08. Juni 2025 06:00

Moderner Kapitalismus Die Rolle der Börse

Auch ihr spielt der Staat übel mit

von Antony P. Mueller drucken

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Bildquelle: vectorfusionart / Shutterstock Börse: Das Herz des Kapitalismus?

Die Börse ist eine zentrale Einrichtung des modernen Kapitalismus. Sie steht am Beginn des modernen monetären Kapitalismus und hat ihre erste Blütezeit in Amsterdam und später in London erlebt. Heute ist New York das Zentrum des globalen Börsenhandels. Die Börse ist ein Handelsplatz und je nachdem, welche Güter gehandelt werden, spricht man von der Rohstoff-, Devisen-, Anleihen- oder Aktienbörse. Börsen sind Märkte, an denen sich Angebot und Nachfrage treffen und die Preisbildung stattfindet. Es ist falsch, die Wertpapierpreise mit ihrem Wert zu verwechseln. Ein bestimmter Börsenpreis sagt aus, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Kauf und Verkauf zu einem bestimmten Preis abgewickelt wurden. Was als „Börsenwert“ bezeichnet wird, ist kein Wert, sondern ein Preis.

Vom Gesamtbestand an Aktien, Wertpapieren und Rohstoffen steht jeweils nur ein Teil zum Handel an. Es ist also irreführend, vom Tageshandel auf den „Wert“ des gesamten Bestandes zu schließen, wie man es zum Beispiel tut, wenn man „den Börsenwert“ eines Unternehmens berechnet. Es darf nicht verwundern, dass diese Milchmädchenrechnung im nächsten Moment schon wieder hinfällig ist, da sich die Kurse laufend, und zum Teil sehr deutlich auch in kurzer Zeit, ändern.

Letztlich hängt die Rendite aller wirtschaftlichen Anlagen von der Ertragslage der Firmen ab. Die Immobilienpreise steigen zwar nicht immer parallel zum Aktienmarkt, sie können sich aber nicht von der Wirtschaftsleistung der Volkswirtschaft abkoppeln. Im Unterschied zu Aktien sind jedoch Anleihen und Spargelder unmittelbar durch die Inflation gefährdet. Die Anlage in Gold schützt zwar vor Inflation, sie leidet aber darunter, dass Gold im Unterschied zu Dividendentiteln keine laufende Rendite abwirft.

Durch den Besitz von Aktien nimmt man unmittelbar teil am Unternehmensgeschehen, das heißt dort, wo der nationale Reichtum ursprünglich erzeugt wird. Die Erträge aller anderen Anlagen, seien es Anleihen, Immobilien oder Kunst, hängen letztlich von der allgemeinen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab, das heißt von der Gewinnsituation der Firmen. Dies gilt auch für die gesetzlichen Altersrenten, die nur insoweit „sicher“ sind, wie die Wirtschaft floriert.

Der in der Finanzmarkttheorie tobende Streit zwischen den Vertretern der Effizienzhypothese und den Verhaltenstheoretikern ist nicht zugunsten der einen oder anderen Richtung zu entscheiden. Gegen die Effizienzhypothese ist einzuwenden, dass das Marktgeschehen, da von Menschen betrieben, nicht vollkommen ist, und Märkte nicht mehr und nicht weniger „informationseffizient“ sind, wie es eben Menschen sein können. Die Marktverhaltenstheorie liegt falsch, wenn sie die Psychologie heranzieht und darauf aufbauend irrationales Verhalten erklären will. Was dem Beobachter als irrational erscheinen mag, muss für den Akteur selbst noch lange nicht irrational sein. Extreme Schwankungen der Kurse zum Beispiel sind nicht irrational, sondern sie kommen zustande, wenn es in einem engen Markt zu scharfen Wechseln in der Einschätzung der zukünftigen Ertragslage der Unternehmen und ihres Umfeldes kommt.

Die Aktienbörse hat mit den Unternehmensgewinnen und den Gewinnerwartungen einen festen Anker. Um Dividenden auszuschütten, muss das Unternehmen Gewinne erwirtschaften. Der zentrale Bestimmungsgrund des Börsenkurses eines Unternehmens ist die Gewinnlage im Vergleich zu alternativen Anlagen. Welche Höhe der aktuelle Aktienkurs einer Firma hat, hängt somit nicht nur vom einzelnen Unternehmen ab, sondern ergibt sich unter Einbeziehung der Gewinnsituation und Gewinnerwartung anderer Unternehmen und der potenziellen Erträge und Risiken von alternativen Anlagen, vor allem der Anleihen. Der aktuelle Preis einer Aktie sowie der Stand des Effektenmarktes insgesamt sind das Resultat der Bewertungen der Gesamtlage auf den Finanzmärkten und seiner Einbettung in das nationale und globale Geschehen.

Lange Phasen der Hausse (steigende Kurse) und Baisse (fallende Kurse) entstehen, je nachdem, ob mehr Geld in den Markt drängt oder mehr Geld den Markt verlässt. Dieser Zu- und Abfluss bestimmt sich danach, ob mehr oder weniger Geld in der Wirtschaft vorhanden ist und welche Anlagealternativen für das Geld bestehen.

Der reale Kapitalmarktzins ist der hauptsächliche Anker für das Aktienniveau. Generell gilt: Je höher der Realzins auf dem Kapitalmarkt ist, desto niedriger ist relativ das Aktienniveau und umgekehrt. Daraus folgt, dass es trotz der Effizienz der Bewertung der Einzelaktien beim allgemeinen Kursniveau zu Übersteigerungen nach oben und unten kommen kann. Dies hängt damit zusammen, dass im gegenwärtigen Geldsystem die Notenbanken dazu imstande sind, einen Leitzins festzulegen, der erheblich und über lange Zeit vom natürlichen Zinssatz abweichen kann. Eine Niedrigzinsphase hebt das Aktienniveau übermäßig an und führt unweigerlich in die Baisse, wenn die Zentralbank den Zinssatz wieder anhebt.

Zu den großen Haussebewegungen an den Aktienmärkten mit der Tendenz zur Blasenbildung kommt es, wenn die Notenbank die Volkswirtschaft mit Geld überschwemmt und sich in der Realwirtschaft wenig attraktive Investitionsmöglichkeiten bieten. Zu einer Baisse kommt es, wenn die Liquidität schrumpft oder sich neue Investitionschancen in der Realwirtschaft eröffnen. Dann fehlt es an Geld oder es verbleibt außerhalb der Börse. Wenn bei dieser Lage einzelne Wertpapierinhaber dringend verkaufen wollen, können sie dies nur zu niedrigen Preisen tun. Es herrscht Börsenflaute. Aus diesem Grund verläuft die Kursbewegung an den Aktienmärkten nicht selten gegenläufig zur tatsächlichen volkswirtschaftlichen Aktivität. Allerdings werden sich die Wertpapierkurse langfristig nicht vom Wachstum der realen Wirtschaft abkoppeln, denn es lohnt sich nur dann, Wertpapiere zu halten, wenn die Dividenden fließen, also Unternehmensgewinne als deren Vorbedingung entstehen.

Mit dem Besitz von Aktien befindet sich der Anleger am Ursprung des Reichtums der kapitalistischen Volkswirtschaft. Andere Ertragsformen hängen vom Reichtum ab, der in der Unternehmenswelt geschaffen wird. Beschäftigung und Einkommen entstehen in und durch die Betriebe. Damit die Banken Sparzinsen zahlen können, müssen sie Erträge durch die Kreditvergabe an Unternehmen und Konsumenten erzielen. Damit der Staat auf seine Anleihen Zinsen zahlen kann, muss er Steuern und Abgaben einnehmen, die von den Gewinnen, den Löhnen und den Umsätzen abhängen. Um Arbeiter und Angestellte zu beschäftigen, müssen die Unternehmen gewinnbringende Geschäfte machen. Für die Staatsausgaben braucht es Staatseinnahmen.

Seit den 1980er Jahren ist es zu einer starken Ausweitung des Anteils der Finanzwirtschaft an der gesamten Volkswirtschaft gekommen. Vor allem in den USA ist dieser Zuwachs sehr deutlich. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Wachstum des Finanzsektors mit der starken Ausweitung der Geldmenge und der Zunahme der Staatsschulden zusammenfällt. Was als „Kasinokapitalismus“ angeklagt wird, hat Staatsverschuldung und Geldmengenaufblähung zur Grundlage. In dem Maße, wie das Wachstum der Staatsverschuldung und der Geldmenge an ihre Grenzen gelangt, wird es zu einem Rückgang des Anteils des Finanzsektors kommen und werden sich auch die Kursniveaus an den Wertpapierbörsen entsprechend normalisieren.

Börsenexperten wissen, dass der Anker des gesamten Finanzsystems der Anleihemarkt ist. Dieser ist immer mehr von den Staatsanleihen dominiert. Damit ist der Staat zu einem zentralen Akteur auf den Finanzmärkten geworden. Der Staatseingriff geht inzwischen so weit, dass Regierung und Notenbank nicht nur regulierend Einfluss auf die Finanzmärkte nehmen, sondern zunehmend direkt in sie eingreifen, also die Märkte bewusst manipulieren. Die Perversion, die die Börse damit erfährt, wird daran offensichtlich, dass Fondsmanager und andere Finanzinvestoren den Zinsentscheidungen der Notenbanken und der Steuer- und Ausgabenpolitik der Regierung höchste Aufmerksamkeit schenken müssen. Nicht mehr die wirtschaftlich rationale Allokation von Kapital bildet den Kern der finanziellen Entscheidungen, sondern die politischen Vorgaben. Daraus ergibt sich eine weitere zutiefst schädliche Entwicklung. Die wichtigen Finanzmarktakteure vertrauen zunehmend darauf, im Falle von Fehlentwicklungen von der Regierung „gerettet“ zu werden. Dies führt zum Problem des sogenannten „moral hazard“, dem Verhaltensrisiko, dass jemand durch die Existenz einer Versicherung dazu neigt, höhere Risiken einzugehen, als er dazu ohne diese Absicherung bereit wäre. Es darf damit nicht verwundern, dass immer wieder schwere Finanzkrisen auftreten. Diese werden dann „dem Kapitalismus“ in die Schuhe geschoben, obwohl die Politik die eigentliche Ursache darstellt.

Antony P. Mueller: „Kapitalismus ohne Wenn und Aber. Wohlstand für alle durch radikale Marktwirtschaft“ (KDP 2018)


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