18. Mai 2025 06:00

Leben ohne staatliche Gängelung Mehr Kapitalismus und Freiheit

... aber wie?

von Antony P. Mueller drucken

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Bildquelle: Ivan Marc / Shutterstock 15-Minuten-Städte als moderne Freiluftgefängnisse: Das Gegenmodell zu den Freistädten

Wenn man Kapitalismus als freie Marktwirtschaft definiert, gibt es ihn nicht. Nirgendwo existiert unbegrenzt der Markt. Es gibt keine staatsfreien Gebiete mehr auf der Welt. Überall haben sich Staaten festgesetzt. Es ist üblich, den Staat als den Träger gesetzlicher Gewalt zu definieren. Als solche wenden Staaten Gewalt sowohl gegen die eigenen Bürger wie gegen andere Staaten an. Besteuerung und Krieg sind dauerhaft Kennzeichen der staatlichen Gewalt.

Je nachdem, wie sehr die Regierung in den Markt und in das Leben der Bürger eingreift, gibt es Abstufungen. So gibt es Länder, die freiheitlicher und kapitalistischer als andere sind, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gibt es nur noch einige wenige Länder, die systematisch den Markt und die Freiheit unterdrücken. Ganz den Kapitalismus aufheben war auch im Sozialismus nicht möglich. In einer vollkommen sozialistischen Wirtschaft könnten die Menschen nicht überleben. Die vormaligen kommunistischen Länder in Osteuropa brachen nur deshalb nicht rasch zusammen, weil erhebliche Anteile auch unter den kommunistischen Regierungen marktwirtschaftlich funktionierten und die Länder des kommunistischen Blocks trotz des Regimeunterschieds mit dem Westen vielfach verbunden waren.

Allerdings ist die aktuelle Klassifikation eines Landes als mehr oder weniger kapitalistisch nicht der entscheidende Punkt. Worauf es ankommt, ist, in welche Richtung sich die jeweilige Nation bewegt. Hier lässt sich die Regel aufstellen, dass der Wohlstand steigt, je kapitalistischer ein Land wird, und das Land umso ärmer wird, je mehr es sich in Richtung Sozialismus bewegt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich hier grundlegende Richtungsbewegungen abgezeichnet.

Dass der Lebensstandard umso mehr steigt, je weniger sozialistisch ein Land ist, zeigt das Beispiel China. Seine Führung hat in den 1990er Jahren erkannt, dass man mit einer sozialistischen Wirtschaft für immer ein armes Entwicklungsland bleiben würde. Um sein Land aus der Armut herauszuführen, hat Staatschef Deng Xiaoping ab 1978 zügig marktwirtschaftliche Reformen in Gang gesetzt. Seine Strategie bestand darin, abgegrenzte Teile des Landes fast ganz der marktwirtschaftlichen Ordnung zu überlassen und in diesen Gebieten die staatlichen Eingriffe zu minimieren. China in seiner Gesamtheit ist nicht kapitalistisch geworden. Man hat auch keine Mischwirtschaft eingeführt, sondern Teile des Landes für den Kapitalismus freigegeben. Während die Kommunistische Partei die Fäden in der Hand behielt, wurden Teile des Landes so sehr entstaatlicht, dass sich dort fast anarchokapitalistische Strukturen herausbilden konnten.

Der unmittelbare Erfolg gab dieser Initiative recht und im Vollzug der Reformpolitik wurden immer mehr Gebiete der Marktwirtschaft übergeben. Als Folge dieser Entwicklung wurde die Kommunistische Partei Chinas kapitalistisch unterwandert. Ein großer Teil der Parteifunktionäre denkt in marktwirtschaftlichen Kategorien und handelt prokapitalistisch. In mancherlei Hinsicht ist heute die Volksrepublik kapitalistischer als viele Länder im Westen, nicht nur in den freien Handelszonen. Der wirtschaftliche Erfolg Chinas ist dem freien Kapitalismus zuzuschreiben. In weniger als einem halben Jahrhundert ist aus China eine Volkswirtschaft geworden, die in der Wirtschaftsleistung dabei ist, den Vereinigten Staaten den Rang abzulaufen beziehungsweise diese, gerechnet in Kaufkraft, schon überholt hat.

Während China seit den 1990er Jahren immer kapitalistischer wurde, fand in Europa und sogar in den USA das Gegenteil statt. In Europa und den USA herrscht immer weniger eine freie Marktwirtschaft, sondern Staatskapitalismus. Je mehr dadurch im Westen der Kapitalismus eingeschränkt wurde, umso mehr sanken die Wachstumsraten der Volkswirtschaften. Die realen Löhne stagnieren und die Kaufkraft sinkt. Wenn die herrschende Tendenz des Antikapitalismus fortbesteht, wird der Lebensstandard drastisch abnehmen.

Zahlreiche Länder des Westens bewegen sich zum Sozialismus hin. Darunter auch Deutschland. Eine antikapitalistische Stimmung herrscht in den Staatsmedien und in den anderen, den Ton der öffentlichen Meinung bestimmenden Kanälen. Schulen und Universitäten sind fast ganz in der Hand der sogenannten Linken, was heißt, dass sie systematisch eine antikapitalistische Haltung predigen. Zu den wohlstands- und freiheitsfeindlichen Tendenzen ist in den letzten Jahren noch ein weiterer Richtungswandel hinzugekommen. Der Friedenswille wurde immer mehr verdrängt und die Kriegstreiberei gewinnt die Überhand.

Das Schlimme an so dieser Entwicklung ist, dass wohlstands- und freiheitsfeindliche Politiken umso mehr Konjunktur haben. Je schlechter die wirtschaftliche Lage wird, umso lauter erfolgt der Ruf nach dem Staat. Dabei war es aber diese Politik selbst, die das Elend hervorgebracht hat. Dasselbe gilt für Krieg und Frieden. Mit dem Verlust des Friedenswillens und der Kriegsbereitschaft ruft man die militärischen Konflikte hervor, für die man der Rede nach gewappnet sein will.

Die Freunde von Freiheit, Frieden und Wohlstand müssen anerkennen, dass ein grundlegender, das gesamte Land erfassender Richtungswechsel unmöglich geworden ist. Aussichtsreicher ist es deshalb, die Strategie, die Deng Xiaoping gewählt hat, in modifizierter und erweiterter Form anzuwenden. Dem Westen täte es inzwischen gut, systematisch „Sonderwirtschaftszonen“ einzuführen, also bestimmte Landesteile ausweisen, in denen der Staat nur noch eine minimale Rolle spielt und man alles andere der privaten Initiative überlässt. Warum sollte so eine Idee nicht auch in Deutschland Anklang finden, vor allem in Bundesländern, wo die Altparteien keine beherrschende Stellung mehr einnehmen?

Eine Freiwirtschaftszone – auch Sonderwirtschaftszone (SWZ) genannt – ist ein geographisch abgegrenztes Gebiet innerhalb eines Landes, in dem spezielle Regeln zur Förderung von Wirtschaft und Handel gelten. In einem als SWZ ausgewiesenen Bezirk gibt es weniger Regulierungen als im Rest des Landes und Steuern, wenn überhaupt, dann nur als eine geringe Belastung. Allerdings ist das Gebiet weiterhin dem Rechtssystem des Gastlandes unterworfen, jedoch mit lokalen Vergünstigungen.

Einen Schritt weiter geht das weitgehend von Titus Gebel entwickelte Konzept der Freien Privatstädte und der Freistadtbewegung. Eine Freie Privatstadt besitzt eine autonome Verwaltung, bei der ein privates Unternehmen diese Stadt (oder Landstrich) wie ein Dienstleister betreibt. Die Idee ist, dass Bürger freiwillig einen Vertrag mit dem Betreiber abschließen, der gegen eine feste Gebühr grundlegende Dienstleistungen (wie Sicherheit, Infrastruktur und Streitbeilegung) garantiert. Ein derartiges Gebilde beruht auf vertraglicher Verwaltung, nicht auf demokratischer Gesetzgebung. Einzelpersonen treten der Freistadt freiwillig bei und können sie gemäß den Regelungen des Vertrages wieder verlassen. Rechte und Pflichten sind in einem Vertrag als einer rechtlichen Vereinbarung festgelegt. Der Betreiber ist ein privates Unternehmen, das den Bewohnern der Freistadt und nicht Wählern oder Politikern gegenüber rechenschaftspflichtig ist.

Dieses Modell der Sonderwirtschaftszonen und Freistädte stellt das direkte Gegenmodell zu den Plänen der gegenwärtigen Machthaber dar, die „15-Minuten-Städte“ schaffen wollen. „15-Minuten-Städte“ sind ein urbanes Planungskonzept, bei dem alle wichtigen Einrichtungen des täglichen Lebens – wie Arbeit, Einkauf, Bildung, Gesundheit, Freizeit und Erholung – innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sein sollen. Ihre Anhänger versprechen, dadurch die Lebensqualität zu verbessern, ohne zu fragen, wo die entsprechenden Einkommen in so einer Stadt herkommen sollen. Es ist auch klar zu erkennen, dass die Durchsetzung dieses Konzepts eine Zwangsherrschaft impliziert, da nicht der Markt, sondern die Politik die Struktur bestimmt.

Mögen die antikapitalistischen Staatsplaner ruhig versuchen, ihr Konzept der 15-Minuten-Stadt zu verwirklichen, wenn der Zuzug dorthin freiwillig ist und mit der Einrichtung des Gegenmodells einer Freien Privatstadt an einem anderen Ort verbunden ist. Es dürfte nur eine kurze Zeit dauern, um zu sehen, welches Modell mehr Prosperität und Freiheit mit sich bringt und dementsprechend die Bürger vorziehen.

Viele Freiheitsliebende blicken derzeit auf Argentinien, wo der vor eineinhalb Jahren gewählte Präsident sein anarchokapitalistisches Modell zu realisieren versucht. Ob ihm das gelingt, ist noch offen. Aber auch wenn dies gelänge, würde es wohl kaum Nachahmung in Deutschland finden. Damit dies geschieht, müsste das wirtschaftliche Elend noch größer werden und eine noch viel längere Zeit dauern. So weit muss es nicht kommen. Auch wenn eine anarchokapitalistische Revolution unmöglich ist, ließen sich für die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen und den Ausweis von Privatstädten wohl Mehrheiten in einigen Bundesländern mobilisieren. Für die libertäre Bewegung würde diese Zielsetzung einen wesentlichen Fortschritt bedeuten, da es sich um praktische Vorhaben handelt, die als solche konkret einem breiten Publikum bekannt gemacht werden können.

Free Cities Foundation

Titus Gebel: „Freie Privatstädte. Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt“ (2023)

Antony P. Mueller: „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ (KDP 2021)


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