Libertarismus: Die immer gleichen Fragen und Anschuldigungen
Wie erhalten wir uns den Spaß an der Diskussion mit „Normies“?
von Sascha Koll
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Führen Sie im Netz manchmal Diskussionen über Libertarismus oder Anarchismus mit Freunden, Bekannten oder Fremden? Ich führe sie immer wieder. Und mittlerweile ist es ermüdend, ständig die gleichen Fragen beantworten zu müssen.
Die wohl berühmteste Frage ist die nach den Straßen: „Wer baut ohne Staat die Straßen?“ Meist wird gar keine Antwort auf das Problem erwartet, denn es handelt sich in den meisten Fällen um einen Vorwurf – jenen, dass die libertäre Weltsicht so naiv und einfach gestrickt sein müsse, dass man nicht mal darauf komme, dass es ohne Staat keine Straßen gäbe. Tatsächlich steckt hinter dieser Annahme die Ansicht, dass sich ohne Gewaltandrohung kein Geld auftreiben lasse, um Straßen zu bauen. Manchmal fragen mich die Leute über hypothetische Fälle aus: „Was ist, wenn jemand ein Haus mitten in der Pampa baut und es dort keine Straßen gibt?“ Sich selbst die Frage zu stellen, warum das jemand in Erwägung ziehen sollte, kommt gar nicht infrage. Auch nicht, warum sich der Eigentümer keine Gedanken gemacht hat, wie er zu seinem Grundstück kommt. Warum sollte es mein Problem sein, wenn jemand für sich selbst nachteilige Entscheidungen trifft? Warum bin ich plötzlich dafür verantwortlich, dass der Häuslebauer eine glatte asphaltierte Fläche zu seinem Haus bekommt? Die offensichtlichste Antwort ist doch: Der Eigentümer oder die Eigentümergemeinschaft kümmert sich selbst um die Zufahrtsstrecke. Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich der Fragesteller vor Stellen der Frage wenigstens fünf Minuten Gedanken machen würde, wie er das Problem für sich lösen könnte. Dann gäbe es auch nicht so viele Fragen wie „Wenn ich nun ein Haus gekauft habe und plötzlich entscheidet der Eigentümer der Straße, sie mich nicht mehr passieren zu lassen, was ist dann?“ Ich stelle dann gerne eine Gegenfrage: „Würdest du ein Haus kaufen, bei dem nicht sichergestellt ist, dass du dort hinkommst?“ Die Antwort lautet fast immer „Nein“. Wegerechte und Verträge sind ein Ding, auch heute schon. Diese kann man auch ohne Staat vereinbaren. Es gibt ganze Bücher und unzählige Diskussionsbeiträge von Libertären, wie Straßen in einer staatenlosen Gesellschaft erbaut, gewartet und finanziert werden können. Aber die Leute meinen tatsächlich, sie seien so viel schlauer, da sie den Libertarismus mit einer einzigen Frage widerlegen konnten. Als würden wir „Steuern sind Raub“ in die Welt herausposaunen und uns, wie sie selbst, keine Gedanken über die Lösung von Problemen einer staatenlosen Gesellschaft gemacht haben.
Die Fragen können aber noch perfider sein. „Waffenrechte? Willst du, dass Kinder sterben?“ und „Privates Gesundheitssystem, Polizei und Bildung? Sollen sich das alles nur noch die Reichen leisten können?“ sind solche, die direkt eine böswillige Absicht unterstellen. Nein, ich will nicht, dass Kinder sterben, und nein, ich will nicht, dass sich nur noch Reiche Gesundheit, Schutz und Bildung leisten können. Es ist fast zwecklos zu argumentieren, warum diese Vorwürfe haltlos sind. Der Fragesteller ist bereits so stark voreingenommen, dass er hinter jedem Lösungsvorschlag ebenfalls eine schmutzige Ausrede sieht, um von einer gewissenlosen Geisteshaltung abzulenken. Die Erzählung vom egoistischen Raubtierkapitalisten, der alles Geld zusammenrafft und weder Rücksicht nimmt noch hilfsbereit ist, wird einfach ohne zu hinterfragen geglaubt. Jeder, der für freie Märkte ist, muss doch Menschen ausbeuten und verrecken lassen wollen. Menschen, die mich nicht kennen und mit keinem einzigen Libertären jemals gesprochen haben, schreiben mir, ich sei das Böse in Person oder geistig minderbemittelt, weil ich die offensichtlichsten Probleme nicht erkenne. Ich möchte mich aber auch nicht über diese Leute erheben, da ich selbst auch noch vor wenigen Jahren meine politische Bildung aus der „heute-show“ bezog. Für mich war es ein jahrelanger Prozess, mir selbst die berechtigten Fragen dazu, wie eine Gesellschaft ohne Gewaltherrschaft realisiert werden könnte, zu beantworten. Viele Bücher mussten dazu gelesen, viele Gespräche geführt und auch Streits ausgetragen werden. Ich weiß, dass nicht jeder die Zeit findet oder aufwenden möchte, die ich aufgebracht habe, um die Zweifel auszuräumen, dass eine freie Welt möglich ist. Doch wünschte ich mir mehr Offenheit in der Debatte. Ich arbeite mit vielen Menschen zusammen, um die Ideen und Gedanken libertärer Denker zusammenzufassen, verständlich zu machen und zu verbreiten. Doch stellenweise scheint ein kurzer Textbeitrag oder ein Video von unter fünf Minuten auch noch zu viel zu sein. Von manchen kommt sogar noch der Vorwurf, dass das alles zu vereinfacht sei. Doch auch Verweise auf Bücher und lange Vorträge, die deutlich mehr ins Detail gehen, werden dann abgelehnt. Es scheint kein Interesse daran zu bestehen, ein Zusammenleben ohne Gewalt und deren Androhung zu erreichen. Oftmals stellt sich auch heraus, dass der Gesprächspartner selbst davon abhängig ist, dass jemand in seinem Auftrag friedliebenden Menschen Gewalt androht, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern.
Manchmal scheitern Diskussionen an der Offenheit für Argumente, manchmal an der Fähigkeit des Gegenübers, selbst zu argumentieren, manchmal gibt es persönliche Interessen für eine gewaltvolle Gesellschaft. Aber ich erlebe es auch, dass Libertäre nicht mit dem nötigen Einfühlungsvermögen auf die Ängste und Zweifel der Diskussionspartner eingehen. Ich habe in diesem Beitrag viel auf meine Mitdiskutanten geschimpft. Viele sind auch nicht mehr erreichbar, sie sind praktisch Überzeugungstäter. Nichtsdestoweniger halte ich es für sinnvoll, auch weiterhin Diskussionen in der Öffentlichkeit zu führen. Man muss nicht jedes Von-der-Seite-Anpöbeln zum Start einer Diskussion nutzen, vor allem nicht, wenn sie mit infamen Unterstellungen wie den obigen beginnen. Es muss schon ein ehrliches Interesse der anderen Seite bestehen, den libertären Standpunkt zu verstehen. Und man sollte auch nicht mit dem Ziel in eine Debatte gehen, den anderen zu zerstören oder erst aufzuhören, wenn er sich zum Anarcho-Kapitalismus bekennt. Manchmal ist ein „Ich bin zwar noch nicht völlig überzeugt, aber ich kann nachvollziehen, wie du zu deiner Auffassung kommst“ befriedigender als ein endloser Austausch von Vorwürfen. Es liegt auch viel an uns, Begegnungen mit Andersdenkenden angenehmer zu machen. Suchen Sie sich ihren Diskussionspartner aus, gehen Sie nicht auf jede Pöbelei ein und versuchen Sie, die Ängste des Partners zu verstehen und auf diese einzugehen. Dann macht der Meinungsaustausch auch wieder Spaß, und vielleicht lernen Sie sogar noch etwas über die Gedankenwelt, die Sorgen und Nöte der Etatisten. Und wenn Sie schon nicht den Kontrahenten überzeugen können, gibt es vielleicht einen Mitleser oder Zuhörer, der neugierig wird und sich in der Folge mit dem Libertarismus beschäftigt. Deswegen: freundlich und sachlich bleiben und Diskussionen, die zu eskalieren drohen, mit einer höflichen Verabschiedung verlassen.
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