16. Dezember 2024 16:00

Mord an Versicherungschef in New York Mit spätrömischer Dekadenz in den Neofeudalismus

Wie vor über 150 Jahren vorhergesagt entfaltet sich die dunkle Seite der Aufklärung immer weiter

von Robert Grözinger

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Bildquelle: Wikimedia Commons / Public Domain Sah den Zerfall der „aufgeklärten“ Zivilisation schon vor über 150 Jahren korrekt voraus: Fjodor M. Dostojewski

Im Fall der hinterhältigen Tötung des Chefs der privaten Krankenversicherung „United HealthCare“, Brian Thompson, in New York vor knapp zwei Wochen können wir Symptome einer zerfallenden Zivilisation erkennen: Neofeudalismus, Unbildung und Hedonismus. Im Folgenden diskutiere ich diese drei Symptome am Beispiel dieser Mordtat näher. Sie passen zu einer wachsenden Reihe von Zeichen zunehmender Verachtung seitens der westlichen Eliten – und jenen, die sich ihnen zugehörig fühlen – für ihre Mitmenschen. 

Der Westen treibt immer weiter weg von seinen Errungenschaften der Aufklärung – Anerkennung allgemeiner Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit, repräsentative Demokratie und so weiter – und ersetzt diese Stück für Stück, Schritt für Schritt, mit einer Art Neofeudalismus. Eine der Hauptursachen ist Überschätzung der Fähigkeit des Menschen zum rationalen Denken. Er ist dazu fähig, keine Frage. Aber die Überschätzung dieser Fähigkeit – die dunkle Seite der Aufklärung – führte zum Glauben an grenzenlose Gestaltbarkeit der Welt und das Recht, sich über jeden Widerstand hinwegzusetzen und dabei wortwörtlich über Leichen zu gehen.

Der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski hatte diese dunkle Seite der Aufklärung bereits vor über 150 Jahren erkannt und sie in seinen Romanen mehrfach thematisiert. In „Schuld und Sühne“ beschreibt er einen Mord, dessen Motivation und Selbstrechtfertigung durch den Täter fast deckungsgleich ist mit dem, was wir von der Tat in den USA bisher wissen.

Der Antiheld des Romans, der Student Rodion Raskolnikow, bringt eine sehr unsympathische Person um – eine Pfandleiherin. Diese lebt aus Sicht Raskolnikows „allein dafür“, wie es in der Handlungsbeschreibung bei Wikipedia heißt, „ein immer größeres Vermögen zusammenzuraffen, um es für ihr Seelenheil zu verwenden – das Vermögen soll nach ihrem Tod einem Kloster zufallen. Für Raskolnikow ist sie der Inbegriff einer ‚Laus‘, einer wertlosen Person, über deren Leben die wirklich großen Menschen hinweggehen dürfen.“

Er, ein verarmter Student, sieht sich aufgrund seiner überlegenen Intelligenz berechtigt, ein „unwertes“ Leben zu vernichten. Nachher plagt ihn sein Gewissen. Wie er damit umgeht, beschäftigt den Großteil des Romans. Die Relevanz zur tatsächlichen Tat in den USA ist, dass, wie es scheint, ein Absolvent einer Elite-Universität sich berechtigt fühlte, einen vermeintlichen „Unsympath“ einfach hinterrücks abzumurksen; der aus Sicht des Täters zwar nicht für sein Seelenheil arbeitete, aber doch, um ein „immer größeres Vermögen zusammenzuraffen“ und dabei das Leid anderer billigend in Kauf nahm.

Ein weiteres Zeichen dafür, dass wir in einen Neofeudalismus abgleiten, ist, dass die Herkunft des Opfers, anders als der aus privilegierten Verhältnissen stammende mutmaßliche Täter, das Arbeitermilieu ist, in dem er sich hochgearbeitet hatte.   

Kommen wir zum Symptom der Unbildung. Viele „antikapitalistische“ Stimmen wurden laut, die diese Tat zwar vordergründig verurteilten, aber „Verständnis“ dafür aufbrachten, da doch so viele Menschen darunter litten, dass private Krankenversicherungen nicht zahlten, wenn ihre Leistungen gebraucht werden. Dazu fand der amerikanische libertäre Autor und Podcaster Tom Woods die richtigen Worte.

In einem Newsletter vom 10. Dezember schrieb Woods: „Diese Unternehmen sind das Ergebnis von Eingriffen in den Gesundheitsmarkt, die bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückreichen.“ Die Gründe, warum der Versicherungsmarkt so „vermurkst“ ist, seien vielfältig. „Aber ein klitzekleines bisschen wichtiger als angeblich gierige Firmenchefs ist, dass das Justizministerium sie verklagen wird, wenn sie auch nur daran denken, versicherungsmathematische Tabellen zu Rate zu ziehen. Sie müssen ihre Unternehmen willkürlich führen. Das ist sogar das Gesetz.“ Dort müsse die Kritik ansetzen, nicht an den handelnden Personen.

Übrigens: Für jene, die sich über die Tatsache wundern, dass die USA die pro Kopf teuerste Gesundheitsversorgung der Welt haben, aber in Sachen Lebenserwartung nur auf Rang 42 stehen, fügte Woods zwei Tage später eine bemerkenswerte Information hinzu. Wenn man allein Menschen betrachtet, die es bis zum 70. Lebensjahr schaffen, stünden die USA weltweit an erster Stelle der Lebenserwartung. „Eine erschreckende Statistik“, schreibt Woods, „aber ich würde wetten, dass Sie noch nie davon gehört haben.“ Weiter: „Die wichtigsten Faktoren, die zur allgemein niedrigeren Lebenserwartung beitragen, sind Tötungsdelikte, Unfälle und Überdosierungen, die in den Vereinigten Staaten in ungewöhnlich hoher Zahl vorkommen und nichts mit dem Gesundheitssystem zu tun haben.“ Hinzu kämen hohe Diabetes- und Fettleibigkeitsraten, die mit Sicherheit durch die offiziellen Ernährungsrichtlinien nicht besser geworden, aber ebenfalls nicht durch das Gesundheitssystem an sich verursacht worden seien.

Mit anderen Worten: Auf dem zweiten Blick ist selbst der von Staatsinterventionen behinderte private Teil des Krankenversicherungssystems in den USA gar nicht so schlecht. Andererseits: Staatlicher Interventionismus tötet – mit oder ohne privater Krankenversicherung. 

Das Verstörendste an dem Vorgang war jedoch nicht die Tötung selbst, sondern die mehr oder weniger offenen Beifallsbekundungen von Seiten selbsternannter Antikapitalisten. Schlimmer noch: Die massenhaft bekundete Bewunderung für das „geile“ Aussehen des tatverdächtigen Italo-Amerikaners Luigi Mangione. Ein Phänomen, das Züge spätrömischer Dekadenz trägt. Vor allem, weil diese Äußerungen aus genau der Ecke kommen, die Trump-Wähler für erbärmlich hält, während der Coronakrise heftigst für Masken- und sonstigen Zwang eintrat, für das Klima in die Steinzeit zurück und für einen Regionalzwist einen dritten Weltkrieg riskieren will. Es sind, mit anderen Worten, Menschen mit elitärer Mentalität, denen das Schicksal anderer Menschen herzlichst egal ist. Schlimmer noch: Sie setzen sich nicht nur gedankenlos darüber hinweg, dass ein Ehemann und Familienvater hinterrücks ermordet wurde, sondern tanzen auch noch auf seinem Grab und feiern seinen mutmaßlichen Mörder als „geil“.

An diesem Phänomen erkennen wir weitere Auswirkungen der seit vielen Jahrzehnten sich grenzenlos ausweitenden Staatsinterventionen: Sie verunmöglichen langfristige Planung und somit solides Denken, sie fördern kurzfristiges Denken und somit hedonistisches, rein lustorientiertes, empathiebefreites Handeln. 

Staatlicher Interventionismus führt zu immer mehr Unübersichtlichkeit, Chaos, wildem, blindem Draufschlagen bis hin zum sinnlosen Mord und in der Endphase brutalen Verteilungskämpfen, in welchen jene die besten Überlebenschancen haben, die die geringsten Skrupel, den besten Zugang zu Ressourcen und die stärksten Waffen besitzen.

Quellen:

Deutsche Wikipedia-Seite über F. Dostojewskis „Schuld und Sühne“

Newsletter von Tom Woods, 10.12.2024

Newsletter von Tom Woods, 12.12.2024


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