Meinungsfreiheit: Wenn der Leviathan morgens an der Haustür klingelt
Hausdurchsuchung wegen eines Wortes: Der Fall Sigartis und die deutsche Staatsmacht
von Joana Cotar drucken
Es beginnt immer gleich. Ein harmloser Morgen, die Welt noch im Halbdunkel, der eigene Geist irgendwo zwischen Schlaf und Tagesbeginn. Normalerweise würde man jetzt Kaffee aufsetzen, Katzen füttern, vielleicht kurz in die Nachrichten schauen. Doch für manche Menschen ändert sich an dem Tag die Welt. Denn bevor die Kaffeemaschine summt, klopft der Staat. Und zwar nicht symbolisch.
Es gibt Hausdurchsuchungen, die machen Sinn. Clankriminalität, Mord, Spionage … Nötig, denkt man sich da, Beweise sichern, Verbrecher hinter Gitter bringen – die Polizei sorgt für Sicherheit.
Und dann gibt es jene Sorte Hausdurchsuchungen, die nur ein ängstlicher deutscher Staat zustande bringt. Jene, bei denen ein einzelnes Wort zum Einsatzbefehl wird. Nicht einmal ein exotisches. Kein Code, keine geheime Botschaft, ein Begriff, mit dem der argentinische Präsident Javier Milei wochenlang Wahlkampf machte: „Parasiten“. Genau dieses Wort hat den libertären X-Nutzer „Sigartis“ anscheinend zum Staatsfeind gemacht.
Er hatte nicht einmal Zeit, sich einen Bademantel überzuwerfen, als die Polizei morgens um sechs Uhr bei ihm klingelte. Die Beamten suchten die falsche Meinung. Sie hielten Ausschau nach einem Satz, der der Obrigkeit nicht schmeckt.
Fast könnte man Mitleid haben mit einem Staat, der so dünnhäutig geworden ist, dass er sich sogar vor Metaphern fürchtet. Fast. Denn statt Mitleid stellt sich Wut ein, blanke Wut. Denn diese Szene ist mittlerweile typisch für das neue Deutschland, in dem die Staatsmacht schneller ausrückt, wenn ein Bürger etwas „Böses“ sagt, als wenn unser Leib und Leben bedroht ist.
Was hat „Sigartis“ nun eigentlich genau geschrieben? Nichts, was nicht schon jeder libertäre Klassiker seit hundert Jahren formuliert hätte, dass es Menschen gibt, die nicht von Wertschöpfung leben, sondern von Zwangsfinanzierung. Dass ein immer größerer Teil der Bevölkerung lieber vom Staat nimmt, als in Freiheit zu gestalten. Und dass die Politik sich in diesem Modell eingerichtet hat.
„Jeder, der vom Staat finanziert wird, zahlt keine Nettosteuern. Sie leben von Steuern. Jeder Beamte, jeder Politiker, jeder Angestellte in einem staatlichen Unternehmen, jeder, der vom Staat subventioniert und finanziert wird. Kein einziger Parasit zahlt Nettosteuern.“
Ob man die Verwendung des Wortes „Parasiten“ für überspitzt hält, ist eine Frage des Geschmacks. Aber ob es polizeilich verfolgt gehört, sollte dagegen keine Frage sein.
Und es blieb nicht nur bei der Hausdurchsuchung. Die Polizei drohte ihm, wenn er den PIN seines Handys nicht herausgeben würde, würden sie alle elektronischen Geräte mitnehmen. Und sie nahmen den User mit. Aufs Revier, zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Das gesamte Programm: „Gewicht, Größe, Fotos aus vielen Perspektiven und alle biometrischen Daten der Hände.“ Man fragte ihn sogar nach einer Blutprobe „für die DNA“, doch diesen Irrsinn lehnte er ab.
Zum Abschied gab es dann noch die Ermahnung eines Beamten: „Überlegen Sie sich, was Sie in Zukunft posten, Ihnen muss klar sein, dass Sie jetzt unter Beobachtung stehen.“
Wenn ein Staat Menschen wegen eines Wortes erkennungsdienstlich behandelt und ihnen droht, dann geht es nur um eines: um Disziplinierung. Um das Einziehen einer unsichtbaren Linie im Kopf der Bürger. Denn was vom Tage übrig bleibt, ist nackte Angst. Panikattacken, das permanente Gefühl, wieder geweckt zu werden, wieder der Polizei gegenüberzustehen. Ein psychischer Preis für ein unbequemes Wort. Wer glaubt, solche Folgen seien „Nebeneffekte“, versteht nicht, wie Macht funktioniert. Einschüchterung ist kein Unfall, sie ist die gewollte Hauptwirkung.
Die deutsche Politik schafft es seit Jahren, ihre Kritiker als hysterisch, übertrieben oder „gefährlich freiheitlich“ abzutun. Doch der beste Beweis für die Richtigkeit der Analysen liefert sie regelmäßig selbst. Jeder solcher Vorfall ist ein Eingeständnis.
Die Ironie dabei ist beißend. Mit jeder dieser Maßnahmen beschädigt der Staat nicht nur die Freiheit, sondern auch seine eigene Legitimität. Denn wer einmal erlebt hat, wie mühelos Grundrechte beiseitegeschoben werden können, der glaubt nie wieder an das Märchen vom „harmlosen Staat, der nur schützen will“. Es braucht keine politikwissenschaftlichen Schriften mehr, eine Hausdurchsuchung um sechs Uhr morgens erklärt den Zustand der Republik besser als jedes Gutachten.
Freiheit stirbt selten spektakulär. Sie stirbt im Kleinen, im Banalen, im Verwaltungsakt. In der Routine, mit der Polizisten eine Wohnung betreten, weil jemand eine Meinung hat. Sie stirbt dort, wo Worte zu Risiken erklärt werden und Polemik als Straftat gilt. Sie stirbt, wenn die Macht sich selbst schützt und nicht die Menschen.
Doch paradoxerweise liegt genau darin auch ein Funken Hoffnung. Solche Vorfälle wecken Menschen auf. Sie bringen Fremde ins Gespräch, schaffen neue Solidarität, lassen die Frage nach Freiheit wieder brennen. Und sie zeigen, wer ein System kritisiert, das sich vor Worten fürchtet, liegt nicht falsch, denn das System liefert den Beweis für seine Schuld inzwischen selbst, regelmäßig, mit Blaulicht.
Manchmal reicht schon ein einziges Wort, um sichtbar zu machen, in welchem Land wir leben. Und manchmal reicht genau dieses Wort, um zu merken, dass wir ein anderes wollen.
„Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden, meine Ruhe haben und meine Meinung frei äußern können. Mir wurde vom Staat alles 3 nicht gestattet.“ – Sigartis
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