10. März 2025 21:00

„Sondervermögen“ Der Schluck aus der Schuldenpulle

… wird tiefer und tiefer

von Klaus Peter Krause

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Bildquelle: Design Rage / Shutterstock Der Trick mit dem Sondervermögen: 2022 gabs bereits 100 Milliarden für die Bundeswehr

Zusätzliche Staatsverschuldung wird als „Sondervermögen“ hingestellt. Das ist Schönfärberei hoch drei. Mehr noch, es ist politisch motivierte Betrügerei. Regierung, Parteien und Parlamentarier in Deutschland fügen der ohnehin schon zu hohen Staatsverschuldung weitere Möglichkeiten zur Kreditaufnahme hinzu, aber mit euphemistischer Bezeichnung verschleiert. Denn im Grundgesetz ist die staatliche Verschuldung begrenzt (Artikel 109 und 115). Beschlossen hat der Bundestag die Begrenzung 2009 und in Kraft gesetzt ist sie seit 2011. Sie läuft unter dem Namen „Schuldenbremse“. Demnach darf der Bund im Grundsatz jährlich höchstens 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung als neue Schulden aufnehmen. Diese Regel darf er nur bei außergewöhnlichen Notsituationen aussetzen. Eine solche Notsituation muss sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Von dieser Notfall-Regelung hat der Bund in den vergangenen Jahren häufiger Gebrauch gemacht.

Schlimm nur, die Pulle wird niemals leer

Die Schuldenbremse ist Politikern überaus lästig. Sehen sie doch ihre Aufgabe und Daseinsberechtigung vor allem darin, Geld auszugeben, das sie nicht haben, und für Zwecke, die nichts taugen. Oder weniger polemisch formuliert: für Zwecke, die in zu vielen Fällen unvernünftig sind oder nicht bewirken, was sie sollen, und daher Verschwendung bedeuten. In der Annahme, dem Publikum, also ihren Wählern damit zu gefallen, pflegen sie sich zu sonnen. Und das Wahlvolk lässt sich das gefallen, jedenfalls zu oft. Aber es scheint, als gefiele es ihm stets. So wird der Wunsch, die Schuldenbremse zu umgehen, übermächtig. So wird der Schluck aus der Schuldenpulle tiefer und tiefer. Schlimm nur, die Pulle wird niemals leer, sie hat keinen Boden – wie das sprichwörtliche Fass. Die Pulle heißt jetzt Sondervermögen.

Dem Koma-Saufen schon gefährlich nah

Sondervermögen klingt nicht nach Saufen aus der Pulle, sondern freundlicher. Es vermittelt den Anschein, irgendwie staatserhaltend zu sein. In Wahrheit ist es politiker-erhaltend und kommt dem Koma-Saufen schon gefährlich nah. Sondervermögen sind für Politiker Rettungsanker. Sie werfen sie aus, wenn sie vor Aufgaben stehen, die sie verbockt haben oder die unverbockt zu bewältigen sind, die sich aber mit dem regulären Staatshaus finanziell nicht mehr bewältigen lassen – vermeintlich. Ohne diese Anker gefährden sie ihre Position, die eigene und die ihrer Partei. Also werfen sie sie.

Die 500 Milliarden Sonderverschuldung der Koalitions-Sondierer Merz und Klingbeil

Das ist jüngst wieder einmal geschehen. Friedrich Merz und Lars Klingbeil haben sich auf eine Sonderverschuldung („Sondervermögen“) von 500 Milliarden Euro geeinigt – Merz für die beiden Unionsparteien CDU und CSU, Klingbeil für die SPD. Die Einigung ist ein wesentlicher Bestandteil beim Sondieren für die Regierungskoalition, die beide Parteien nach der vorgezogenen Bundestagswahl vom 23. Februar anstreben. 100 der 500 Milliarden sollen die Bundesländer erhalten. Kommen soll das viele Geld aus zusätzlicher Kreditaufnahme am Kapitalmarkt ohne Schuldenbremse, verwendet werden soll es für das Verkehrs- und Energienetz, für Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftseinrichtungen sowie für Krankenhäuser und Digitalisierung. Eingerichtet werden müssen Sondervermögen durch ein Gesetz. Um die Schuldenbremse zu umgehen, sind sie verfassungsfest zu machen. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat notwendig.

Jonglieren schon mit 900 Milliarden (und mehr)

Geplant ist aber, noch mehr Geld lockerzumachen. Zur Sonderverschuldung der 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, beschlossen 2022, soll eine weitere von 400 Milliarden Euro hinzukommen. Wahrscheinlich aber noch mehr, denn: „Es soll kein Sondervermögen für die Bundeswehr geben, sondern ein noch viel größeres Rad gedreht werden. Alle Ausgaben, die für die Verteidigung erforderlich sind und sich oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts befinden, sollen von der Schuldenbremse ausgenommen sein“ („FAZ“ vom 5. März, Seite 3). Also ohne eine Begrenzung nach oben. Der „FAZ“-Wirtschaftsteil titelte: „Merz jongliert mit 900 Milliarden“ (4. März, Seite 15). Dort finden sich auch nähere Einzelheiten, die als seriös gelten können. Das Blatt nennt das Ganze auch „Die große Schuldenunion“ (5. März, Seite 15) und „Merz’ Weg in den Schuldenstaat“ (ebenda, Seite 3). Dabei haben wir den auch längst schon ohne Merz.

Demnächst mit den neuen „Sondervermögen“ 2,7 Billionen Euro Gesamtverschuldung

Derzeit ist der Bund je nach Abgrenzung mit 1,7 Billionen Euro (Bundesfinanzministerium) oder 1,86 Billionen (Bundesbank) verschuldet. Diese Schulden muss er im laufenden Jahr mit geschätzt 33 bis 34 Milliarden Euro verzinsen. Dazu kommen die Tilgungszahlungen. Außerdem ist das Zurückzahlen fälliger Staatsanleihen zu refinanzieren, zum Teil regelmäßig durch Begeben weiterer Anleihen. Aktuell muss der Bund 400 Milliarden Euro jedes Jahr neu aufbringen – für das Umschulden fälliger Papiere und das Füllen der Finanzlücke im Haushalt. Schon im regulären Haushalt nimmt der Bund jährlich neue Schulden auf. 2025 ist eine Neuverschuldung von über 51 Milliarden Euro vorgesehen. 2024 sind es ebenfalls über 50 Milliarden Euro gewesen. Wenn zur aktuellen Schuldenlast die beiden neuen Sonderverschuldungen von wahrscheinlich rund einer Billion Euro hinzukommen, müsste der Bund – würden sie voll in Anspruch genommen – für die dann 2,7 Billionen Euro beim gegenwärtigen Zinssatz jährlich knapp 68 Milliarden Euro an Zinskosten aufbringen („FAZ“ ebenda, Seite 15). Zum Vergleich: Deutschland erwirtschaftet ein (etwas rückläufiges) Bruttoinlandsprodukt von rund 4,3 Billionen Euro. Hohe Summen für den Schuldendienst muss der Bund bereits jetzt aufwenden.

Geld ist kein Problem, Geld ist nicht knapp, aber die Aufnahmefähigkeit

Wenn solche Riesenmengen an Geld bereitgestellt werden sollen und sich durch Kreditaufnahme auch beschaffen lassen, zeigt das abermals: Geld ist kein Problem, Geld ist nicht knapp, Geld ist schier unbegrenzt verfügbar, schnell ist es bereitgestellt, nur ist es Schuldgeld. Knapp dagegen ist, zumal auf die Schnelle, etwas anderes, nämlich das, was die Schuldenpolitiker damit bezahlen wollen: Sachgüter wie Baustoffe, Maschinen, Rüstungsgüter, Transportmittel … sowie Menschen, die solche Güter herstellen und mit ihnen sachkundig umgehen können, also Handwerker, Bauarbeiter, Facharbeiter, Soldaten, Verwaltungsleute, sonstige Dienstleister …. Dann gibt es davon nicht genug und nicht schnell genug. Es fehlt auf den Märkten für so viel Geld an der Aufnahmefähigkeit. Die Nachfrage mit Geld ist größer als das Angebot an gewünschten Leistungen. Wenn Leistungen knapper sind als das Geld, steigen an freien Märkten deren Preise.

Kann das viele Geld überhaupt verbaut werden?

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat sich längst gefragt, ob die öffentlichen Auftraggeber überhaupt in der Lage sind, die nun beschlossenen Gelder geordnet und schnell an den Markt zu bringen. Mit den bisherigen langwierigen Planungsprozessen werde es scheitern. Er hat recht. Wird die Geldmenge in einer Volkswirtschaft schneller erhöht, als die Gütermenge vermehrt werden kann, führt das zum Aufblähen des Preisniveaus, Inflationierung genannt. Der Journalist Julian Reichelt hat das Problem in dem Spruch verdichtet: „400 Milliarden Euro auf die Bundeswehr sind so effektiv wie 4.000 Liter Wasser auf einen Kaktus. Die Bundeswehr ist als Organisation so am Ende, dass sie Investitionen kaum noch sinnvoll aufnehmen und umsetzen kann“ (siehe untenstehenden Link).

Politiker sind es nicht allein, die auf Sonderverschuldung drängen

Einzuräumen ist aber auch, dass unsere politische Führung diese Finanzorgie nicht nur aus Selbsterhalt lostritt, sondern auch seitens der Wirtschaft dazu ermuntert und eher sogar gedrängt wird. Es sind jene Bereiche, die sich vom staatlichen Geldsegen Impulse fürs Geschäft versprechen, darunter die Rüstungs- und Bauindustrie sowie die Deutsche Bahn. Einige Ökonomen gehören ebenfalls dazu: Clemens Fuest (Ifo-Institut), Michael Hüther (IW Köln) Moritz Schularick (IfW) und Jens Südekum (Universität Düsseldorf). In einem Positionspapier vom Juni 2024 hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die nötigen Zusatzinvestitionen der öffentlichen Hand für die Infrastruktur auf 400 Milliarden Euro innerhalb von zehn Jahren beziffert. Zur Finanzierung durch Sonderverschuldung hat er sich offen gezeigt.

Schon 29 „Sondervermögen“, die größeren kommen auf 869 Milliarden Euro

Kritisch sieht das Zunehmen der Sonderverschuldungen („Sondervermögen“) der Bundesrechnungshof. In seinem „Beratungsbericht“ an das Bundesfinanzministerium vom 23. August 2023 schreibt er, auf Bundesebene gebe es zurzeit 29 Sondervermögen. Die ältesten stammten noch aus den 1950er Jahren. 2008 wurde mit einem Sondervermögen auf die Turbulenzen am Finanzmarkt reagiert. Seit 2011 gibt es einen Energie- und Klimafonds, der mittlerweile Klima- und Transformationsfonds heißt. Umfangreiche Extratöpfe zur Stabilisierung der Wirtschaft gab es 2020 in der (vorgetäuschten) Coronavirus-Pandemie. 2021 nach der Flut in vier Bundesländern lagerte die Regierung die Kosten für den Wiederaufbau aus. 2022 sind gleich zwei neue Sondertöpfe dazugekommen: 200 Milliarden Euro, um Folgen der grün-ideologisch hochgetriebenen Energiepreise zu bewältigen, sowie 100 Milliarden zum Ertüchtigen der schlapp gesparten Bundeswehr. Allein für die aktuell bestehenden größeren Sondervermögen des Bundes beziffert der Rechnungshof den finanziellen Umfang auf zusammen rund 869 Milliarden Euro. Der weit überwiegende Teil dieser Sondervermögen sei kreditfinanziert, werthaltig nur rund ein Zehntel.

Der Bundesrechnungshof spricht von „budgetflüchtiger“ Verschuldung

Sondervermögen, so der Rechnungshof, seien größtenteils entweder ausgelagerte Schuldentöpfe oder sie hängten finanziell am „Tropf“ des kreditfinanzierten Bundeshaushaltes. Auch der Rechnungshof hält es für zutreffender, von „Sonderschulden“ als von Sondervermögen zu sprechen. Er nennt sie „budgetflüchtige“ Verschuldung. Das Grundgesetz gehe zwar ausdrücklich von der Möglichkeit aus, Sondervermögen einzurichten (Artikel 110 Absatz 1). Aber weil aus dem Haushaltsplan ausgegliedert, stellten sie eine Ausnahme von den verfassungsrechtlich bestimmten Haushaltsgrundsätzen der Vollständigkeit und Einheit des Haushaltsplans dar. Diese Grundsätze schützten vor allem das Budget-Recht des Parlamentes. Deshalb seien das Errichten und Weiterführen von Sondervermögen als budgetflüchtige Einrichtungen restriktiv zu handhaben. Kernaufgaben des Staates sollten aus dem Kernhaushalt finanziert werden.

Der Rechnungshof warnt: Ein Sondervermögen wie das für die Bundeswehr sollte sich nicht wiederholen

Der Rechnungshof konstatiert: „Die budgetflüchtigen Ausgaben der Sondervermögen und ihre ebenfalls budgetflüchtige Kreditfinanzierung gefährden das parlamentarische Budgetrecht und die Wirksamkeit der Schuldenregel. Bestehende Sondervermögen müssen deshalb regelmäßig evaluiert werden und ihre Fortführung gut begründet sein.“ Zwar habe die Bundesregierung selbst die Absicht, die Zahl und den finanziellen Umfang von Sondervermögen zu reduzieren. Die von der Bundesregierung vorgestellten Pläne reichten aber bei Weitem nicht aus, die Folgen der Entkernung des Bundeshaushalts zu beseitigen. Hierzu müssten vor allem die großen Sondervermögen, wie insbesondere der Klima- und Transformationsfonds, in den Blick genommen werden. Außerdem warnt er: Der bisher beispiellose Schritt, ein Sondervermögen für die Bundeswehr einzurichten, samt Verfassungsänderung und Ausklammern der Schuldenregel, „sollte sich nicht wiederholen“.

Obwohl noch nicht in Amt und Würden, ist der Ruf einer neuen Merz-Bundesregierung schon im Eimer

Der Rechnungshof spricht sich ausdrücklich sogar ganz gegen Sondervermögen aus. Deren Ziele und Finanzierung ließen sich auch mit dem regulären Haushalt bewerkstelligen. Und er hält fest: „Die Begründung des BMF für die Einrichtung von Sondervermögen überzeugt den Bundesrechnungshof nicht.“ Doch wie derzeit zu erleben: Die Regierenden kümmert das nicht. Es kümmert sie auch ihr Ruf nicht. Regierungen haben meist einen schlechten Ruf. Wie heißt es doch so treffend? Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert. Eben das tun sie. Auch unsere auf Koalitionstour gerade erst neu Gewählten. Obwohl noch nicht in Amt und Würden, ihr Ruf ist schon im Eimer. (Den vollständigen Bericht des Rechnungshofes im Wortlaut finden Sie in untenstehendem Link.)

Julian Reichelt (X): Wahrheiten über die Bundeswehr

Bundesrechnungshof: Sondervermögen

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog des Autors.


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