09. Mai 2025 06:00

Krieg und Frieden – Teil 12 Die kriegerische Zerstörung uranarchistischer Stammeskultur

Was mich die Afghanistankriege lehrten

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: Tuzla / Shutterstock Afghanistankriege: Haben ihre Spuren hinterlassen

Ab Dezember 1979 rückten Truppen der UdSSR in Afghanistan ein. Es folgte ein zehnjähriger Zermürbungskrieg, der in mancherlei Hinsicht das sowjetische Pendant zum amerikanischen Vietnamkrieg (siehe Teil 9 dieser Serie) darstellt. Das Ende dieses Kriegsabschnitts fiel mit der Auflösung der UdSSR zusammen.

Wie auch der Vietnamkrieg zeigt der Afghanistankrieg, dass die von Immanuel Kant formulierte, logisch hieb- und stichfeste Bedingung des Friedens, kein Staat dürfe sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen gegen dessen Willen einmischen, sich in der Praxis viel komplexer darstellt als gedacht. Rund anderthalb Jahre vor dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan hatte dort eine Revolution stattgefunden, die freilich von der UdSSR unterstützt wurde. Bis heute ist in Afghanistan der Staat noch nicht überall etabliert; damals beschränkte sich die Souveränität des Herrschers fast ausschließlich auf die Hauptstadt. Dies versuchten die kommunistischen Revolutionäre zu verändern. Ihr Ziel war die Abschaffung von Stammesgesellschaft und Feudalismus, die Durchsetzung eines modernen, sozialistischen Verwaltungsstaats. Dies traf auf einen heftigen Widerstand der Gesellschaft, der wiederum von dem geopolitischen Gegner der UdSSR, den USA, unterstützt wurde. Ende 1979 befand sich die Regierung so sehr in Bedrängnis, dass sie die befreundete Sowjetunion um Hilfe anrief. Ist es nach dem Kant-Kriterium einem Staat erlaubt, während eines Bürgerkriegs in einem anderen Staat eine Seite zu unterstützen? Vor allem: der (völker-) rechtlich gesehen legitimen Regierung zu helfen? Eine Vorausschau: Wenn man diese Frage verneint, wäre auch jede Hilfe für die durch Russland angegriffene Ukraine unrechtmäßig (siehe Teil 15 dieser Serie).

Obwohl die USA den Widerstand in Afghanistan gegen die sowjetische Okkupation unterstützten, trug die afghanische Gesellschaft die Hauptlast des Widerstands, und dies unterstreicht die Parallele zu Vietnam. Dort hatten die UdSSR und die VR China Nordvietnam und den Vietkong unterstützt, aber nicht mit eigenen Truppen gekämpft wie die USA auf der Seite Südvietnams. Doch während die USA den verlorenen Krieg in Vietnam und die innere Opposition gegen den Krieg wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich überstanden, wenn auch mit Ach und Krach, ging die aufgrund ihrer Planwirtschaft bedeutend schwächere UdSSR an dem Krieg in Afghanistan zugrunde oder, genauer gesagt: ging sie an ihm schneller zugrunde, als sie es ohne ihn gegangen wäre.

Was den Krieg in Afghanistan besonders machte, war die gesellschaftliche Struktur eines der letzten Völker ohne zentrale Herrschaft. 1842 hatten die Afghanen dem britischen Kolonialreich eine bittere Niederlage beschert, die die Afghanen bis 1979 vor weiteren Invasionsversuchen bewahrte. Einer der beiden Fälle, in denen ein Volk sich dem Kolonialismus militärisch erfolgreich entziehen konnte. Der andere Fall waren die Jívaro in Südamerika, die die Spanier 1599 besiegten, als sie sich, nach anfänglich freundlichen Handelsbeziehungen, gegen Besteuerungsversuche wehrten. Wie die Afghanen waren die Jívaro ein Volk ohne zentrale Herrschaft.

Für die USA stellte die teils quasi-anarchistische, teils frühfeudalistische, ethnologisch „segmentäre“ genannte Stammeskultur in Afghanistan ebenso ein Problem dar wie für die UdSSR. Die USA wünschten sich einen zentral hierarchisch organisierten Bündnispartner sowohl gegen die UdSSR als auch in Frontstellung zum aufstrebenden Iran. In Persien hatte 1980 eine Revolution gegen den Schah zur Etablierung der islamischen Republik Iran geführt, die die mit dem Schah verbündeten USA als ihren Hauptfeind ausmachte. Trotz des Splits zwischen Schiiten und Sunniten strebte Iran eine Führungsrolle in den islamischen Staaten an und versuchte, das Machtvakuum zu besetzen, das die rasant schwächer werdende UdSSR hinterließ. In dieser Situation trafen die Militärs und Geheimdienste der USA eine folgenschwere Entscheidung: Sie wählten als Bündnispartner eine Gruppe von sunnitischen Islamisten, die es von dem damals lose mit den USA verbündeten Pakistan aus unternahmen, erstens die UdSSR zu bekämpfen, zweitens die afghanische Gesellschaft einem straffen Islamismus zu unterwerfen und drittens den Einfluss des schiitischen Iran zu minimieren. Der Name der Organisation: Taliban. Die afghanische Gesellschaft war zum großen Teil islamisiert, aber der in Afghanistan praktizierte Islam hatte sich bis dahin an die Stammeskultur angepasst, nicht umgekehrt. Die Stammeskultur Afghanistans stand nun drei Feinden gegenüber: der UdSSR, den Taliban/USA und dem Iran.

Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 entbrannte der Bürgerkrieg in Afghanistan, denn der Widerstand gegen die UdSSR war uneinheitlich und von gegensätzlichen Interessen gekennzeichnet. Die Taliban triumphierten 1996, aber nicht im ganzen Land. Der Bürgerkrieg ging weiter und es gelang den Taliban zu keinem Zeitpunkt, das ganze Land unter Kontrolle zu bringen, wie es bis dahin keinem Zentralstaat gelungen war. Trotz der Unterstützung, die die USA den Taliban während des Kriegs gegen die UdSSR gegeben hatten, wandten die Taliban sich von den USA ab und betrieben eine Politik des Islamismus. Die USA fühlten sich um den Sieg betrogen.

Am 11. September 2001 stürzte in den USA, New York, das World Trade Center ein und es kamen fast dreitausend Menschen um. Ohne auf die Hintergründe einzugehen, ist für den Fortgang der Geschichte nur wichtig, dass die USA, nachdem sie den islamistischen Terroristen Osama bin Laden, Gründer der mit den Taliban verbündeten Organisation al-Qaida, als Drahtzieher des Anschlags identifiziert hatten, den Krieg gegen den Terror ausriefen. Alles an den Vorgängen rund um den 11. September 2001 inklusive der Täterschaft von Osama bin Laden ist umstritten (obgleich er die Anschläge nachweislich rechtfertigte), und es ist hier nicht der Ort, dazu Stellung zu nehmen. Die USA forderten von der afghanischen Regierung die Auslieferung Osama bin Ladens, der sich dort aufhielt. Die afghanische Regierung lehnte ab. Daraufhin intervenierten die USA in Afghanistan und versuchten, mit Unterstützung anderer Nato-Länder (darunter auch Deutschland), ein Regime nach westlichem Muster zu errichten. Ihre Gegner waren die Taliban, die sie einst gepampert hatten. Ebenso wie die USA in Vietnam und die UdSSR in Afghanistan gingen die amerikanischen Militärs bar jeder Rücksicht auf die einheimische Kultur vor. Zwanzig Jahre und viele Tote später mussten sie aufgeben, um das Land erneut den Taliban zu überlassen.

Etwas ist tröstlich in dem ganzen Elend, das die Kriegsmaschinerien der UdSSR, der USA und der islamistischen Staaten in Afghanistan (und nicht nur dort) anrichteten: Auch Supermächte können nicht beliebig schalten und walten. Im negativen Sinne gelungen ist in den Afghanistankriegen nur eins, nämlich die völlige Zerstörung der afghanischen Stammeskultur.

An den Afghanistankriegen wird erneut das Muster deutlich, das sich in diesen Untersuchungen zu Krieg und Frieden bisher abzeichnete: Die regionalen Kriege sind spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg nicht wirklich regional. Es mischen die globalen Player mit, in unterschiedlichen Koalitionen; aber egal, wie die Koalitionen aussehen: Beide Seiten sind zutiefst unmoralisch. Die Möglichkeit eines moralisch zu rechtfertigenden gerechten Kriegs, wie Thomas von Aquin sie im 13. Jahrhundert skizziert hatte (siehe Teil 6 dieser Serie), ist nicht oder zumindest unter den seit hundert Jahren herrschenden geopolitischen Bedingungen nicht mehr gegeben. Die Logik der Verbündung treibt dazu, sich mit solchen Parteien zusammenzutun, deren Moralität in Zweifel steht. Die Logik des Kriegs treibt dazu, Mittel einzusetzen, die moralisch nicht zu rechtfertigen sind. Sich mit einem moralischen Maßstab auf eine Seite zu stellen, gelingt nur dann, wenn man die Augen vor deren Verbrechen verschließt und die Verbrechen nur auf die Gegenseite projiziert. Es bleibt dabei: Jede Seite ist die falsche.


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