Einfach durchgewunken: Sind auch Sie bald ein Volksverhetzer?
Anpassung des Paragraphen 130 StGB
von Sascha Koll
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Bisher brauchten sich nur wenige Menschen in Deutschland Gedanken darüber zu machen, ob sie eventuell wegen Volksverhetzung angezeigt oder angeklagt werden könnten. Das könnte sich jedoch mit einer kürzlich in aller Stille durchgeführten Anpassung des Gesetzes ändern.
Der Paragraph 130 im Strafgesetzbuch stellte bisher einen relativ eingegrenzten Bereich von Meinungsäußerungen unter Strafe und schränkte dadurch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ein. Darunter fallen hauptsächlich Aussagen, die die Verbrechen der Nationalsozialisten, wie den Völkermord an den Juden im Dritten Reich, verharmlosen oder leugnen. Doch dem Bundestag geht die Einschränkung der Meinungsfreiheit nicht weit genug. So hat er in der Nacht zum vergangenen Donnerstag eine Verschärfung des Volksverhetzungsparagraphen verabschiedet. Üblicherweise wird über weitgreifende Änderungen, die einen größeren Teil der Bevölkerung von heute auf morgen kriminalisieren, gar auf die gleiche Stufe wie Holocaust-Leugner stellen, breit debattiert – nicht so bei dieser Gesetzesänderung.
Schon in der Corona-Maßnahmen-Pandemie überraschte der Verfassungsschutz mit einer neuen Kategorisierung, die zu Überwachungsmaßnahmen von Millionen von Bürgern dienen kann. Die Einordnung „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ließ einige regelmäßige Demonstrations-Veranstalter und -Teilnehmer aufhorchen. Was ist Delegitimierung des Staates? Fällt Regierungskritik darunter? Offensichtlich schon, denn diese Kategorie wurde erfunden, um den Corona-Protesten den Garaus zu machen. Wer möchte schon vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder mit Menschen zu tun haben, die unter Beobachtung stehen? Die oft zu hörende Aussage „Ich habe doch nichts zu verbergen“, wenn es um den Überwachungsstaat geht, hört man nur noch selten, wenn es um den Verfassungsschutz geht. Niemand möchte mit Extremisten in Verbindung gebracht werden.
So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Herrscher auch im Fall des Russland-Ukraine-Konflikts etwas einfallen ließen. Wie mit dem Verfassungsschutz verhält es sich mit dem Paragraphen 130: Mit diesem möchte man nicht in Verbindung gebracht werden. Doch das könnte bald einfacher werden als jemals gedacht. Denn nach dem neuen Absatz 5 im Paragraphen 130 Strafgesetzbuch wird in Zukunft das Leugnen oder das gröbliche Verharmlosen eines jeden Völkermordes, Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechens mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt. Wer sich jetzt denkt: „Spannend, zeigen wir doch mal alle Verharmloser des Holodomor an“ und dies rein als Werkzeug zum Ärgern des politischen Gegners sieht, denkt vermutlich zu kurz. Denn Aussagen von linker Seite, die deckungsgleich zum Straftatbestand der Volksverhetzung waren, wurden bisher kaum geahndet. Man darf also davon ausgehen, dass mit diesem neuen Absatz nicht wirklich alle Verharmlosungen oder Leugnungen gemeint sind, sondern nur solche, die der Regierung nicht passen.
Der Volksverhetzungsparagraph setzt voraus, dass eine Äußerung dazu geeignet sein muss, Hass gegen zum Beispiel eine nationale, religiöse oder ethnische Gruppe zu schüren und den öffentlichen Frieden zu stören. Aber auch eine Aufstachelung gegenüber Teilen der Bevölkerung oder Einzelne, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert, deckt der Paragraph 130 ab. Einige Aussagen von Politikern und deren medialen Hofschranzen gegenüber ungeimpften Menschen hatten durchaus das Potenzial, den öffentlichen Frieden zu stören, indem Ungeimpfte verächtlich und praktisch allein für die Ausbreitung eines Virus verantwortlich gemacht wurden. Verfolgt wurde keine dieser Hass schürenden Aussagen, da sie dem Regierungsnarrativ entsprachen. Verfolgt wurden hingegen jene, die sich durch diese Aussagen unter Angriff befanden und die Regierung dazu aufforderten, die Willkürmaßnahmen und die Verhetzung des Volkes gegen sie einzustellen.
Für wen könnte der neue fünfte Absatz nun gefährlich werden? Unter anderem für Menschen, die sich zum aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine äußern. Denn das Leugnen und Verharmlosen von Kriegsverbrechen stehen bald unter Strafe. Leider wurde noch nicht offiziell festgestellt, dass der Einmarsch Putins in die Ukraine ein Kriegsverbrechen darstellt. Allerdings ist dies bereits gängige Meinung. Zukünftig sollen Amtsgerichte darüber entscheiden, ob eine Anklage aufgrund des neuen Absatzes tatsächlich Volksverhetzung ist, obwohl sie keine Grundlage außer ihrer eigenen Meinung haben. Dies öffnet der Willkür Tür und Tor, denn internationale Ermittlungen wird das Amtsgericht Buxtehude sicher nicht anstellen. Kriegsverbrechen schlusshaltig aufzuklären ist nicht trivial, unterliegt normalerweise dem Internationalen Strafgerichtshof und bedarf Beweisen und Zeugenaussagen. Zukünftig soll sich also der gleiche Richter, der normalerweise Nachbarschaftsstreits klärt oder Vollstreckungsbescheide unterschreibt, darum bemühen, ein Kriegsverbrechen festzustellen. Was soll schon groß schiefgehen?
Dass Putin nicht aus dem luftleeren Raum oder aus Spaß an der Freude in die Ukraine einmarschiert ist, es hierfür Gründe gegeben haben muss, die in der Vergangenheit liegen, wird sicher niemand bestreiten wollen. Aber fällt bereits das Spekulieren über die Gründe, die plausibel und unplausibel sein können, unter den Tatbestand der Verharmlosung? Würde sich Hans-Hermann Hoppe mit einem Artikel wie in der aktuellen eigentümlich frei strafbar machen? Das muss zukünftig wohl ein Amtsgericht klären.
Was geschieht mit Journalisten und Wissenschaftlern, die herausfinden, dass ein bisher als Kriegsverbrechen eingestufter Akt doch ein ziviles Verbrechen gewesen ist? Dürfen sie noch straffrei publizieren und aufklären? Wir werden es vermutlich erst erfahren, sobald die ersten Verfahren abgehandelt wurden.
Zum Schluss möchte ich gerne erneut provokant fragen, wer eigentlich dieses Volk sein soll, das verhetzt wird. Nach Aussage vieler Hauptstrom-Politiker gibt es gar kein deutsches Volk, und zum Volksbegriff der Nationalisten möchte ich mich auch nicht zählen lassen. Allgemein dient der Volksbegriff der Kollektivierung von Menschen, unabhängig davon, ob sie sich dem Kollektiv zugehörig fühlen oder nicht. Als Individualist lehne ich ab, mich mit Menschen gruppieren zu lassen, mit denen ich größtenteils nichts zu tun habe und auch nicht zu tun haben will. Und wie kann ich eigentlich etwas delegitimieren, was meine Legitimation nie erhalten hat, das nicht einmal außerhalb der Köpfe von Gläubigen existiert? Es ist ein Kult, und die Sektenführer setzen mal wieder alles in Gang, um ihre Herrschaft auszubauen. Es bleibt abzuwarten, ob der Begriff Volksverhetzung bald genauso abgedroschen ist wie Nazi oder *-Leugner. Meine „Nennt mich wie ihr wollt“-Liste wird sicher bald um das Wort „Volksverhetzer“ erweitert werden, denn ob meine, meines Erachtens gerechtfertigten Aussagen gegen den Sklavenhalter Selenskyj demnächst als Verharmlosung des Putin-Einmarschs gewertet werden, obliegt nicht mir, sondern im Zweifelsfall einem Richter.
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