08. Oktober 2025 18:00

EU-Überwachungspläne Warum die Chatkontrolle ein fundamentaler Angriff auf die Freiheit ist

Die Gefahr eines deutschen Ja

von Joana Cotar drucken

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Bildquelle: rvlsoft / Shutterstock Die Kontrolle der Chats: Der Anfang einer Dystopie

Was, wenn Ihr letztes „privates“ Gespräch bereits analysiert wird, noch bevor Sie es abschicken? Was, wenn sämtliche Messenger-Nachrichten systematisch gescannt werden, um vermeintlich illegale Inhalte aufzuspüren? Genau das ist die Idee hinter der sogenannten Chatkontrolle, einer Maßnahme, die unter dem Deckmantel des Kinderschutzes in der EU vorangetrieben wird. Auf den ersten Blick klingt es auch tatsächlich notwendig, denn wer könnte schon gegen den Schutz von Kindern argumentieren? Wer von uns will nicht gegen Kinderpornographie vorgehen?

Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Chatkontrolle als eine der gefährlichsten Überwachungsinitiativen unserer Zeit, als ein massiver Eingriff in digitale Freiheitsrechte und ein fundamentaler Bruch mit dem Prinzip der Privatsphäre.

Im Kern geht es um die Aufweichung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, dem vielleicht wichtigsten Sicherheitsinstrument, das wir in der digitalen Welt besitzen. Wenn Inhalte noch vor dem Versenden auf den Geräten der Nutzer gescannt werden (mit dem sogenannten Client-Side-Scanning), ist Kommunikation nicht länger vertraulich. Sie wird durchleuchtet, bevor sie überhaupt geschützt werden kann. Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatsphäre verliert jede Substanz, sobald staatliche Stellen oder durch sie verpflichtete Unternehmen direkten Zugriff auf persönliche Kommunikation haben.

Noch schwerer wiegt der sogenannte Chilling-Effekt. Sobald Menschen befürchten müssen, überwacht zu werden, verhalten sie sich anders. Sie wagen es nicht mehr, heikle Themen anzusprechen, und zensieren sich selbst. Was als Instrument gegen Kindesmissbrauch verkauft wird, bedroht also in Wahrheit die Meinungs- und Informationsfreiheit – auch die von Whistleblowern oder Oppositionellen, die auf geschützte Kommunikationswege angewiesen sind. Und selbst Journalisten wären davon betroffen.

Hinzu kommt, dass Technik fehleranfällig ist. Kein Algorithmus arbeitet fehlerlos, Falschalarme sind vorprogrammiert. Private Familienfotos könnten fälschlicherweise als verdächtig markiert werden, während Täter mit genügend krimineller Energie Mittel finden, die Filter zu umgehen. Damit werden riesige Datenmengen unbescholtener Bürger durchleuchtet, ohne dass die versprochene Wirksamkeit tatsächlich gewährleistet ist. Und natürlich ist da die Missbrauchsgefahr: Ist die Infrastruktur erst geschaffen, lässt sie sich leicht für andere Zwecke einsetzen, der Weg zur politischen Zensur ist dann nicht mehr weit.

Die Unvereinbarkeit der Chatkontrolle mit rechtsstaatlichen Prinzipien ist offenkundig. Eine anlasslose Massenüberwachung privater Kommunikation widerspricht sowohl dem Grundgesetz als auch der europäischen Grundrechtecharta. Schon heute liegen mehrere Gutachten vor, die die Verfassungswidrigkeit solcher Pläne attestieren. Sie schaffen einen dystopischen Überwachungsapparat. Trotzdem kämpft man in der EU weiter darum, die Chatkontrolle durchzusetzen – unsere Grundrechte werden einfach zur Seite geschoben.

Bislang spielte die deutsche Regierung eine Schlüsselrolle im Widerstand gegen diese Pläne. Doch die jüngsten Debatten lassen nichts Gutes erahnen. Während das Justizministerium wiederholt und zu Recht auf die Unvereinbarkeit mit Grundrechten hinweist, sendet das Innenministerium nun plötzlich Signale, man könne vielleicht doch „Kompromisse“ eingehen. Unfassbar. Sollte Deutschland im EU-Rat seine ablehnende Haltung aufgeben, bräche die entscheidende Sperrminorität weg und die Chatkontrolle würde Realität. Die Gefahr, dass die Bundesregierung tatsächlich „umkippt“, ist real, denn sie ist es ja auch, die die Vorratsdatenspeicherung vorantreibt.

Bei dieser Auseinandersetzung geht es um mehr als nur um Technik oder Sicherheit. Es geht um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen: in einer, in der Privatsphäre der Normalzustand ist, oder in einer, in der jeder Bürger permanent unter Generalverdacht steht und seine intimsten Gespräche und Fotos potenziell durchleuchtet werden. Die Chatkontrolle macht den digitalen Raum durchsichtig und normalisiert die Überwachung. Sie zerstört dabei jedes Vertrauen, das eine freie Gesellschaft in die Vertraulichkeit von Kommunikation haben muss.

Einmal mehr stehen wir an einem Scheideweg. Entweder verteidigen wir konsequent das Recht auf private, verschlüsselte Kommunikation oder wir akzeptieren eine dystopische Zukunft, in der Freiheit nur noch als Worthülse existiert. Deshalb darf es keinen Kompromiss geben. Die Chatkontrolle ist ein Anschlag auf das Fundament unserer Freiheit. Sie muss klar, eindeutig und endgültig zurückgewiesen werden – nicht morgen, sondern heute.


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