30. Mai 2025 06:00

Krieg und Frieden – Teil 15 Wer abrüstet, hat das Nachsehen

Was mich der Ukraine-Krieg lehrte

von Stefan Blankertz drucken

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Bildquelle: Odeta Valuziene / Shutterstock Kinder: In jedem Krieg die Hauptleidtragenden

Bei der Planung dieser Serie hoffte ich, dass der Krieg in der Ukraine zu Ende sei, bis diese Folge dran ist. Leider eine Illusion. Insofern ist der Beitrag ein vorläufiger Kommentar zu einer unabgeschlossenen Geschichte. Erst nach dem Ende des Kriegs wird sich zeigen, ob ich mit meiner Analyse richtig liege.

Als nach dem Zerfall der UdSSR die Ukraine sich wieder als neuer Staat etablierte, war er der drittgrößte Besitzer von Atomwaffen nach Amerika und Russland. Die Zusicherung territorialer Integrität durch diese beiden Supermächte plus China und Frankreich im Budapester Abkommen 1994 veranlasste die Ukraine, ihre Atomwaffen an Russland zur Vernichtung zu übergeben.

Dies stellte sich als sehr, sehr dumm heraus.

Wer den Zusicherungen von Staaten, egal welchen, irgendeinen Sinn beimisst, ist dumm, sehr, sehr dumm und nichts als dumm.

In den Debatten um den Ukraine-Krieg ab dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 wird dieser Aspekt gern verschwiegen. Aber kein Staat der Welt, der über Atomwaffen verfügt oder danach strebt, über Atomwaffen zu verfügen, wird diese Lehre ignorieren: Wer abrüstet, der hat schon verloren. Inzwischen wird von verschiedenen Seiten, nicht nur der russischen Seite aus behauptet, das Budapester Abkommen sei eine unverbindliche Absichtserklärung gewesen und habe keine völkerrechtliche Verbindlichkeit. Ich erspare mir, hier all die Namen der Politiker aufzulisten, die dadurch als Leute charakterisiert werden, die heiße Luft von sich gegeben haben, ohne irgendeinen anderen Sinn, als den der Vernebelung eines Tricks.

Es gibt keine Lehre aus dem Ukraine-Krieg, die dieser Lehre an Ungeheuerlichkeit gleichkommt. Die Chance auf staatliche Abrüstung ist damit auf nahezu null gesunken.

Falls die Ukraine die Atomwaffen behalten hätte, wäre der Überfall 2022 nicht erfolgt, und zwar ganz unabhängig davon, ob die Vorwürfe, die Russland gegen die Ukraine erhebt – sie sei ein faschistischer Staat und unterdrücke die russische Bevölkerung im Ostteil des Landes –, nun wahr oder falsch sind.

Wie Saddam Hussein 1980 beim Überfall auf den Iran die durch den Iran unterdrückte arabische Bevölkerung im Grenzgebiet als Begründung vorschob, um sich die rohstoffreiche Region anzueignen, so schob Russland beim Überfall auf die Ukraine 2022 vor, den unterdrückten Landsleuten in der Ostukraine und ihren Separatstaaten zur Hilfe eilen zu wollen, zwischen denen und der ukrainischen Zentrale bereits seit 2014 Krieg herrschte. Russland unterstützte die Separatisten und annektierte 2014 die Krim.

Die Krimfrage ist eine Nebenbemerkung wert. Historisch gehört die Krim weder zu Russland noch zur Ukraine. Sie wurde 1954 von Nikita Chruschtschow, dem Diktator der UdSSR und Nachfolger Stalins, der Ukraine geschenkt. Wie Potentaten das so tun: Sie verschieben Land und Leute nach Gutdünken. In diesem Fall kann man vermuten, dass Chruschtschow der Ukraine eine Art Wiedergutmachung für die durch Stalin zugefügten Verbrechen gewähren wollte.

Interessanterweise kehrte sich im Russland-Ukraine-Konflikt die Parteinahme für Separatisten gegenüber den Jugoslawienkriegen (Teil 14 dieser Serie) um: Während der Westen in den Jugoslawienkriegen die Separatisten unterstützte, Russland dagegen die serbische Zentralregierung, unterstützte nun Russland seinerseits Separatisten, während der Westen die ukrainische Zentrale unterstützte. Dabei ist eines klar: dass Russland kein generelles Recht auf Sezession verkündet. In den beiden Tschetschenienkriegen 1994 bis 1996 und 1999 bis 2009 hat Russland deutlich gemacht, dass es eben keine Sezession dulden wird. Da die Tschetschenen Muslime sind, interessierte der Westen sich für ihr Wohlergehen nur in geringem Maße. Übrigens wusste das fragile Tschetschenien nichts Besseres zu tun, als Separationsversuche von eingeschlossenen Minderheiten gewaltsam zu bekämpfen, aber das nur am Rande. Die Gebiete der Ostukraine, die nach russischer Darstellung die Sezession anstrebten, wurden im Laufe des Kriegs zu russischem Staatsgebiet erklärt, ohne auch nur den Anschein einer halbwegs freien Wahl zu erwecken. Hier bewahrheitet sich das am Fall der Jugoslawienkriege gezeigte Muster, dass Sezessionsbestrebungen jeweils politisch-militärisch als Mittel eingesetzt werden, aber keineswegs ein Sezessionsrecht zur Debatte steht.

Als weitere Rechtfertigung für den russischen Überfall auf die Ukraine führt Russland an, dass der Westen (USA, Nato, EU) ungebührlich Einfluss auf die Ukraine nehme und Russland geopolitisch bedrohe. Damit bewegen wir uns nun auf einem ganz anderen Feld, in dem es nicht einmal mehr vorgeblich um die Interessen der Bevölkerung geht, egal, in welchem Land: Länder und Bevölkerungen sind nur noch die Figuren auf der Landkarte der herrschenden Staatsterroristen, die sie hin und her schieben, wie es ihnen passt. Sicherlich gingen Versuche der Einflussnahme auf die ukrainische Politik von westlichen Geheimdiensten aus. Doch auch russische Geheimdienste versuchten sich in Einflussnahme.

An dieser Stelle greift ein verbreiteter Mythos, der besagt, dass versuchte geheimdienstliche Einflussnahme die Reaktion der Bevölkerung komplett kontrolliere. Dies wird jeweils für den Geheimdienst der Gegenseite behauptet. Ein eklatanter Fall stellt etwa Chile 1973 dar. Die linke Seite behauptet bis heute, die Opposition vor allem der LKW-Fahrer gegen das sozialdemokratische Regime von Salvador Allende, die zur Destabilisierung und dann zum faschistischen Putsch führte, sei einzig und allein das Werk des CIA. Nein, die Inflation, die in der Schlussphase der Allende-Regierung mehrere Hundert Prozent betrug, hatte natürlich nichts mit der Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung zu tun. Der Geheimdienst kann schalten und walten, wie er will, und was er will, erreicht er auch. Dies ist psychologisch falsch. Aber auch ohne in die Diskussion der Problematik der Steuerung von Menschenmassen einzusteigen, reicht hier der Hinweis darauf, dass kein Geheimdienst der Welt allein auf weiter Flur agiert. Im Fall der Ukraine standen sich die amerikanische, europäische und russische Seite in ihrer versuchten Einflussnahme gegenüber. Wenn die russische Seite verloren hat, dann darum, weil diese weniger klug vorgegangen ist. Basta. Daraus die Rechtfertigung für einen Krieg abzuleiten, ist haarsträubend.

Die neuerliche Wende, dass die USA den Rückhalt für die Ukraine infrage stellt, diskreditiert die USA als Bündnispartner; eine Lehre, die ebenso wie der Wortbruch Russlands um die Welt ziehen und nicht ohne Folgen bleiben wird. So haben sich im Ukraine-Krieg beide Supermächte unglaubwürdig gemacht. Es wird sich schon jemand finden, der einspringt. Staaten sind in ihrer Kreativität, Kriegsgründe zu finden, um sich selber auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern und zu stabilisieren, unbegrenzt. Ich hoffe, dass die Geduld der Bevölkerung begrenzt ist und eine breite pazifistische Widerstandsbewegung gegen das Staatsprinzip entsteht.

Die innenpolitischen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs in Deutschland sind aus Sicht des Pazifismus verheerend. Die Außenministerin – wie beim Kosovokrieg mit seinem erstmaligen Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland bezeichnenderweise aus der Grünen-Partei – hatte im Wahlkampf noch Plakate mit der Parole geklebt, keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern. Hatte eine feministische Außenpolitik angekündigt, unter der man naiverweise eine friedliche Außenpolitik verstand. Doch kaum trat der Ukraine-Krieg in die heiße Phase, generierte sie sich wie einst ihr Vorgänger Joschka Fischer als Kriegsherrin. Prominente grüne und sozialdemokratische Politiker und Sympathisanten, die in den Zeiten, als es noch die Wehrpflicht gab, den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert hatten, erklärten nun, ihr Gewissen habe das Fähnlein nach dem Wind gehängt und sich gedreht.

Allerdings bemerkten die grünen und roten Bellizisten nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, dass es, um für einen möglichen Krieg gerüstet und gewappnet zu sein, nicht ausreicht, einfach auf einen Sinneswandel zu verweisen: Wenn die ausgebildeten Soldaten und ihre Ausrüstung nicht vorhanden sind, nützt alles Kriegsgeschrei nichts. Wer bereit sein will, einen Krieg zu führen, muss in Friedenszeiten Soldaten trainieren und Rüstungsgüter entwickeln und anhäufen. Wer das nicht tut, kann sich tausendmal im moralischen Recht wähnen, er wird nichts ausrichten können und sich jedweder angreifenden Macht unterwerfen müssen.

Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten: entweder zum Kriegführen bereit sein und dementsprechend vorher dem Militarismus frönen oder sich auf das Friedenführen zu konzentrieren. Man kann zwischen diesen beiden Möglichkeiten nicht kurzfristig hin und her wechseln. Hierbei handelt es sich um eine langfristige Grundsatzentscheidung.


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