Staatliche Altersvorsorge: Umlagefinanziertes Pensionssystem und Demokratie
Ein Dilemma
von Andreas Tögel drucken

Umlagefinanzierte Pensionssysteme laufen in einer alternden Gesellschaft auf ein Pyramidenspiel hinaus. Wenn immer mehr Pensionsbezieher immer weniger Einzahlern gegenüberstehen, kommt es früher oder später zum Kollaps. Es handelt sich um ein Problem, vor dem alle europäischen Gesellschaften stehen. In keinem einzigen Staat Europas liegt die Geburtenrate über dem „Bestandserhaltungsniveau“, das 2,1 Geburten pro Frau verlangt. Der europäische Durchschnitt liegt derzeit bei 1,38 Geburten. Zum Vergleich: Die Fertilitätsraten in afrikanischen Staaten wie Niger, Somalia, Tschad und Mali liegen zwischen fünf und sechs Kindern pro Frau.
Die skandinavischen Länder, die Niederlande und die Schweiz verfügen zumindest über mehr oder weniger starke Anteile kapitalgedeckter Pensionsansprüche, was das demographisch bedingte Finanzierungsproblem reduziert. Ein ausschließlich umlagebasiertes Rentenfinanzierungssystem dagegen entspricht – anders als ein kapitalgedecktes – einem Leben von der Hand in den Mund. Was den Aktiven abgepresst wird, landet im selben Moment bei den Rentnern. Reserven gibt es nicht.
Nun zeigt sich allerdings in den vom demographischen Wandel betroffenen Ländern eine außerordentlich geringe Neigung der Wähler, dem Umstand der steigenden Lebenserwartung mit entsprechenden Reformen beim Pensionssystem zu begegnen. In Frankreich kam es im Jahr 2023 zu massiven Protesten, als die Regierung ankündigte, das gesetzliche Pensionsantrittsalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Trotz der Ablehnung dieser Reform durch rund zwei Drittel der Wähler und trotz der massiven Proteste der Gewerkschaften blieb die Regierung dennoch auf Kurs.
In Deutschland sprengte kürzlich Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und notorischer Linksausleger, mit der hochoriginellen Forderung nach einem „Boomer-Soli“ und einer Zwangsdienstverpflichtung für Angehörige der Babyboomer-Generation auf die Walstatt. „Wohlhabende“ Boomer sollen demnach zur Entlastung der Jungen auf einen Teil ihrer Renten verzichten, der an weniger begüterte Boomer umverteilt werden soll. Dass es sich auch bei Pensionsbezügen aus dem Umlagesystem um Versicherungsleistungen handelt, es somit einem Bruch des Versicherungsprinzips gleichkäme, eine „soziale Umverteilung“ innerhalb dieses Systems vorzunehmen, interessiert Professor Fratzscher offensichtlich kein bisschen. Der konsequente nächste Schritt wäre dann vermutlich, dass die „Reichen“ auch mehr für ihre Autohaftpflicht- und Haushaltsversicherungen bezahlen müssen als die weniger Begüterten. „Sozialer“ ginge es gar nicht!
Auch in Österreich tobt ein Grabenkampf um die Pensionsfinanzierung. Die Linken zeigen sich uneinsichtig, was die notwendigen Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherung der Pensionsfinanzierung angeht. Die rotgrünen Genossen verharren in ihrer Erkenntnisresistenz und erteilen jedem Vorstoß zu einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters eine klare Absage.
Die liberale Denkfabrik „Agenda Austria“ ließ zuletzt mit ihrer provokanten Forderung nach einer „Nulllohnrunde für die Pensionisten“ aufhorchen. Die in Aussicht genommene Pensionserhöhung um 2,7 Prozent würde 2,8 Milliarden Euro kosten, die durch die Nullrunde eingespart werden könnten. Die „Agenda Austria“ weist zu Recht darauf hin, dass in den zurückliegenden Jahren stets die kleinen Pensionen stärker angehoben wurden als großen. Das lässt sich zwar trefflich als soziale Wohltat vermarkten, widerspricht aber ebenfalls dem Versicherungsprinzip. Schließlich haben die Bezieher der höheren Pensionen jahrzehntlang größere Beiträge geleistet und damit auch ein Recht auf höhere Pensionsbezüge erworben. Wird dauerhaft nach der langjährigen Gewohnheit der stärkeren Erhöhung niedriger Pensionen vorgegangen, landet man früher oder später bei der „Volkspension“, die jedermann – ungeachtet der zuvor geleisteten Einzahlungen – in gleicher Höhe zusteht. Das kann man machen, gerecht ist es aber keinesfalls.
Das Pensionsdilemma, wie auch die in Deutschland derzeit losbrechende Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht, verdankt sich einem Webfehler der Demokratie, der mit dem Begriff Verantwortungslosigkeit am besten beschrieben ist. Fordern kostet schließlich nichts – fremder Leute Renten zahlen oder auf dem Schlachtfeld krepieren sollen nämlich die anderen. Kein Wunder, dass laut einer aktuellen Erhebung 72 Prozent der deutschen 60- bis 75-Jährigen eine allgemeine Wehrpflicht befürworten. Sie sind ja schließlich nicht davon betroffen – bei den 18- bis 35-Jährigen sind es hingegen nur 52 Prozent.
Aber zurück zur Rente: Der deutsche Ökonom und Bestsellerautor Roland Baader (1940–2012) stellte fest: „Sobald mehr als die Hälfte der Bevölkerung eines Landes ihr Einkommen ganz oder teilweise vom Staat bezieht, ist eine Umkehr auf dem Weg in die Knechtschaft nicht mehr möglich. Die Stallgefütterten wollen und können auf ihren Futtermeister nicht mehr verzichten.“
Will heißen: Der Wohlfahrtsstaat soll’s richten. Vor die Wahl Freiheit oder Gleichheit gestellt, entscheidet sich eine solide Mehrheit für Letzteres. Der dauerhafte Aufenthalt im Umverteilungsstaat, in dem jeder meint, auf Kosten der anderen leben zu können, zerstört am Ende jede Moral. Das Ausplündern des Nächsten wird rationalisiert und gerechtfertigt. Claude Frédéric Bastiat (1801–1850): „Wenn Plündern für eine Gruppe in der Gesellschaft zur Lebensart wird, schaffen sie im Laufe der Zeit ein Rechtssystem, das dies legalisiert, und einen Moralkodex, der es glorifiziert.“
Nur die wenigsten kommen auf die Idee, ins Haus ihres Nachbarn einzusteigen, um dort Wertgegenstände zu plündern oder den Tresor auszuräumen. Dieselben Zeitgenossen hegen aber keinerlei Skrupel, damit als politische Parteien getarnte Gangsterbanden zu beauftragen, die das für sie erledigen.
Fazit: Die einzig nachhaltige und das private Eigentum respektierende Form der Pensionsfinanzierung ist das Kapitaldeckungsverfahren. Jeder spart für sich selbst an und entscheidet, ab wann er den Kapitalstock aufzehren will. Die monatliche Höhe der Auszahlungen richtet sich dann nach der Höhe des Kapitals einerseits und der Bezugsdauer andererseits. Für die Versorgung von Sozialfällen sind Vorkehrungen außerhalb des Versicherungssystems zu treffen.
Wer wissen will, wie’s gemacht wird, der richte seinen Blick auf Chile, wo unter Federführung des „Chicago Boy“ José Piñera anno 1980 das Pensionssystem erfolgreich von einem Umlage- auf ein Kapitaldeckungssystem umgestellt wurde.
Pensionen: Wie wäre es mit einer „Null-Lohnrunde“?
Infografik: Wie stehen die Deutschen zur Wiedereinführung der Wehrpflicht? | Statista
Rentenversicherungssystem (Chile) – Wikipedia
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.