steuerumgeher fügten der Allgemeinheit also einen Schaden zu. Dieser Vorwurf stellt sich bei genauem Hinsehen jedoch als komplett falsch heraus.
Um dem Irrtum auf den Grund zu gehen, müssen wir zunächst verstehen, was ein Steuerumgeher genau macht. Je weniger Steuern jemand bezahlen muss, weil er zum Beispiel bewusst eine Rechtsform oder einen steuergünstigen Standort für sein Unternehmen wählt, desto mehr Mittel bleiben ihm, um seine Projekte und Ziele zu erreichen. In einer marktwirtschaftlichen Umgebung sind profitträchtige Unternehmen, die ohne staatliche Garantien, Subventionen und andere staatliche Unterstützung Bestand haben, im Interesse der Allgemeinheit, weil es eine freiwillige Nachfrage nach den von ihnen angebotenen Gütern und Dienstleistungen gibt. Das bedeutet, dass solche Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Besserstellung anderer spielen. Denn sie würden ihr Geld nicht freiwillig hergeben, wenn sie sich davon nicht eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erhofften.
Der Staat jedoch tut dies nicht. Warum? Sämtliche Mittel, die er ausgeben kann, muss er zuvor jemandem zwangsweise wegnehmen. Das heißt, er schädigt damit jene, welchen er das Geld aus der Tasche zieht. Damit reduziert er das Wohl der Bedrohten, die das Geld unfreiwillig hergeben müssen. Indem er ausgerechnet die Erfolgreichsten überproportional besteuert, bestraft er jene, die für die Allgemeinheit das größte Wohl geschaffen haben. Anstatt zuzulassen, dass diese Produzenten ihre Gewinne im größtmöglichen Umfang reinvestieren und damit die Produkte und Dienstleistungen, die nachgewiesenermaßen von der Allgemeinheit am meisten gefragt sind, noch besser und günstiger zu machen, verhindert der Staat durch sein Intervenieren, dass das volle Potenzial ausgeschöpft werden kann. Er arbeitet also gezielt gegen das Allgemeinwohl, womit es ethisch eben geboten ist, Steuern zu vermeiden.
Natürlich gibt der Staat den Steuerzahlern auch wieder etwas zurück in Form von Sozialleistungen, Renten, Infrastruktur und so weiter. Doch diese Gegenleistungen haben a priori einen geringeren Wert für den Steuerzahler als andere prioritärere Dinge, für die er sein Geld (das ihm durch die Besteuerung abhandengekommen ist) lieber ausgegeben hätte. Wenn der Staat besser als private Unternehmer Leistungen erbringen könnte, müsste er die Steuerzahler ja nicht zum Steuerzahlen zwingen, sondern alle würden es freiwillig tun. Das tun sie aber nicht, zumindest bei Weitem nicht alle. Das zeigt, dass der Staat auch Dinge tut, welche die Steuerzahler als unnötig erachten. Der Staat verhindert damit das Schaffen von zusätzlichem Wohlstand. Er erhöht die relative Armut, verglichen mit einer Situation, in der er untätig geblieben wäre.
Dies gilt auch dann, wenn Steuergelder eingetrieben werden, um „Bedürftigen“ zu helfen. Oftmals wird argumentiert, dass dank der Zwangsumverteilung mehr konsumiert werde, weil so Bedürftige mehr Geld zum Ausgeben hätten. Dies würde den gesamtwirtschaftlichen Konsum ankurbeln, womit der Wohlstand steige. Doch diese keynesianistisch inspirierte Träumerei hält der Realität nicht stand. Eine Gesellschaft kann sich nicht „reichkonsumieren“. Ansonsten müsste man den armen Ländern einfach raten: „Gebt all eure Ersparnisse aus, konsumiert, was das Zeug hält, und ihr werdet alle steinreich.“ Es ist intuitiv leicht zu erkennen, dass ein solcher Rat widersinnig ist. Wenn man das Geld den einen raubt und es an andere gibt, die es ausgeben, so steigert man vielleicht den kurzfristigen Konsum, jedoch zulasten des längerfristigen Konsumpotenzials. Wohlstand entsteht (nebst dem Prozess der Arbeitsteilung und Spezialisierung) letztlich vor allem durch den Prozess des Sparens und Investierens. Es geht darum, die Produktivität (also die Ergiebigkeit der Produktion) zu steigern, indem man in bessere Produktionsprozesse investiert. Anstatt die Fische von Hand zu fangen, knüpft man sich ein Fischernetz (Kapital), mit dem man in der gleichen Arbeitszeit mehr Fische fangen kann. Damit man ein Fischernetz knüpfen kann, muss man sparen und investieren. Man muss sich ein paar Fische auf die Seite legen (ansparen), damit man an jenen Tagen etwas zu essen hat, an denen man das Fischernetz knüpft (also Zeit und Ressourcen investiert).
Der Staat stört diesen Prozess des Sparens und Investierens. Er nimmt den Leuten Ersparnisse durch die Besteuerung ab und reduziert damit ihr Investitionspotenzial, wodurch die Produktion künftig ergiebiger hätte werden können. Zu besteuern bedeutet, den Wohlstand von morgen zu reduzieren. Was hinzukommt ist, dass eine regelrechte Sozialindustrie zur Verteilung von Steuergeldern (Verwaltung, Sozialwerke, NGOs et cetera) entstanden ist, die selbst von diesen Umverteilungstöpfen lebt. Es kommt also bei den sogenannten Bedürftigen ein geringerer Teil an, als von den Steuerzahlern eingezogen wird. Ganz zu schweigen von den massiven Ineffizienzen, die bei staatlichen Behörden im Vergleich zum privaten Sektor entstehen, weil es beim Staat aufgrund des fehlenden Gewinnmotivs weniger Anreize gibt, Dinge besser und kosteneffizienter zu erledigen. Der Staat verschwendet relativ zum Privatsektor gesehen knappe Ressourcen und trägt damit erneut dazu bei, dass die Gesellschaft ärmer dran ist, als sie es ohne staatliches Zutun wäre.
Nun wird auch gerne behauptet, dass viele gesellschaftlich wünschenswerte Funktionen (wie zum Beispiel Medien, Kultur, Hilfe an Bedürftige et cetera) nicht mehr erfüllt würden, wenn dem Staat weniger Mittel zur Verfügung stünden. Diese Funktionen seien für das Funktionieren der Gesellschaft wichtig, weshalb es eben doch ethisch unhaltbar sei, Steuern zu umgehen. Doch auch diese Argumentationsschiene läuft ins Leere. Je mehr Steuerumgehung betrieben wird, desto mehr Geld steht Privaten zu ihrer eigenen Verwendung zur Verfügung und desto wohlhabender ist die Gesellschaft. Bei einem Wohlstand, der bei immer mehr Menschen das Existenzminimum übersteigt, können sich die Bürger immer mehr Dinge leisten. Es zeigt sich, dass die Beiträge an Hilfswerke und Kultur in relativ freien Gesellschaften ständig steigen. Denn um geben zu können, muss man zunächst einmal haben. Und je mehr die Leute haben, desto mehr profitieren auch Bereiche wie Kultur, Medien und das Soziale, zumal das alles Dinge sind, die natürlich nachgefragt werden – auch ohne staatliche Gewaltandrohung.
Im Unterschied zu den heutigen anonymen Umverteilungstöpfen würde die soziale Fürsorge in einer freien Gesellschaft persönlicher, womit auch die zwischenmenschliche Wärme einen höheren Stellenwert gewinnen würde. Auch würden jene Kulturgüter und Medienpublikationen finanziert, die den Leuten am besten gefallen und die sie daher freiwillig nachfragen. Die heute an auffällig vielen Menschen vorbeizielende, staatlich finanzierte, oftmals hässliche und sinnentleerte Kunst sowie die politiknahe Medienpropaganda hätten es in einem solchen Umfeld natürlich schwerer. Doch das wäre auch gut so. Jedenfalls ist die Behauptung falsch, dass gesellschaftlich erwünschte Funktionen nicht mehr erfüllt würden, wenn man die Leute nicht mehr zu ihrem Glück zwingen würde. Insofern richten Steuerumgeher auch in dieser Hinsicht keinen Schaden an, sondern helfen dem Staat, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und möglichst wenige Mittel zu verschwenden. Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Sie Steuern umgehen. Im Gegenteil.
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