„Milei, abgewickelt“: Wie man einen Mythos fachgerecht dekonstruiert
Exquisit vorexerziert von Prof. Hans-Hermann Hoppe
Als ich zum ersten Mal davon las, dass ein gewisser Javier Milei sich zur Wahl als argentinischer Präsident stellte und vor allem, dass er – durchaus in Anlehnung an Donald Trump – versprach, „den Sumpf“ der Korruption und Misswirtschaft angeblich austrocknen zu wollen, tat ich sofort das, was ich in solchen Fällen immer tue (und was man generell machen sollte): Hintergrundrecherche. Wer ist dieser Milei, woher kommt er, welche beruflichen Verbindungen hat er? Ah, okay: Arbeitete jahrelang als Berater für die „G20“-Staatengruppe. Obwohl er Staaten laut eigenem Bekunden abgrundtief hasst und danach trachtet, sie möglichst ganz abzuschaffen. Das ist zwar schon eine deutlich gehobene Augenbraue wert, beweist aber noch nicht allzu viel: Vielleicht sah er sich selbst ja als eine Art Trojanisches Pferd, um „von innen heraus“ die ersehnten Veränderungen herbeizuführen. Inwieweit das einem einzelnen Männlein überhaupt gelingen könnte, der gegen runde zwanzig Staaten steht, sei dahingestellt. Jedenfalls empfand ich seine Bekundungen als nicht sehr glaubhaft.
Diese erste Ahnung wurde noch dadurch untermauert, dass ich im Zuge meiner Recherche zu Milei auf einen älteren Artikel aus seiner Feder stieß – den ich auf ef-online auch vorgestellt hatte – in dem er ausgerechnet den Fiat-Helikopterpiloten Ben Bernanke, ehemals Direx der Federal Reserve, in den allerhöchsten Tönen lobte und ihn als einen der kompetentesten und klügsten Zentralbanker bezeichnete. Er sprach sich ferner ausdrücklich für genau diese Geldpolitik aus, also die „debitistische“ beziehungsweise keynesianische, das Wirtschaften auf Pump – die man nun wirklich nicht libertär, gar anarchistisch oder freimarktwirtschaftlich nennen kann. Warum ein selbsternannter „Anarchokapitalist“ dafür Partei ergreifen sollte, blieb rätselhaft – ungeachtet des leider viel zu vorschnell losgetretenen Milei-Hypes um einen „Reformer“, der noch gar nicht angefangen hatte, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal im Amt war. Es blieb bei bloßen Versprechen und großen Ankündigungen. Was ist nun von der Erzählung übriggeblieben, Milei sei ein „Hoffnungsträger“?
Natürlich könnte man sarkastisch werden und scherzen: Ein Libertärer, der allen Ernstes als Präsident an die Spitze eines Staates (!) will, um etwas zu ändern, wolle wohl unbedingt die Definition eines Oxymorons auf die Spitze treiben. Nein, da hilft leider auch das Scheinargument nicht weiter, man könne ja versuchen, den „Feind“ in trojanischer Weise zu nutzen: Echter Libertarismus braucht eben keine staatlichen Strukturen, um seine Ideale zu verwirklichen. Das wäre ja schon der erste und fundamentale Kardinalfehler. Doch um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Was hat Javier Milei denn nun tatsächlich geändert? Nicht nur wegen der profunden Analyse von Mileis Politik, sondern schon allein aus stilistischen Gründen lohnt sich ein etwas längerer Auszug aus Hoppes Artikel „Javier Milei Unraveled. No Crying in the Casino!“, erschienen am 26. August 2025 auf der Website Lew Rockwells: „Während seines ersten Amtsjahres nutzte Milei seine freiheitlich-marktwirtschaftliche Fernsehroutine, um vorzugeben, der argentinischen Wirtschaft wirtschaftliche Freiheit zu bringen, brach jedoch sein Wahlversprechen, die Zentralbank zu schließen, und versuchte stattdessen, sie zu retten, indem er ihre Schulden zu den Staatsschulden hinzufügte; er brach sein Versprechen, die Inflation durch eine Verdopplung oder Verdreifachung der Geldmenge zu bekämpfen; er brach sein Versprechen, keine Steuern zu erhöhen; er beantragte eine Rettungsaktion des IWF und stellte dieselben Banker von J.P. Morgan ein, die Argentinien in Schulden in Höhe von mehreren zehn Milliarden Dollar getrieben hatten, um die wichtigsten Positionen in seiner Regierung und der Zentralbank zu besetzen. Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen, und all das Gerede über den freien Markt im Wahlkampf wich dem gleichen alten Fiat-Banksterismus. In der gesamten Geschichte des IWF waren seine Kredite immer der letzte Ausweg für gescheiterte Regierungen, ein Eingeständnis des wirtschaftlichen Versagens und eine Verpfändung der nationalen Souveränität und des Reichtums künftiger Generationen auf der Suche nach ein paar schnellen Dollars – um gescheiterten Führern zu helfen, an der Macht zu bleiben. Aber Milei und seine Bankster-Kumpane haben den neuen IWF-Kredit auf urkomische und schamlose Weise wie einen Triumph gefeiert, wobei Luis Caputo [Finanzminister Argentiniens, meine Anmerkung] in einer Rede seiner Frau und seinen Kindern für ihre Unterstützung während der Verhandlungen dankte, als hätte er einen Oscar gewonnen, obwohl er gerade erst erfolgreich Generationen von Argentiniern mit US-Dollar-Schulden belastet hatte. Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor eine Regierung gesehen zu haben, die einen IWF-Kredit so gefeiert hat.“
Hoppe verweist auf die Tatsache, dass Argentinien sich mit seinen neuen IWF-Krediten von insgesamt 20 Milliarden Dollar mit der traurigen Tatsache brüsten kann, die höchsten Schulden aufgenommen zu haben, die ein Staat jemals in der Geschichte seit dem Bestehen des IWF dieser Organisation gegenüber hatte. Dies ging sogar so weit, dass einige führende IWF-Beamte zurücktraten oder sich weigerten, solche schlicht irrational hohen Kredite zu gewähren, woraufhin manche von ihnen entlassen wurden. Und das will wirklich was heißen – denn der IWF, wie das „Wall Street Journal“ vor einigen Jahren berichtete, „lebt von der Krise“. In den Worten Hoppes verstieß man dabei „sogar gegen die eigenen rücksichtslos niedrigen Standards des IWF“.
Doch das ist noch nicht alles: „Der eigene Bericht des IWF über die Schulden räumte praktisch ein, dass die Schulden des Landes nicht zurückzahlbar sind. Die Kredite Argentiniens machen nun wahrscheinlich mehr als 40 Prozent des gesamten Kreditportfolios des IWF aus! Man kann zu diesem Zeitpunkt mit Fug und Recht sagen, dass der IWF in erster Linie existiert, um Argentinien Kredite zu gewähren – dank der unendlichen Zahl argentinischer Betrüger, die bereit sind, den Reichtum ihrer zukünftigen Generationen zu verpfänden. Aber es bleibt nicht nur beim IWF! Milei hat sich weitere zwölf Milliarden Dollar von der Weltbank (WB) und zehn Milliarden Dollar von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) geliehen, sodass insgesamt 42 Milliarden Dollar von internationalen Institutionen aufgenommen wurden, die zu den ohnehin schon enormen Staatsschulden hinzukommen. Die Kosten für den Schuldendienst und die bestehenden Schulden sind enorm und machen alle Anpassungen des Haushaltsplans bedeutungslos. Und als Krönung des Ganzen hat Milei die wenigen Reste der einst bedeutenden Goldreserven Argentiniens nach London verschifft, um schnelle Gewinne zu erzielen.“
Hoppes Artikel lässt wirklich keine Wünsche an Deutlichkeit offen. Kreide für den Wolf? Zu milde. Hoppe feuert eine Silberkugel nach der anderen in das Herz des Werwolfs, und zwar nicht nur auf staatlicher Ebene, denn er ist natürlich ausreichend gebildet, um die Erpressungsmethoden der Finanzeliten sehr genau zu kennen. Für die Laudatio-praecox-Jubelanten, denn es noch vor allen empirischen Beweisen nicht schnell genug gehen kann, irrationale Hypes loszutreten, findet Hoppe ebenfalls genau die richtigen vernichtenden Worte: „Der durchschnittliche Makroanalyst unterscheidet sich von einem durchschnittlichen Krypto-Influencer in den sozialen Medien hauptsächlich durch bessere Grammatik und ein geringeres Einkommen. Und Milei hat nun die seltene Auszeichnung, ein erfahrener Veteran beider Märkte zu sein, da er ‚Wirtschaftswunder‘-Anleihen mit Tweets kombinierte, um Trottel zu ermutigen, in eine Memecoin zu investieren, um das Wirtschaftswachstum Argentiniens und kleine Unternehmen zu unterstützen, und sie dann innerhalb weniger Stunden zu betrügen, wobei sein Team mit mehreren zehn Millionen Dollar davonkam.“
Dieses Vorgehen ist auch bekannt als „Pump and Dump“: aufpumpen und abstoßen. Es handelt sich, wie Hoppe richtig bemerkt, um Betrug. Die „Tech“-Oligarchen in der Trump-Regierung bedienten sich ebenfalls solcher Pump-and-Dump-Vehikel. Das Schema ist immer dasselbe: Eine Gruppe von Insidern investiert in einer abgesprochenen Aktion hohe Millionensummen in eine bestimmte Kryptowährung, beispielsweise in die in obigem Zitat erwähnten „Memecoins“ – oder setzt sie gleich selber auf. Durch die hohen Investitionen wird der Kurs nach oben getrieben. Zahlreiche kleinere Privatanleger springen auf – in der Hoffnung auf satte Gewinne. Ist der „Wert“ einer solchen Coin erst (künstlich) weit genug gestiegen, steigt die Gruppe der Insider kollektiv aus, um die Gewinne mitzunehmen. Durch den Ausstieg mehrerer führender Investoren, die die betreffende Währung ja überhaupt erst „überhypt“ haben, fällt der Kurs natürlich wieder: Die kleineren Anleger schauen in die Röhre und fragen sich, ob der Kurs jemals wieder solche Steigerungen hinlegen wird. Wird er nicht. Er wird den Rest seines Daseins recht ereignislos vor sich hindümpeln (wie man an den Kursen vieler Pump-and-Dump-Kryptos zum Beispiel auf Bitpanda selber anschaulich studieren kann). Man kann es Hoppe kaum verübeln, wenn er unter anderem deshalb von „Shitcoins“ beziehungsweise vom „Shitcoin-Casino“ spricht.
Ähnliches gilt für Staatsanleihen. Hoppe: „Die traurige Realität ist, dass die Abwertung von Fiat-Währungen eine Nachfrage nach Renditen aus Staatsanleihen schafft, und überall auf der Welt wird viel Geld durch staatliche Regulierung gezwungen, in Staatsanleihen zu fließen – unter dem lächerlichen Vorwand, diese seien die sicherste Anlage. Das bedeutet einen riesigen gefangenen Markt von hilflosen Opfern für Insider und Banken, auf dem sie Staatsanleihen hochpumpen und dann abstoßen können – und die Fiat-Finanzmedien sind der Rattenfänger, der Menschen weltweit in diese Betrügereien lockt.“
Ich hoffe, mit diesen wenigen Auszügen Ihnen, werte Leser, Appetit auf Hoppes großartigen Artikel gemacht zu haben. Jedenfalls wurde viel zu schnell viel zu viel Wirbel um einen „Reformer“ gemacht, der keiner ist. Es hätte genügt, einfach besonnen zu bleiben, und vor allem, einen Blick darauf zu werfen, welche Politik Milei wirklich macht. Ähnlich wie bei Trump wurde jedoch sofort drauflosgekreischt wie in der ersten Reihe eines Boygroup-Konzerts. Das ist einfach nur unreifes Verhalten. Zum Abschluss noch ein paar Schüsse aus Hoppes Scharfschützengewehr: „Ohne die Inflation zu beenden, wurden Mileis libertäre und österreichische Wirtschaftstheorien für die unlibertärsten und unösterreichischsten Zwecke missbraucht, die man sich vorstellen kann. Gerade als es so aussah, als sei das Fiat-Anleihe-Ponzi-Schema in Argentinien beendet und nicht mehr zu retten, holten dieselben Bankster, die Argentinien in diese Lage gebracht hatten, diesen Clown aus den Fernsehstudios, um ihn als antiinflationären österreichischen Ökonomen im Präsidentenamt auftreten zu lassen und so die Illusion zu schaffen, dass die Finanzen und der Peso der argentinischen Regierung gerettet werden können, Millionen von Argentiniern dazu zu verleiten, ihre Bargeldersparnisse in Dollar wieder in das schwarze Loch des argentinischen Bankensystems einzuzahlen, und mehr Trottel dazu zu bringen, im Casino mit Staatsanleihen zu spielen, anstatt produktive Arbeit zu verrichten. Was hat diese extreme Inflation und Verschuldung Argentinien nun konkret gebracht? Wenn man die wirtschaftlich ungebildete internationale Finanzpresse liest, dann hat Milei ein vermeintliches Wirtschaftswunder vollbracht, weil das BIP-Wachstum wieder angezogen hat, während Inflation und Armut zurückgegangen sind und der Haushalt ausgeglichen wurde. Das ist Unsinn, und die Tatsache, dass dies so stark propagiert wird, spricht Bände über die Rolle, die die internationale Finanzpresse bei der Förderung der Schuldknechtschaft durch den IWF und die Bankster sowie des Bondmarkt-Shitcoin-Casinos spielt. Und seine Fans bekamen auch leere, dumme Theatralik mit Kettensägen und vulgären Reden.“
Bis nächste Woche.
Nachträgliche Anmerkung: Als der Artikel das erste Mal auf Rockwells Website erschien, war Prof. Hans-Hermann Hoppe als dessen Verfasser angegeben – auch zum Zeitpunkt der Abfassung meines Kolumnenbeitrags stand dort immer noch, er stamme von Hoppe. Dies wurde erst später in „Saifedean Ammous“ geändert.
Englische Version: Javier Milei Unraveled
Deutsche Übersetzung: Javier Milei, abgewickelt
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