20. Dezember 2025 11:00

Die Entmachtungspotenz des Marktes Linke Mythen: Markt macht Macht

Eine kritische Analyse linker Sichtweisen auf den Markt und Macht

von Ralf Blinkmann drucken

Narziss und Echo
Bildquelle: Eigenes Bild Narziss und Echo

Linke Mythen: Markt macht Macht

Für Linke sind Märkte gemacht, was unschwer als konstruktivistische Fehlinterpretation zu erkennen ist. Sie sagen aber auch, der Markt mache die Reichen immer reicher und die Mächtigen immer mächtiger. Dieser Mythos ist eng verwandt mit „Das Streben nach Eigennutz ist unsozial“, was auf der falschen Annahme basiert, der Markt sei ein Nullsummenspiel. „Als tragende Säule erweist sich allein das Streben nach Eigennutz, den die Neoliberalen gegen jedwede Kritik verteidigen“ (Ralf Ptak in Butterwegge, Lösch, Ptak: Kritik des Neoliberalismus. 3. Auflage, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2016, S. 56). Aber warum hält sich diese kontrafaktische Idee so hartnäckig?

Marx konstatierte ein ökonomisches Gesetz, dass sich Kapital und damit auch Macht notwendigerweise immer mehr konzentriere. Das geschehe über den Markt, auf dem die Ausgangsbedingungen nie fair seien, weshalb die ohnehin schon Starken immer stärker würden. Der Markt verstärke so bestehende Klassenunterschiede. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Marktteilnehmer (nicht „der Markt“) eines freien Marktes auch die Starken einem beständigen Druck aussetzen. Durch Innovationen können diese ihre Stellung jederzeit verlieren. Ihre Position ist zu keinem Zeitpunkt gesichert, weil sie zu jedem Zeitpunkt gezwungen bleiben, besser zu sein als die anderen. Der Markt ist ein Entmachtungsverfahren und kein Nullsummenspiel, weil immer beide Seiten gewinnen, sonst würden sie nicht tauschen. Nach dem Tausch sind beide reicher. Aufgrund komparativer Kostenvorteile können auch weniger effiziente Anbieter auf dem Markt bestehen.

Tatsächlich aber existiert ein freier Markt derzeit nicht. Man könnte deshalb annehmen, dass der linke Mythos sich so hartnäckig hält, weil die derzeit ständig stattfindenden Markteingriffe (zum Beispiel Subventionen, Regelungen zu Lasten der KMU, Geldpolitik mit Cantillon-Effekt) bei Linken zu einer Verwechslung von Effekten des Marktes mit Effekten von Markteingriffen führt. Das erklärt jedoch nicht, warum sogar so große Geister wie John Rawls, dessen analytische Kompetenz nicht in Frage steht, sich nicht von der Idee lösen können, dass der Markt Regulierung bräuchte, weil er unreguliert zu Ungleichheit und somit zu Ungerechtigkeit und Machtkonzentration führe. Rawls will Machtkonzentration im Kapitalismus durch Regulierung verhindern, er sieht keine Entmachtungspotenz des Marktes selbst. Das Argument ist, ein freier Markt sei abzulehnen, weil seine Akteure mächtig sind und ihre Macht benutzen, um die ohnmächtigen Armen zu berauben. Es ist also ein moralisches, kein ökonomisches Argument! Die Institution des Marktes sei intentional für den Zweck geschaffen, die egoistischen Interessen der Mächtigen durchzusetzen, und müsse deshalb intentional eingedämmt werden.

Linke neigen ohnehin dazu, gesellschaftliche Verhältnisse als Machtverhältnisse zu interpretieren. Die Ungleichheit sozialer Verhältnisse wird als Ungleichheit der Machtverteilung interpretiert. In allen Phasen linker Theorieentwicklung wurde dies hervorgehoben. Für Marx begründet das Eigentum an Produktionsmitteln Macht. Die späte Frankfurter Schule (insbesondere Habermas) arbeitet heraus, dass Macht nicht nur ökonomisch, sondern auch kulturell entsteht. Der Poststrukturalismus, insbesondere Foucault, sieht Macht in jedem Diskurs (Sprechen und Denken) wirken. Sprache organisiere und legitimiere Machtstrukturen. Das einzige nicht mittels Macht funktionierende linke Konzept ist „Solidarität“. Linke übertreiben die Rolle von Macht, die ja zweifellos nicht unbedeutend ist, aber eben nicht so total, wie sie es darstellen.

Dies sieht man eben unter anderem daran, dass der freie Markt eben kein Machtspiel ist. Aber wieso halten Linke die Marktteilnehmer für mächtig? Um das zu verstehen, muss man zwischen Macht (hier verstanden als die Möglichkeit, Zwang auszuüben) und Wahrnehmung von Macht unterscheiden. Menschen reagieren auf wahrgenommene Macht. Sie „sehen“ Macht, sobald bestimmte Signale (Statussymbole, Sicherheit, Stimme, Bildung, institutioneller Kontext) vorhanden sind (role-induced perception). Wichtiger ist aber noch, dass sie auch Macht als Spiegel ihres inneren Zustandes „sehen“ (Projektion). Menschen, die sich selbst unsicher fühlen, projizieren Stärke, Kontrolle oder Urteilskraft auf andere Personen. Dadurch erscheinen diese als „mächtig“, obwohl dies nur der Spiegel ihrer unbewussten Erwartungen ist.

Die Teilnahme an einem Markt als Akteur, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, verlangt dem Individuum sehr viel ab. Mehr noch verlangt es ihm ab, wenn er als Anbieter auf dem Waren- oder Dienstleistungsmarkt auftreten will, da auch noch die Wirtschaftlichkeitsrechnung beherrscht sein will. Der Marktteilnehmer muss leistungsfähig sein und sich gegen Konkurrenten durchsetzen. Das geht nur dann, wenn er dem Käufer nach dessen Maßstab einen Vorteil verschafft. Er muss sich für ihn ins Zeug legen. Auf dem Markt kann jeder sein Eigeninteresse nur realisieren, wenn er hilfreich für andere ist. Wenn sich nun ein Individuum dem nicht gewachsen fühlt, führt das unbewusst zu Insuffizienz- und Ohnmachtsgefühlen, die dazu führen, die Erfolgreicheren als mächtig wahrzunehmen. Um der damit verbundenen Beschämung auszuweichen, wird dann häufig angenommen, dass die Erfolgreichen von vornherein einen Vorteil hatten, zum Beispiel eine einflussreiche Familie im Hintergrund oder Geld oder beides. Sie verfügten über Macht, die einem selbst fehlt.

Auf dem Markt dominieren die Erfolgreichen, so läuft das Spiel. Mächtig sind diese aber nur, wenn das Spiel nach falschen Regeln gespielt wird. Dennoch können sie aus den genannten Gründen als mächtig wahrgenommen werden und damit der Markt als ein Spiel der Mächtigen. Die Ablehnung des Marktes mit der Behauptung, er begünstige nur die Mächtigen, ist ein Spiel der Ohnmächtigen.

Allerdings ist es wahr, dass die Talente ungleich verteilt sind und damit auch die Erfolgswahrscheinlichkeiten auf dem Markt. Auch wenn man sich nicht ohnmächtig fühlt, kann man weniger Erfolg haben als andere. Es gibt den Matthäus-Effekt, dass Erfolg weitere Erfolge wahrscheinlicher macht. Sich darauf zu fokussieren führt aber dazu, die Nützlichkeit des Marktes zu übersehen. Schließlich ist der Erfolg der Marktakteure ja nur möglich, weil sie dem Käufer etwas anbieten, das ihm so wertvoll ist, dass er freiwillig dafür zahlt. Und darin liegt auch das Abbruchkriterium für Erfolg, der sofort zu Ende ist, wenn das nicht mehr erfüllt ist. Die linke Fixierung auf die angebliche Ungerechtigkeit unterschiedlichen Erfolgs führt paradoxerweise dazu, dass sich der Matthäus-Effekt verstärkt, da links denkende Menschen es lieber vermeiden, in den Marktwettbewerb einzutreten und als Konkurrenten aufzutreten.

Rawls ist immerhin so klug, dass er daraus nicht wie viele andere Linke den Schluss zieht, diese Chancenungleichheit müsse komplett ausgeglichen werden. Hätte er auch noch verstanden, dass kein Marktteilnehmer Macht hat, wenn der Markt frei ist, hätte er sich viel Denkarbeit sparen können. Denn sein zentraler Grundsatz, dass gesellschaftliche Ungleichheit dann gerechtfertigt sei, wenn und soweit sie auch dem am schlechtesten gestellten Individuum noch zu einem wenn auch geringen, absoluten Vorteil gereiche, ist mit einem freien Markt erfüllt. Das Streben nach Eigennutz auf dem freien Markt macht alle reicher. Das hat die Geschichte immer wieder gezeigt und ist durch die Theorie gut erklärt.

Quellen:

John Rawls - Wikipedia

Matthäus-Effekt - Wikipedia


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