03. September 2025 06:00

Historienspiel Der Süddeutsche Bund

Wie die Geschichte ab 1867 in Richtung Freiheit hätte abbiegen können

von Oliver Gorus drucken

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Bildquelle: ziegelbrenner / Wikimedia Deutsches Reich: Nachdem der Zug in Richtung „Verpreußung“ bereits abgefahren war

In der vergangenen Woche schrieb Andreas Tiedtke im „Sandwirt“ von der Renaissance der Regionen und von der Idee einer Föderation derselben, beispielsweise in Form einer Republik „Bayern-Franken-Schwaben“. Deutschland sei, so Tiedtke, im Deutschen Krieg 1866 mit der „Verpreußung Westdeutschlands“ falsch abgebogen, was den toxischen Nationalismus des Deutschen Reichs und der nachfolgenden Staatsversuche begründet hatte.

Damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, existierte die Idee eines „Dritten Deutschlands“, also einer Föderation aus süddeutschen Bundesländern jenseits von Preußen und Österreich. Dieser „Südbund“ hätte sich im Wesentlichen aus dem Großherzogtum Baden, dem Königreich Württemberg und dem Königreich Bayern konstituieren können, wenn die Geschichte ein wenig anders verlaufen wäre. Ein Gleichgewicht aus drei größeren, eigenständig agierenden und sich gegenseitig ausbalancierenden deutschen Staaten hätte womöglich verhindert, dass sich die deutschen Völker durch die beiden verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts ins Abseits der Geschichte manövrierten.

Der Verlauf der Geschichte hängt von Zufällen ab. Also lassen Sie mich mal mit ebendiesen ein wenig herumspinnen …

Nach dem Deutschen Krieg von 1866 treten die süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern nicht dem preußisch dominierten Norddeutschen Bund bei, sondern gründen stattdessen mit der feierlichen Unterzeichnung des Bündnisvertrags zwischen König Ludwig II. von Bayern, König Karl von Württemberg und dem Großherzog Friedrich I. von Baden im Residenzschloss in Ludwigsburg 1867 den unabhängigen „Süddeutschen Bund“.

Dieses „Dritte Deutschland“ entsteht als konföderale Allianz, unterstützt von Frankreich und dem durch die Niederlage von Königgrätz geschwächten Österreich, um die preußische Hegemonie zu kontern. Der Südbund ist katholisch geprägt, wirtschaftlich auf Landwirtschaft und frühe Industrialisierung ausgerichtet und orientiert sich kulturell stärker an Wien und an Norditalien als an Berlin. Die Gründung verhindert die deutsche Einigung von 1871 und führt zu einer fragmentierten deutschen Landschaft mit drei Hauptakteuren: dem protestantisch-preußischen Norddeutschen Bund, dem multiethnischen Österreich-Ungarn und dem konservativen Südbund.

Aus Karlsruhe, Stuttgart und München werden Abgesandte nach Ludwigsburg geschickt, Staatsgäste werden auf Schloss Solitude eingeladen, doch etabliert sich keine Hauptstadt, weil der starke Wunsch nach Souveränität der Einzelstaaten jeden Zentralismus verhindert. Auch innerhalb von Baden, Bayern und Württemberg haben die Regionen wie der Schwarzwald, die Schwäbische Alb, Hohenlohe, Oberschwaben, Allgäu, Franken, Niederbayern und so weiter weitgehende Autonomie, auch die Gemeinden besitzen weitreichende Autonomierechte bis hin zum Recht auf Sezession. Gemeinderecht bricht Landesrecht, Landesrecht bricht Bundesrecht.

Nach außen hin pflegt der Südbund vitale Beziehungen mit Frankreich unter Napoleon III., das wirtschaftliche und militärische Garantien bietet, um Preußen einzudämmen, während Österreich mit dem Südbund paktiert, um slawische Unruhen in seinem Reich in Schach zu halten. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 findet nicht statt, da Preußen ohne süddeutsche Unterstützung viel zögerlicher agiert. Der Südbund bleibt gegenüber Preußen und seinen permanenten Scharmützeln neutral und profitiert stark von Handelsabkommen mit Frankreich und Italien.

Da die Revolutionen von 1848/49 im Südbund weitgehend erfolgreich verlaufen waren, war die Saat dafür gelegt, dass die Staaten des Südbunds – isoliert von preußischer Unterdrückung – liberale Verfassungen einführen, inspiriert von der Frankfurter Nationalversammlung, den USA, der Schweiz und den Niederlanden. Liberale Kräfte, gestützt von einer bürgerlichen Mittelschicht, kämpfen für eine föderale Verfassung, bei der die Einzelstaaten weitreichende Autonomie in Finanzen, Bildung, Justiz und Kultur behalten, ähnlich dem Schweizer Modell.

Der Südbund wird von Anfang an als lockere Konföderation konzipiert, mit einem schwachen Zentralparlament in Ludwigsburg und starkem Vetorecht der Länder und der Regionen (ähnlich dem US-Senat oder dem historischen Deutschen Bund). Liberale Denker wie Constantin Frantz, der föderale Ideen propagiert, gewinnen Einfluss, um eine „freie Föderation“ zu schaffen, die individuelle Freiheiten, wie zum Beispiel Pressefreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit oder Versammlungsrecht, stärker schützt als in allen anderen deutschen Staaten.

Der durch seine Zollfreiheit handelsstarke Südbund wird ohne die preußische Dominanz wirtschaftlich unabhängig, Allianzen mit Frankreich und Italien ermöglichen den Technologietransfer und die Beschaffung von Rohstoffen. Historisch war der Süden agrarisch geprägt, aber mit Fokus auf Maschinenbau rund um Stuttgart, Chemie in Nordbaden, Eisenbahnbau in Franken, und durch die Einführung der Gewerbefreiheit in allen Regionen wird eine frühe und starke Industrialisierung möglich. Dadurch entsteht eine bürgerliche Klasse, die liberale Reformen durchsetzt – ähnlich wie in Großbritannien im 19. Jahrhundert, wo Industrialisierung für liberale Regierungen sorgte. Dies führt zu einer freiheitlichen Wirtschaft: geringe Staatsquote, wenig Staatsintervention, starker Freihandel, innovativer industrieller Fortschritt, Schutz vor Monopolen.

Der Südbund bleibt im Ersten Weltkrieg neutral; ohnehin verläuft der Krieg in Europa durch die Teilung Deutschlands in Nord- und Südbund weniger heftig. Die fehlende Kriegsbeteiligung hilft dem Südbund, eine stabile goldgedeckte Währung aufzubauen. Die starke Prosperität begünstigt soziale Reformen wie Bildung für alle und Arbeitsschutz. Eine starke Mittelschicht fördert republikanische Ideen und direktdemokratische Elemente wie beispielsweise die Direktwahl von Polizeichefs und Richtern und Volksabstimmungen über Sachthemen wie in der Schweiz.

Der katholisch geprägte Südbund entwickelt im frühen 20. Jahrhundert eine liberale Katholizismus-Variante mit starker Betonung der individuellen Freiheit und der individuellen Verantwortung, beeinflusst von Aufklärung und Reformkatholizismus und unter dem starken Eindruck von Papst Leo XIII. Die Trennung von Kirche und Staat wird konsequent durchgesetzt, was auch die Bedeutung der Kirche in der konservativen, in Traditionen verwurzelten Bevölkerung stärkt.

Da der Erste Weltkrieg ohne Beteiligung des Südbunds viel glimpflicher abläuft, gibt es keinen Vertrag von Versailles, weshalb der Zweite Weltkrieg nicht stattfindet. Der Südbund meidet, anders als Österreich, den Faschismus und im Gegensatz zum preußischen Norddeutschen Bund auch den Kommunismus. Stattdessen entwickelt sich der Südbund zu einer dezentralen, liberalen Republik, in der die Ideen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie erfolgreich umgesetzt werden.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steigt der Südbund zur weltweit führenden Industriemacht auf, erzielt das weltweit höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, ist die Nummer eins im globalen Freiheitsindex, macht die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA) unter Beteiligung von Italien, Frankreich, Großbritannien, Skandinavien, der Schweiz und Israel zum stärksten Wirtschaftsraum der Welt und hält mit seiner hochgerüsteten Verteidigungsarmee den sozialistischen Nordbund und das zerfallende austrofaschistische Österreich in Schach.

Im Jahr 2015 beginnt der Südbund mit der Besiedelung des Mars und gründet die Marskolonie „Solitude“.


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