US-Handelskrieg: Die Wurzeln des donaldschen Zollhammers
Was der deutsche Liberalismus mit Trumps Zöllen zu tun hat
von Oliver Gorus
von Oliver Gorus drucken

Der bekannte Liberale Friedrich List war gerade ein knappes Jahr tot – er hatte sich, schwermütig und frustriert vom Schwund seines publizistischen und politischen Einflusses auf Deutschland, das Leben genommen –, da trafen sich am 10. Oktober 1847 im südhessischen Heppenheim im Gasthof „Zum Halben Monde“ 18 süddeutsche Liberale. Sie waren allesamt aufsässige oppositionelle Abgeordnete, die meisten aus den Kammerparlamenten von Baden und Württemberg und Einzelne aus Hessen-Darmstadt, Nassau und Preußen.
Das Treffen war eine Art Geheimtreffen, zwar nicht in Potsdam, sondern an der beschaulichen Bergstraße am Rande des Odenwalds, aber dennoch hatte ein solches privates Zusammentreffen auch damals zu Zeiten staatlicher Repression und Zensur etwas Anrüchiges, Konspiratives, was den Argwohn der Herrschenden im Deutschen Bund weckte. Die Liberalen hatten zudem die Frechheit besessen, ihre Tagungsergebnisse und gemeinsamen Forderungen öffentlich kundzutun, nämlich in der frisch gegründeten „Deutschen Zeitung“, dessen Mitherausgeber zwei der 18 Teilnehmer waren und die sich als Leitorgan des bürgerlichen Liberalismus verstand.
Die Teilnehmer kritisierten den Deutschen Bund, von dem sie nichts Konstruktives erwarteten, um die Missstände in Deutschland zu beseitigen; und entwickelten die verwegene Idee, dass der seit 14 Jahren bestehende Deutsche Zollverein das Vehikel für den deutschen Nationalstaat sein könnte. Sie sahen im Zollverein das „einzige Band gemeinsam deutscher Interessen“ und träumten von einer Übertragung der Kompetenzen von Handels-, Verkehrs-, Steuer- und Gewerbepolitik vom deutschen Bund auf den Zollverein, der ja kein multilaterales Gebilde war, sondern aus bilateralen Verträgen zwischen den einzelnen deutschen Staaten einschließlich Preußens bestand.
Sie stellten sich also eine wirtschaftsgetriebene politische Einigung im gegenseitigen Interesse vor, und dabei am liebsten gleich die großdeutsche Lösung einschließlich Österreichs. Gewählte Vertreter aus den Gliedstaaten sollten dabei mitwirken, das zwischenstaatliche Abkommen politisch zu instrumentalisieren, um endlich zur politischen Einigung und damit zum deutschen Nationalstaat zu kommen – und das ohne Revolution, also ohne Gewalt, alleine durch eine Weiterentwicklung der Institutionen.
Wer in dieser Idee eine historische Analogie zur Entwicklung und zum gesamtstaatlichen Anspruch der Europäischen Union entdeckt, liegt sicher nicht ganz falsch.
Die 18 Liberalen der Heppenheimer Tagung verbanden diese Idee mit zahlreichen bürgerlich-liberalen Forderungen, wie etwa die Abschaffung der Zensur, öffentliche Gerichtsverfahren mit Schwurgerichten, Trennung von Justiz und Verwaltung, Befreiung der Bauern von Frondiensten aus dem Mittelalter, Autonomie der Gemeinden und Einführung einer Volkswehr.
Der Forderungskatalog schlug hohe Wellen und mündete in den folgenden Monaten schließlich in die revolutionären Ereignisse der Märzrevolution und der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche.
Am Ende kam Jahre später die Reichseinigung tatsächlich, zwar nicht über die Umwandlung des Zollvereins, aber dennoch hatte dieser, zusammen mit der rasanten Entwicklung des Eisenbahnnetzes in Deutschland, die Gründung des deutschen Nationalstaats wesentlich ermöglicht. So hatte es Friedrich List vorausgesehen.
Er war eine der treibenden Kräfte des Zollvereins gewesen. Und auch seine Ideen und Vorstellungen über Zölle und Nationalökonomie, die letztlich Realität geworden sind, zeigen Parallelen zur Gegenwart und sind deshalb gerade heute wieder interessant.
Der Schwabe Friedrich List war in jungen Jahren ein glühender Liberaler, Anhänger der Theorien von Adam Smith und publizierte fleißig, was ihm Schwierigkeiten bei Regierung und König einbrachte, die umstürzlerische Aktivitäten befürchteten.
Er war auch Mitgründer des Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbevereins, des ersten Unternehmerverbands der Neuzeit, und propagierte einen deutschen Binnenmarkt mit Aufhebung der Zölle zwischen den deutschen Staaten und mit Errichtung von gemeinsamen „Vergeltungszöllen“ gegenüber ausländischen Unternehmen, zum Schutz der deutschen wirtschaftlichen Interessen – also genau die Idee von Protektionismus, die die Europäische Union heute verwirklicht hat.
Gerade mal 30 Jahre alt geworden, wurde er in den württembergischen Landtag gewählt und übte als Abgeordneter Kritik an Regierung und Verwaltung, an der Bürokratie und dem Beamtenstaat. So eine Art Schwachkopf-Affäre. Das brachte ihm die Aufhebung der parlamentarischen Immunität und eine Haftstrafe ein. Anschließend wanderte er in die USA aus.
Dort kam er mit den Ideen des ersten Finanzministers der Vereinigten Staaten, Alexander Hamilton, in Kontakt und damit mit der Amerikanischen Schule der Nationalökonomie. Und die umfasste unter anderem, jawohl: Schutzzölle. Amerikanische Unternehmer forderten 1828 die Einführung von hohen Zöllen gegenüber dem wirtschaftlich dominierenden Großbritannien, um die Interessen der einheimischen Wirtschaft zu wahren. List war begeistert von dieser Idee, die in seinem Denken das Konzept des Freihandels zum allseitigen Nutzen von Adam Smith verdrängte.
List entwickelte diesen Gedanken weiter zu seiner zentralen Idee: dem Erziehungszoll. Seiner Meinung nach sollte ein nationaler Wirtschaftsraum im Innern frei von Handelsbeschränkungen sein, sich nach außen hin aber durch hohe Zölle abschotten, solange dieser Wirtschaftsraum rückständig im Grad der Industrialisierung und noch nicht weltweit führend sei. Auch auf einzelne Branchen sei dieser Gedanke anwendbar. Im Schutze der Zollbarrieren solle sich die Branche oder das Land dann entwickeln und sobald sie oder es reif genug sei, könne man dann die Handelsbarrieren abbauen und die „erwachsene“ beziehungsweise „erzogene“ Branche die Vorteile des Freihandels ausschöpfen lassen.
Ihm war durchaus klar, dass Zölle eine Wohlstandsverringerung für die Bevölkerung bedeuteten, darum also nie im Interesse der Bürger sind, aber er wollte dies sozusagen aus strategischen Gründen in Kauf nehmen, um das Land „volkspädagogisch“ zu entwickeln – eine ganz und gar nicht libertäre, sondern eine paternalistische, etatistische Vorstellung von Liberalismus also, ganz ähnlich der heutigen FDP.
Diese paternalistische Idee der Amerikanischen Schule der Nationalökonomie, die vom Deutschen Friedrich List ausformuliert wurde, klingt ganz ähnlich wie das, was knapp 200 Jahre später Donald Trump gerade mit seinem „Zollhammer“ ins Werk setzt, was zumindest zeigt, dass diese Denke, eine temporäre Einschränkung des Wohlstands der Bevölkerung könne nationale wirtschaftliche Vorteile bei der Entwicklung eines Landes erzeugen, eine lange US-amerikanische Tradition hat.
Aber diese protektionistische Tradition steht in scharfem Gegensatz zur libertären Idee des Freihandels, wie ihn sowohl Elon Musk als auch Javier Milei propagieren. Die Amerikanische beziehungsweise die Historische Schule der Nationalökonomie einerseits und die Österreichische Schule der Nationalökonomie andererseits widersprechen hier einander vehement.
Friedrich List kehrte nach Deutschland zurück und trieb neben dem Eisenbahnbau den Zollverein des Deutschen Bunds voran, der sein Zollkonzept tatsächlich 1834 verwirklichte. Dieses Konzept ist genuin nationalistisch und markiert im Gegensatz zum libertären Freihandel sehr deutlich ein Innen und Außen: Die kollektive Identität im Innern wird durch eine scharfe Abgrenzung zum Ausland bekräftigt und gestärkt. Auch dieser identitäre Gedanke ist sehr ähnlich der „Make America Great Again-Bewegung von Donald Trump. In Deutschland hat sie zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs geführt, in den USA führt sie in den kühnsten Träumen von „The Donald“ vielleicht zur Errichtung einer neuen konstitutionellen Monarchie mit dem Erbprinzen Barron Trump. Aber ganz praktisch führt sie erst mal zu einer schwächelnden Wirtschaft, deswegen zu niedrigen Zinsen, einer darum nicht allzu teuren Umschuldung von 9,2 Billionen Dollar noch in diesem Jahr, einem stärkeren Kapitalfluss in die USA, einer mittelfristigen Stärkung des Binnenangebots, einer damit verbundenen Senkung der Preissteigerung und damit zu einer gewonnenen Wahl in den Midterms 2027. Wenn Trumps kühner Plan aufgeht.
Die Politisierung der Wirtschaft durch Zölle steckt jedenfalls in der DNA der USA, die deutschen Liberalen haben sie im 19. Jahrhundert zur nationalen Einigung eingesetzt, die EU hat sie zur Dauereinrichtung gemacht und zur Forcierung der Vereinigten Staaten von Europa eingesetzt, China hat sich das Ganze abgeschaut und die USA setzen sie nun als Machtinstrument gegen die EU und China ein. Eine lange Geschichte.
Aber vielleicht steht am Ende des neuen weltweiten Zollkriegs ja auch die Vereinigung des Westens in einer neuen Freihandelszone. Das wäre dann tatsächlich „the Art of the Deal“.
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.