25. April 2025 06:00

Krieg und Frieden – Teil 10 Im Krieg tun auch die Guten Böses

Was mich der Spanische Bürgerkrieg lehrte

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: Everett Collection / Shutterstock Guerra Civil in Spanien: Brachte viel Leid und Zerstörung auf beiden Seiten

Im Juli 1936 putschte General Franco gegen die spanische zweite Republik, um aus Spanien nach Italien, Portugal und Deutschland einen faschistischen Staat zu machen. Dabei stieß er auf heftige Gegenwehr. Nach dreieinhalb Jahren eines unerbittlichen, blutigen Bürgerkriegs siegte Franco. Italien half dem zahlenmäßig unterlegenen Franco mit Bodentruppen und der Lieferung von militärischer Ausrüstung, Deutschland gab mit der Legion Condor Luftunterstützung, in geringerem Umfang erhielt Franco Unterstützung auch von Portugal. Die Westmächte Frankreich, England und USA bewahrten strikte Neutralität. Die republikanische Seite erhielt nur Unterstützung durch Waffenlieferungen aus der UdSSR, die auch Techniker und Piloten entsandte. Die Waffen mussten allerdings bezahlt werden, was durch den Transfer der Goldreserven der Republik in die UdSSR geschah. Es wird vermutet, dass die UdSSR daraus einen satten Gewinn erzielte. Einige Zehntausend Freiwillige aus verschiedenen Ländern, die vor allem durch die Komintern (Kommunistische Internationale) rekrutiert wurden, kämpften auf der republikanischen Seite.

Die republikanische Seite setzte sich aus den regulären Streitkräften, von denen sich nur ein kleiner Teil den Putschisten angeschlossen hatte, den Anarchisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten und moskauorientierten Kommunisten zusammen. Die Anarchisten waren vor allem im agrarischen Andalusien und im industriellen Katalonien so stark, dass sie nach dem Putsch in diesen Regionen die soziale Revolution ausriefen. Anders als die Oktoberrevolution in Russland sollte diese anarchistische soziale Revolution in Spanien das Prinzip der Freiwilligkeit zur Grundlage der gesellschaftlichen Organisation machen. Beim Ausbruch des Bürgerkriegs stellten die Kommunisten keine bedeutende gesellschaftliche Kraft in Spanien dar. Dadurch, dass durch die UdSSR die einzige Unterstützung von außen erfolgte, fiel den Kommunisten nun eine Schlüsselrolle zu. Ihre Partei gewann innerhalb kürzester Zeit einen gewaltigen Zuwachs. Stalin als Führer der UdSSR war der Gedanke, dass Anarchisten, womöglich im Verbund mit den Trotzkisten, in Spanien obsiegen, weitaus widerwärtiger als ein faschistisches Spanien. So wies er seine Gefolgsleute an, vor allem hinter der Front gegen die gefürchteten Revolutionäre zu agieren. Teilweise verbündeten die Kommunisten sich zu diesem Zweck mit den bürgerlichen (sozialdemokratischen) Republikanern. Nachdem die soziale Revolution intern niedergeschlagen worden war, brach die Kampfbereitschaft der Anarchisten ein. Ganz zum Schluss des Kriegs, nachdem der Staatspräsident das Land bereits verlassen hatte und zurückgetreten war, taten sich einige Anarchisten mit konservativen Sozialdemokraten zusammen und putschten gegen die verbliebene offizielle republikanische Führung, um mit Franco im Gegenzug zur Kapitulation gewisse Autonomierechte zu erlangen. Aber es war bei Weitem zu spät für eine solche Möglichkeit des Friedensschlusses.

Schon diese arg verkürzte Skizze des Spanischen Bürgerkriegs von Juli 1936 bis April 1939 zeigt das Muster, das sich bereits in der bisherigen Analyse von modernen Kriegen zeigte: Die Konflikte sind nicht regional begrenzt, sondern ausländische politische und geostrategische Interessen spielen eine wichtige Rolle. Die Bündnispartner kann man sich meist nicht aussuchen, und schon gar nicht kann man sie nach moralischen Kriterien aussuchen. Einziges Kriterium ist die Maßgabe, der Feind meines Feindes muss mein Freund sein. Dabei nehmen die Bündnispartner je nach ihrer militärischen und wirtschaftlichen Potenz einen mehr oder weniger starken Einfluss auf die politische Struktur derjenigen Seite, die sie unterstützen. Ist der Bündnispartner hinreichend potent, kann er die von ihm unterstützte Seite völlig beherrschen und für die eigenen Zwecke instrumentalisieren.

Auch in einer weiteren Hinsicht fügt sich der Spanische Bürgerkrieg ins sich abzeichnende Muster: Im Krieg begeht auch die richtige Seite Verbrechen. Es ist völlig einerlei, welcher Seite man im Spanischen Bürgerkrieg zuspricht, moralisch im Recht gewesen zu sein – wenn man die von ihr begangenen Gräueltaten unterschlägt, begibt man sich auf das Feld der reinen Propaganda.

Diese Einsicht verdanke ich einer pädagogischen Maßnahme meines Vaters. Mein Vater war Sozialdemokrat und Pazifist. Er hatte meiner Mutter dabei geholfen, in den 1950er Jahren ein Buch über den Spanischen Bürgerkrieg zu schreiben, für das sie Interviews mit deutschen Kämpfern der internationalen Brigaden führte. Es ist völlig klar, auf welcher Seite seine politischen Sympathien lagen. Als ich Anfang der 1970er Jahre begann, mich für den Anarchismus zu begeistern und mit dem Spanischen Bürgerkrieg zu beschäftigen, las er mir in einer Nacht die Novelle „Wir sind Utopia“ von Stefan Andres (1906–1970) vor.

In der Novelle geht es um einen exkommunizierten Ex-Mönch, Paco Hernandez, der im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite Francos kämpft. Er gerät in republikanische Gefangenschaft und wird mit anderen Gefangenen in einem Nonnenkloster interniert. Der Befehlshaber der republikanischen Truppe, Leutnant Pedro Gutierrez, weiß, dass Paco Priester war und bittet ihn darum, ihm die Beichte abzunehmen und die Absolution zu erteilen. Paco seinerseits weiß, dass der Leutnant nicht nur zuvor seinen Freund ermordet hat, und zwar genau in der Zelle, in der jetzt er sitzt, sondern auch beabsichtigt, alle Gefangenen und die Nonnen zu töten, sobald er die Absolution erhalten hat. Wohl jeder kann nachvollziehen, dass Paco sich sträubt, dem Mörder seines Freundes und vermutlichen Mörder an Kriegsgefangenen und an unbeteiligten Nonnen von aller Schuld loszusprechen. Dennoch steht es ihm nicht zu, nach irdischen Kriterien zu entscheiden, wem er die Beichte abnimmt und die Absolution gewährt: In diesem Moment agiert er nicht als Mensch, sondern leiht Gott sein Ohr. Auch die Tatsache, dass er exkommuniziert ist, bietet ihm keinen Ausweg, denn das Amt des Priesters kann ihm nach der Lehre der katholischen Kirche niemand, auch nicht der Papst, wegnehmen. Paco darf nicht anders, er muss dem Leutnant die Beichte abnehmen und die Absolution gewähren. Und es kommt, wie der Leutnant es geplant hat: Alle werden getötet.

Dass es sich um literarische Fiktion handelt, macht es nicht leichter, sondern schwerer, sich gegen die Botschaft von „Wir sind Utopia“ zu wehren. Es geht nicht um ein konkretes Ereignis, dessen Faktizität man bestreiten und als faschistische Propaganda abtun könnte. Um die Botschaft von „Wir sind Utopia“ zu negieren, müsste man bestreiten, dass überhaupt solche Kriegsverbrechen von der republikanischen Seite jemals begangen wurden. Das würde sicherlich schwerfallen, wenn auch das Ausmaß der Verbrechen bis heute unklar ist. Es hilft natürlich auch nichts, darauf hinzuweisen, die faschistische Seite habe ebenfalls oder gar in weit größerem Umfang Kriegsverbrechen begangen. Man kann Opfer moralisch gesehen nicht gegeneinander aufrechnen.

Die Lektion, die mein Vater mir mit „Wir sind Utopia“ erteilte, saß und machte mich fähig, die moralische Struktur des Vietnamkriegs zu durchschauen, die ich letzte Woche behandelt habe (Teil 9). Sie machte mich auch fähig, eine andere literarische Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkriegs ohne Groll zu lesen und zu verstehen, diejenige von Ernst Jünger (1895–1998) in seinem Roman „Gläserne Bienen“ (1957). Die Hauptperson, Rittmeister Richard, ist ein Soldat durch und durch; den modernen technischen Vernichtungskrieg und Kriegsverbrechen verabscheut er aber und er stellt seine Ehre in dieser Hinsicht über seinen Gehorsam. Dementsprechend hat er keine Karriere gemacht und ist zum Zeitpunkt der Erzählung eine gescheiterte Existenz. In einer Episode erinnert der Rittmeister sich an seinen Einsatz im „Asturischen“ Bürgerkrieg, den man unschwer als Spanischen deschiffrieren kann. Einerseits hebt er die Gräueltaten der Gegenseite (keine Seite der Kriegsparteien erhält durch den Autor einen Namen, geschweige denn eine politische Konnotation) hervor und nennt ausdrücklich die Ermordung von Geistlichen. Dies hört sich fast nach einer Rechtfertigung des Franco-Putsches an. Doch andererseits weigert sich der Rittmeister, einen Befehl auszuführen, seinerseits ein Kriegsverbrechen als Vergeltung zu begehen. Ihm fehle, reflektiert der Rittmeister, „die Unbedenklichkeit des Parteigängers“. Der Autor will nicht seine eigene Sympathie für die faschistische Seite verschleiern (wir entnehmen dem Text nicht, ob er die hegte), vielmehr die kriegstreibende spiegelverkehrte Gräuelpropaganda mit gleichzeitigem Verschließen der Augen vor den eigenen Untaten aus der abstrakten geschichtlichen Situation herauslösen und in konkrete Allgemeinheit verwandeln: Moral ist der Maßstab, auch wenn eine Formulierung der Grundsätze ausbleibt (es wäre vermessen, eine solche von einem Werk der Literatur zu erwarten). Der moralische Anspruch bleibt und steht über der Karriere; die Moral steht über dem eigenen Leben. Jüngers Ambivalenz ist es, die erregt: Die Moral verliert ihren Sinn und bleibt dennoch gültiger Maßstab. Das wird man Jünger nie verzeihen.

Dennoch spüre ich immer noch den inneren Drang, eine Seite als die gute Seite zu bewahren. Als ich den gefeierten Roman „Eine Nebensache“ der palästinensischen Schriftstellerin Adania Shibli las, dessen Ausgangpunkt ist, dass 1949 israelische Soldaten ein Beduinenmädchen vergewaltigen und ermorden, war meine spontane Reaktion: Israelische Soldaten tun so etwas nicht. Doch sie tun es. Im Krieg tun auch die Guten Böses. Jede Seite ist die falsche.


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