27. August 2025 18:00

Internetregulierung Die Illusion der Sicherheit

Oder: Warum die Klarnamenpflicht der nasse Traum des Politikers ist

von Joana Cotar drucken

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Bildquelle: Ollyy / Shutterstock Digitales Vermummungsverbot: Ende der Anonymität

Es klingt fürsorglich, beinahe rührend, wenn immer mehr Politiker fordern, Jugendlichen unter einem gewissen Alter den Zugang zu Social Media zu verbieten. Schließlich müsse man sie schützen, vor Mobbing, Hass, Sucht. Ein nobles Motiv. Doch in Wahrheit ist es nur der Türöffner für etwas viel Grundsätzlicheres: die Abschaffung der Anonymität im Netz. Denn wie, bitte schön, will man Minderjährige aussperren, ohne dass sich jeder registriert, ausweist, verifiziert?

So wird aus Kinderschutz die perfekte Hintertür, um das große Projekt „Kontrolle des Netzes“ durchzusetzen. Es ist das alte Spiel. Man ruft „Denkt doch an die Kinder!“ und schon nickt die Gesellschaft brav, während sie sich selbst das Fundament ihrer Freiheit unter den Füßen wegziehen lässt.

Die Vorstellung klingt auf den ersten Blick bestechend einfach: Jeder, der im Internet schreibt, muss es unter echtem Namen tun. Keine Trolle mehr, keine Hetzer, keine Fake-Accounts. Ein digitales Schlaraffenland voller Respekt und Höflichkeit! Wer könnte da Nein sagen?

Nun, jeder, der zwei Sekunden nachdenkt. Denn Menschen sind auch mit echtem Namen unhöflich, aggressiv, beleidigend, man besuche nur einmal den Bundestag oder eine beliebige Fußballtribüne. Das Problem ist nicht die Anonymität, sondern der Mensch. Und der lässt sich nicht durch eine Verordnung zähmen.

Aber Anonymität hat eben auch eine andere Seite. Sie ist nicht nur eine Maske für Feiglinge, sondern auch ein Schutzschild für Mutige. Für Oppositionelle in autoritären Staaten. Für Whistleblower. Für Jugendliche, die in intoleranten Familien aufwachsen. Wer die Anonymität abschafft, trifft nicht in erster Linie die Hetzer, denn die finden immer Schlupflöcher, sondern diejenigen, die überhaupt nur dank der Anonymität den Mut finden, ihre Stimme zu erheben.

Die geplante Klarnamenpflicht ist daher weniger eine Hygienemaßnahme gegen Schmutz im Netz als vielmehr ein Misstrauensvotum gegen die Bürger. Sie basiert auf der Überzeugung, dass Freiheit gefährlich ist und Kontrolle besser. Aber eine Demokratie lebt nicht davon, dass alle brav nicken, sondern davon, dass gestritten, widersprochen, provoziert wird.

Das Argument, man müsse Jugendliche „schützen“, ist dabei besonders perfide. Jugendliche sind längst digital sozialisiert, sie leben, lieben und streiten online. Ihnen Social Media zu verbieten, hieße, ihnen das wichtigste Forum der Gegenwart zu verwehren, so als hätte man früher gesagt, „Radio und Fernsehen sind nichts für euch“. Jede Generation hatte ihre Medienrevolution, und immer war die Panik groß. Die Jugend hat’s überlebt.

Was aber bleibt, ist die neue Infrastruktur der Überwachung. Wer Social Media verbieten will, muss wissen, wer jung und wer alt ist. Wer Klarnamenpflicht will, braucht Datenbanken, Ausweiskontrollen, Verknüpfungen. Und was einmal eingeführt ist, bleibt. Heute geht es um Jugendschutz, morgen um Hassrede, übermorgen um „klimaschädliche Desinformation“. Die Liste wird länger, nie kürzer.

Das Schönste an solchen Plänen ist die Begründung. Sie folgt stets demselben Muster: „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten.“ Das klingt so harmlos und ist doch die gefährlichste aller Lügen. Jeder Mensch hat etwas zu verbergen. Nicht, weil er ein Verbrechen plant, sondern weil Privatheit ein Grundbedürfnis ist. Niemand verlangt, dass wir unsere Küchengespräche auf Band aufnehmen und beim Amt abgeben. Warum also soll unser digitales Leben plötzlich unter Generalaufsicht gestellt werden?

Die Wahrheit ist, dass eine Registrierungspflicht nicht Respekt, sondern Schweigen erzeugt. Schon jetzt überlegen viele dreimal, ob sie eine unbequeme Meinung posten. Mit staatlich geprüfter Identität im Hintergrund wird aus Vorsicht Zensur, aus Debatte Stillstand. Und Stillstand ist das Gegenteil von Demokratie.

Manchmal wirken die Verfechter solcher Ideen wie die Erben der Zensurbeamten vergangener Jahrhunderte, nur digitalisiert und mit PR-Abteilung. Sie wollen kein freies Forum, sondern einen Hochsicherheitstrakt. Ein Netz, in dem man erst seine Papiere zeigen muss, bevor man den Mund aufmacht. Ein Internet für Untertanen, nicht für Bürger.

Und man sollte sich keine Illusion machen – hat der Staat diese Infrastruktur erst einmal, wird er sie nutzen. Die Versuchung ist zu groß. Heute vielleicht noch gegen Trolle, morgen gegen „Populisten“, übermorgen gegen „gefährliche Narrative“. Was gefährlich ist, entscheidet natürlich der Staat. Und am Ende reden nur noch die, die nichts zu sagen haben.

Freiheit stirbt nicht durch einen Putsch, sondern durch viele kleine, gut gemeinte Gesetze. Sie stirbt nicht im Donner der Panzer, sondern im Rascheln der Formulare. Und immer heißt es: „Es ist doch nur zu eurem Besten.“

Die entscheidende Frage lautet: Wollen wir ein Internet, das einem Marktplatz gleicht? Laut, bunt, manchmal chaotisch, aber voller Leben? Oder ein Internet wie eine Behörde, steril, kontrolliert, angstbesetzt? Die erste Variante ist unordentlich, aber frei. Die zweite ordentlich, aber tot.

Und genau deshalb ist die Forderung nach einer Registrierungspflicht – egal, ob für den Jugendschutz oder gegen Hass – keine Kleinigkeit. Sie ist ein Paradigmenwechsel. Sie verwandelt Bürger in Aktenzeichen.

Wenn wir das zulassen, werden wir vielleicht eines Tages tatsächlich in einem Internet leben, in dem niemand mehr beleidigt wird. Aber nur, weil niemand mehr den Mut hat, überhaupt etwas zu sagen.


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