16. September 2025 16:00

Libertarismus in Gefahr? Kontroverse um Javier Milei

Libertäre sind gefordert, sich von Politikern zu emanzipieren. Ohne Ausnahme.

von Christian Paulwitz drucken

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Bildquelle: Marco Iacobucci Epp / Shutterstock.com Spaltet die libertäre Szene: Argentiniens Präsident Javier Milei

„Es wird der Sache der Freiheit schaden, wenn es Regierungen gibt, die wir mit einem zugekniffenen Auge bewerten. Hüten wir uns also davor; nur so können wir Menschen, die heute noch an Politik glauben, für die Freiheit gewinnen, wenn die Zeit für sie reif ist.“

So schloss ich meine Kolumne am 1. April des Jahres und hatte dabei vor den Risiken gewarnt, die Trump-Administration in ihren positiven Ansätzen gegen das sozialistische Establishment zu wohlwollend und unkritisch wahrzunehmen. Anlass war Trumps Zollpolitik, die mit libertären Maßstäben nun einmal nicht zu rechtfertigen ist. Das Hin und Her bei der Zollankündigung legt zudem den Verdacht nahe – ich kann es nicht belegen –, dass Insider mit dem Wissen um den Zeitpunkt der jeweiligen Ankündigung und Rücknahme von Zöllen, auf dem Finanzmarkt gezielt Kasse machen konnten und das daher aller Wahrscheinlichkeit nach auch getan haben. Eines der vielen Geschäftsmodelle, die eine Regierung so bieten kann, auf Kosten anderer.

Zuvor merkte ich in ebenjener Kolumne an, dass mir Milei authentisch erschien – noch ist er keine zwei Jahre im Amt als argentinischer Präsident. Nach der Ankündigung des deutschen Mises-Instituts zur Verleihung des „Gedächtnispreises zu Ehren Ludwig von Mises“ ist mittlerweile jedoch die Kontroverse um seine Einordnung unter den Libertären auch in Deutschland voll entbrannt. Drei Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats – Hans-Hermann Hoppe, Jörg Guido Hülsmann und Rolf W. Puster – haben aus Protest ihren Rücktritt erklärt. Freiheitsfunken-Kollege Andreas Tank – alias „Der Rosarote Panzer“ – ist der Kritik nachgegangen und hat einige Aspekte in einem Video – unten verlinkt – gebündelt. Eine Basis dafür waren die Artikel von Oscar Grau auf der Seite des amerikanischen Mises-Instituts. In seinem Ferngespräch vorletzte Woche auf den Freiheitsfunken mit dem italienischen Libertären Alessandro Fusillo legten beide noch einmal nach. Auch Axel B.C. Krauss hat hier auf den Freiheitsfunken vergangene Woche bereits Position bezogen. Ich werde dies mit diesem Artikel auch tun.

Dabei habe ich mich dabei durchaus schwergetan und angesichts eines begrenzten Zeitbudgets eine Weile gebraucht, um mir einen Standpunkt zu erarbeiten. Letzte Woche war ich noch nicht so weit, weswegen meine Kolumne ausfallen musste und diese hier dafür etwas länger wird. Denn diese Auseinandersetzung ist unbedingt notwendig.

Libertäre auf dem Feld der Politik, oder gar Anarchokapitalisten, als welcher sich Milei selbst bezeichnet, mit dem selbst auferlegten Ziel, das politische Konzept des Staates von innen heraus zu zerstören oder wenigstens zu erschüttern und den Staat entsprechend zurückzuschrauben, werden mit den Zwängen auf dem Feld, das sie betreten, Kompromisse machen müssen. Ich sehe durchaus das Argument, das Philipp Bagus anführt: „Der libertäre Politiker muss manchmal Kompromisse eingehen, ohne jemals in die falsche Richtung zu steuern.“ Ich habe mich selbst damit auseinandergesetzt und immer wieder meine Kompromisse gemacht und mache sie auch immer noch. Man lebt schließlich in einem Staat. Die Frage ist jedoch, wo die Grenze ist, wo kein Kompromiss mehr gemacht werden kann, um die eigene Korrumpierung durch die Politik – die größte Gefahr überhaupt – vermeiden zu können. Der von der Politik korrumpierte Liberale oder Libertäre schadet der Sache der Freiheit eben mehr als der bekennende Sozialist.

Nicht nur Politiker stehen in der Gefahr der inneren Korruption – auch ihre Anhänger. Weckt eine politische Ausnahmeerscheinung einmal Hoffnungen, so kann die Entschuldigung von Dissonanzen mit äußeren Zwängen leicht zur eingeübten Gewohnheit werden. Wie immer wirken sich nicht die überschwänglichen Ankündigungen von Politikern, sondern die Ergebnisse ihrer Politik konkret auf das Leben der Menschen aus. Ich will hier drei Bereiche der Politik Mileis herausgreifen und dabei angesichts der Schwierigkeit seiner Aufgabe im Zweifel Argumente zu seinen Gunsten gelten lassen, um deutlich zu machen, wo ich meine Schmerzgrenze überschritten sehe: seine Außenpolitik, seine Personalpolitik in seinem Regierungskabinett sowie seine Geld- und Finanzpolitik.

Es ist immer wieder überraschend, wie stark sich die Menschen anhand der Politik Israels in Lager spalten lassen – oder auch anhand des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine. Während die einen verinnerlicht haben, dass Staaten generell von Räuberbanden – wenn auch unterschiedlicher krimineller Qualität – regiert werden, deren innen- wie außenpolitischen Aktivitäten, um es vorsichtig zu formulieren, ihren jeweils eigenen und nicht unbedingt den Interessen der von ihnen bewirtschafteten Bevölkerungen folgen, gibt es bei anderen Menschen, die sich durchaus sehr weitgehend als libertär verstehen können, nicht hinterfragbare Ausnahmen, wenn es um bestimmte Staaten und Konflikte geht. Die selektiv vorhandene, unbedingte politische Treue eines Libertären – beispielsweise zur Kriegspolitik Israels – ist für mich immer so ein Zeichen, dass es sich eigentlich um einen Konservativen handelt, der in vielerlei Beziehung sehr freiheitlich denken mag, aber nicht so weit gehen kann, Politik selbst als das Problem zu betrachten, auch wenn er sich an anderer Stelle vielleicht so äußert. Er fühlt sich offenbar einem politischen Kollektiv verbunden und kann den Konflikt nicht aus einer Position des unabhängigen Individuums beobachten.

Ich will das an dieser Stelle gar nicht kritisieren, sondern nur feststellen.

Entsprechend verletzt Milei mit seiner außenpolitischen Positionierung auf Seiten von USA, Israel oder der Ukraine mit deren Narrativen für die einen sein anarchokapitalistisches Bekenntnis und stellt damit seine Authentizität in Frage, während für andere gerade die Kritik daran ein Sakrileg darstellt und als Schmähung eines freiheitlichen Politikers womöglich noch aus niederen Beweggründen – Antisemitismus, Putinpropaganda-Gläubigkeit – verstanden wird; die Giftspritzen sind bei diesen Themen so schnell entsichert wie bei keinem anderen. Angesichts der geringen Bedeutung Argentiniens für die Konflikte in anderen Weltregionen kann ich persönlich die Position Mileis als außenpolitische Allianzbildung und Zugeständnisse verbuchen, um nach innen zur Umsetzung einer freiheitlichen Agenda den Rücken freizuhaben – sollte dies der Hintergrund sein, was von außen schwer zu beurteilen ist.

Wichtiger wäre dabei jedoch, sich mit dem richtigen Personal zu verbinden, mit dem man seine Agenda umsetzen kann. Da befremdet doch die Aussage von Alessandro Fusillo im Gespräch mit Andreas Tank, Milei habe praktisch keinen Kontakt zur libertären Szene Argentiniens. Sieht man sich sein Ministerpersonal an – alle Ministerien hat er ja nun nicht abgeschafft –, findet man noch mehr Befremdliches zu deren Hintergrund. Zwei ehemalige Zentralbanker finden sich darunter – Frederico Sturzenegger (2015-2018), der Minister für Deregulierung und Staatsumwandlung, sowie Luis Caputo (2018 als dessen kurzzeitiger Nachfolger), nunmehr Wirtschaftsminister. Caputo hatte 1994 bis 2008 Karriere bei JP Morgan und der Deutschen Bank gemacht – das ist allerdings auch schon eine Weile her und taugt daher nicht unbedingt zu einer Einordnung. Man kann solche Hintergründe natürlich leicht aneinandergereiht auflisten und dabei ein fragwürdiges Bild erzeugen, wie es auch der „Panzer“ in seinem Video gemacht hat – möge bitte jeder die dortigen Informationen selbst einordnen. Versucht man, selbst etwas nachzurecherchieren, um sich ein Bild zu machen, finden sich auch relativierende Aspekte, was ich nicht verschweigen möchte. Generell fragt man sich da: Wie schaffen es eigentlich Menschen, von der Wahl einer bestimmten Person überzeugt zu sein, von der sie nichts wissen außer einem medial erzeugten Bild?

Seine Sicherheitsministerin Patricia Bullrich beispielsweise – vor langer Zeit auch einmal aktiv in der peronistischen Jugend, später Sicherheitsministerin in der Regierung Macri bis 2019 und bekannt für ihre harte Linie gegen Proteste – hatte er zwar im Wahlkampf als Wettbewerberin hart attackiert. Als diese jedoch als Dritte nicht mehr in die Stichwahl kam, arrangierte er sich mit ihr noch vor seiner Wahl, um ihre Unterstützung bei der Stichwahl zu bekommen.

Das sind die Spiele auf dem Feld der Politik, wenn man sich auf dieses begibt. Klar, dass sie nach der Wahl Mileis einen Posten bekommt; ein Politiker ist nicht frei in seinen Personalentscheidungen, auch wenn das formal so zutreffen mag. Andererseits macht das Politik eben auch so schwer einschätzbar, weil man nie wissen kann, welche Netzwerke im Hintergrund aktiv sind und ihre Tribute vom Bühnenpersonal einfordern.

Sturzenegger kam offenbar mit Bullrich ins Personalboot. Als Zentralbanker trieb er seinerzeit digitale Zahlungsmethoden – zum Beispiel über das Mobiltelefon – voran. Das Interesse eines staatlichen Zentralbankers liegt dabei wohl eher weniger auf der Bequemlichkeit und Unabhängigkeit der Nutzer. Dass mit zwei ehemaligen Zentralbankern im Kabinett diese Zentralbank nicht so leicht zu „sprengen“ ist, versteht man langsam. Aber das ist letztlich der Punkt, an dem sich ein als Anarchokapitalist angetretener argentinischer Präsident, der genau dies im Wahlkampf versprochen hat, messen lassen muss: Beendigung des Geldmonopols und der Staatsfinanzierung durch Verschuldung, Abschaffung von Preiskontrollen, Eindämmung des Staatssektors, drastische Reduzierung von Steuern.

Ohne Zweifel kann hier Milei Erfolge verbuchen: ein ausgeglichener Staatshaushalt oder der Abbau von über 50.000 Staatsangestellten – etwa ein Sechstel. Die Ministerien wurden, anders als im von uns geliebten „Afuera“-Video angekündigt, jedoch nicht abgeschafft, sondern nur umstrukturiert. Kritiker halten den Staatshaushalt auch nur dann für ausgeglichen, wenn man die Kosten des Schuldendienstes nicht mitrechnet – damit sieht die Erfolgsbilanz schon deutlich anders aus. Die Zentralbank wird von Milei zur Staatsfinanzierung benötigt – das ist der aktuelle Befund. Die Geldmenge wurde nicht „eingefroren“, sondern hat sich alleine innerhalb des letzten Jahres verdoppelt, Skepsis beim gezeichneten Gesamtbild ist also angebracht.

Fast noch übler finde ich allerdings den Deal mit IWF und Weltbank – das sind ja nun keine karitativen oder mit seriösen Geschäftsmodellen und eigenem Vermögen arbeitende Organisationen, sondern Akteure zur Durchsetzung politischer Interessen auf Kosten anderer. Bereits zuvor war Argentinien mit 44 Milliarden US-Dollar der größte Schuldner des IWF; nun kommen noch einmal 20 Milliarden (!) dazu, sowie noch einmal 12 Milliarden von der Weltbank. Unterdessen hat eine zu 69 Prozent verzinste Pesos-Anleihe nicht genügend Abnehmer gefunden – entweder wird dadurch der vom Markt erwartete, bevorstehende Staatsbankrott signalisiert, oder einige Insider werden ungeachtet dessen eine von IWF-Krediten abgedeckte Super-Rendite einfahren. Es ist schon erstaunlich, wie viel noch aus dem Eigentum der Bewohner eines längst bankrotten Staates an intransparente Netzwerke verkauft werden kann.

Unterdessen hat Milei viel Vertrauen dadurch verloren, dass er sich als Werbemaskottchen für das windige Geschäftsmodell der Kryptowährung „$Libra“ hergegeben hatte, mit dem er angeblich das Wirtschaftswachstum über die Förderung kleiner Unternehmen und Startups ankurbeln wollte. Hört sich in etwa so richtig anarchokapitalistisch an wie Trumps Zollpolitik. Einige Sparer haben sich blenden lassen und in einen „Shitcoin“ investiert, mit dem dessen Schöpfer Kasse gemacht haben, während die Sparer alles verloren. Die bevorstehende Parlamentswahl wird nicht gut für Milei ausgehen. Der nächste offizielle Staatsbankrott – ob noch während oder nach seiner Amtszeit – wird ihm zugeschrieben werden und, nach Jahrzehnten korrupter sozialistischer Misswirtschaft und Verarmungspolitik, nun endlich voll und ganz dem „Raubtierkapitalismus“ und dessen „gefährlichsten“ Vertretern, den Anarchokapitalisten. Leider sieht es ganz danach aus, als ob Mileis Kampagne vor seiner Wahl am Ende zu einem Bumerang werden dürfte und libertäre Ideen auf Jahre hinaus diskreditieren wird.

Hoffentlich liege ich falsch.

Der Libertarismus ist in großer Gefahr!  (Christian Paulwitz, Freiheitsfunken)

Javier Milei ist ein Betrüger (Der rosarote Panzer, Youtube)

Milei entzaubert: Einfach nur ein effizienterer Räuber? (Freiheitsfunken)

Zu Mileis Verteidigung (Ludwig von Mises Institut)


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