Neomarxismus: Schleichende Revolution auf Samtpfoten
Wie Kulturmarxisten die Macht im Staate an sich reißen
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Alle politischen Kämpfe sind Kulturkämpfe. Eine politisch befriedete Gesellschaft setzt eine gemeinsame Kultur voraus. Zerbricht diese, ist der innere Frieden gestört. Mit dem Zerfall der gemeinsamen Kultur geht eine zunehmende Politisierung einher, und „das Politische“ als Kennzeichen von „Freund und Feind“ (Carl Schmitt) untergräbt das soziale Gefüge. Die Gesellschaft zerbricht, weil es keine gemeinsame Orientierung mehr gibt.
Diese Entwicklung, die heute in Deutschland offensichtlich geworden ist, ist das Werk der Kulturmarxisten. Kulturmarxismus sagt, dass die treibende Kraft hinter der sozialistischen Revolution nicht das Proletariat ist, sondern die Intellektuellen. Während der Marxismus aus der Arbeiterbewegung weitgehend verschwunden ist, blüht die marxistische Theorie derzeit in kulturellen Institutionen, in der akademischen Welt und in den Massenmedien. Viele dieser Intellektuellen erkennen allerdings nicht, dass sie nur die Rolle des „nützlichen Idioten“ spielen; tatsächlich sind sie nur Schachfiguren in einem politischen Spiel, dessen Ziel es ist, die Macht des Staates zu gewinnen. Wie in der Vergangenheit, wären sie auch in Zukunft die ersten Opfer eines fest etablierten sozialistischen Regimes.
Treffender als „Neomarxismus“ passt das Konzept des „Kulturmarxismus“, um die Ideologie zu bezeichnen, die die westliche Welt erfasst hat. Der Begriff geht auf Antonio Gramsci (1891–1937) und die Frankfurter Schule zurück. Diese Theoretiker des Marxismus erkannten, dass das Proletariat als „revolutionäres Subjekt“ nicht die erwartete historische Rolle spielen würde. Damit die sozialistische Revolution trotzdem stattfinden kann, muss sich die Bewegung daher auf die kulturellen Führer stützen. Es ist die Aufgabe der Intellektuellen, die bestehende, vor allem christliche Kultur und Moral zu untergraben und dann die orientierungslosen Massen dem Kommunismus zuzutreiben. Das Ziel dieser Bewegung ist es, eine Weltregierung zu errichten. In diesem Sinne sind die Kulturmarxisten die Fortsetzung dessen, was mit der Französischen und Russischen Revolution begonnen hat.
Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und seiner Nachwirkungen zeigte, dass das marxistische Konzept des „Proletariats“ als revolutionärer Kraft eine Illusion war. Am Beispiel der Sowjetunion konnte man auch sehen, dass der Sozialismus ohne Diktatur nicht funktionieren konnte. Diese Überlegungen führten die führenden marxistischen Denker zu dem Schluss, dass eine andere Strategie erforderlich sei, um den Sozialismus zu errichten. Kommunistische Autoren verbreiteten die Einsicht, dass die sozialistische Diktatur in Verkleidung kommen müsse. Bevor der Sozialismus Erfolg haben kann, muss sich die bestehende Kultur ändern. Die Kontrolle der Kultur muss der politischen Kontrolle vorausgehen.
Vor allem Antonio Gramsci macht in seinen Schriften deutlich, dass der Weg zur Herrschaft der Kulturmarxisten die moralische Korruption des Volkes beinhaltet. Um dies zu erreichen, dürfen die Massenmedien und die öffentliche Bildung nicht aufklären, sondern sie sollen vielmehr verwirren und die Menschen in die Irre führen. Die Medien und das Bildungsestablishment sollen daran arbeiten, den einen Teil der Gesellschaft gegen den anderen Teil aufzuhetzen. Während Gruppenidentitäten spezifischer werden, werden der Katalog der Viktimisierung und die Geschichte der Unterdrückung detaillierter. Sich in ein anerkanntes Opfer von Unterdrückung zu verwandeln, ist der Weg, um sozialen Status zu erlangen und das Recht auf besondere Unterstützung, Respekt und soziale Eingliederung zu erhalten. Der Sinn für Selbstverantwortung schwindet, je mehr sich die Opfermentalität verbreitet. Die moralische Zerstörung des Individuums ist ein notwendiger Schritt, um den endgültigen Sieg zu erringen.
Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit erzeugt einen endlosen Strom von Ausgaben, die als unentbehrlich erachtet werden – für Gesundheit, Bildung, Alter und für all die Menschen, die „bedürftig“, „verfolgt“ und „unterdrückt“ sind, sei es real oder imaginär. Die nicht enden wollende Ausgabenflut in diesen Bereichen korrumpiert die Staatsfinanzen und produziert Finanzkrisen. Das hilft den Neomarxisten, den „Kapitalismus“ aller Übel zu beschuldigen, obwohl es in Wirklichkeit der Regulierungsstaat ist, der das systemische Versagen provoziert, und es Staatsverschuldung ist, die die finanzielle Fragilität und schließlich den zwangsläufigen Kollaps verursacht.
Politik, Medien und Justiz sind emsig damit beschäftigt, die neuen endlosen Kriege zu führen. Nach außen und nach innen. Die Liste der Feinde wird täglich länger, ob Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, vermeintliche Homo- und „Transphobie“ oder Anti-Islamismus. Der Inbegriff dieser Bewegung ist die politische Korrektheit, der Kampf gegen den Bürger und gegen dessen Recht auf eigene Meinung. Die öffentliche Meinung darf nicht über die wenigen akzeptierten Positionen hinausgehen. Der Meinungskorridor wird links-grün im Sinne des Kulturmarxismus eingeengt.
Durch die falschen Maßstäbe ihrer heuchlerischen Ethik treiben die Kulturmarxisten die Gesellschaft moralisch in eine Identitätskrise. Das Ziel ist nicht mehr die „Diktatur des Proletariats“, weil dieses Projekt gescheitert ist, sondern die „Diktatur der politischen Korrektheit“, deren höchste Autorität in den Händen der Kulturmarxisten liegt. Als eine neue Klasse von Priestern herrschen die Hüter der neuen Orthodoxie über die Institutionen, deren Macht sie über alle Teile der Gesellschaft auszudehnen versuchen.
Die Gläubigen des Neomarxismus sind vor allem Intellektuelle. Schließlich sind die Arbeiter ein Teil der ökonomischen Realität des Produktionsprozesses und wissen, dass die sozialistischen Versprechungen Unsinn sind. Nirgends wurde der Sozialismus als Ergebnis einer Arbeiterbewegung etabliert. Nirgendwo waren es die Arbeiter, die den Sozialismus errichtet haben. Die Führer der sozialistischen Revolutionen waren Parteipolitiker und Militärs. Die Aufgabe der Schriftsteller und Künstler als nützliche Idioten ist darauf gerichtet, die Brutalität der sozialistischen Regime durch Artikel und Bücher, durch Filme, Musik und Malerei zu übertünchen und dem Sozialismus ein wissenschaftlich-intellektuelles, ästhetisches und moralisches Aussehen zu verpassen, also Propaganda zu betreiben und die Wahrheit zu verschweigen und zu verfälschen.
Die Kulturmarxisten wollen eine sozialistische Gesellschaft. Kommunismus ist das Endziel. Um die Massen zu täuschen, versteckt man sich hinter dem Etikett „demokratischer Sozialismus“. Die Enteignung soll nicht revolutionär, sondern schleichend erfolgen, hauptsächlich durch höhere Steuern, Sozialabgaben und immer mehr Regulierungen. Unter einem solchen Regime kann man es nicht vermeiden, die Verordnungen und Gebote zu brechen. Da es unmöglich ist, sich an alle Gesetze und Verordnungen zu halten, gibt es unter einem derartigen Regime keine unschuldigen Bürger mehr. Durchsuchung und Verhaftung werden zur Routine. Die Liquidation unbequemer Zeitgenossen gehört zum zwingenden Bestandteil der etablierten sozialistischen Herrschaft. Der Stalinismus ist keine Abweichung, sondern er ist dem Sozialismus innewohnend. Der etablierte Sozialismus, egal, welcher Art, kann ohne Gewalt nicht existieren.
Die sozialistische Utopie zieht auch in Deutschland immer noch viele Menschen an – trotz der katastrophalen Folgen an allen Orten, an denen sozialistische Systeme durchgesetzt wurden. Die Erfahrung zeigt, dass der Sozialismus mit Massenmord, Unterdrückung und wirtschaftlichem Elend einhergeht. Die Utopie des Kommunismus hat nicht nur die in ihn gesetzten Erwartungen seiner Anhänger nicht erfüllt – die Tragödie ist, dass seine Realität die schlimmsten Befürchtungen seiner Kritiker übertroffen hat. Was erschreckt, sind die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit und dass viele Menschen dieses System des Schreckens herbeigesehnt haben. Einige tun es heute noch. Alle aber müssen dafür büßen, wenn Sozialisten erlaubt wird, die Staatsmacht zu erringen.
Antony P. Mueller: „Sozialismus, Kapitalismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ (2019)
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