25. Februar 2024 22:00

Kulinarische Köstlichkeiten Winterzeit – Erdbeerzeit

Eine Ode an die Königin der Früchte

von Stephan Unruh

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Bildquelle: chinahbzyg / Shutterstock China: Größter Erdbeerproduzent der Welt

Als ich vor circa 20 Jahren in China studierte, wurden einige von uns Weißbroten für eine Werbung besonderer Art engagiert: Man karrte uns in das etwa zwei Autostunden entfernte Pekinger Umland, um dort in alten Fabrikhallen, die zu Gewächshäusern umgebaut worden waren, Erdbeeren zu gießen – und zwar mit Milch.

Wir schlichen, bewaffnet mit großen verbeulten Aluminumteekannen, durch die mit Plastikplanen ausgeschlagenen Beete und wässerten, das heißt, eigentlich „milchten“ wir die Erdbeerpflanzen, an denen bereits große pralle rote Früchte hingen. Dabei begleiteten uns zwei Kamerateams. Anschließend wurden wir noch interviewt. Ausgiebig lobten wir das besonders runde und cremige Aroma der mit Milch gegossenen Erdbeeren sowie die Genialität des chinesischen Produzenten, auf die Idee gekommen zu sein, die Erdbeeren damit zu düngen. Aus den Aufzeichnungen entstand eine Reportage eines Regionalsenders sowie ein Werbespot. Bezahlt wurden wir selbstredend in Naturalien: mit so vielen Erdbeeren, wie wir packen konnten …

Seitdem hat sich an der Liebe der Chinesen zur roten Frucht wenig geändert. In den Wintermonaten, also circa von Mitte Dezember bis Ende Februar/Mitte März, gibt es Erdbeeren in erstaunlicher Qualität und zu wenig günstigen Preisen zu erwerben. Nun muss man nicht gleich die absurden 400 US-Dollar zahlen, die die Luxussupermärkte in Hongkong für ein Pfund weißer Erdbeeren aus Japan verlangen … auch wenn ich gestehen muss, durchaus versucht zu sein, einmal ein solches Pfund zu erwerben. Aus rein wissenschaftlicher Neugierde freilich, nämlich um in Erfahrung zu bringen, ob der Preis denn zumindest theoretisch gerechtfertigt wäre. Mir ist zwar durchaus bewusst, dass Bepreisung keinesfalls ein objektiver Geschmacksindikator ist und die Bereitschaft zur Bezahlung des Preises der individuellen Präferenz und Kaufkraft unterliegt. Zeitgleich aber weiß ich auch um die teilweise surrealen Qualitäten von Lebensmitteln aus Japan, gerade im Bereich Obst und Gemüse.

Wie dem auch sei: Mit etwa zehn bis 15 Euro für das Kilo sind auch „normale“ Erdbeeren hier nicht billig. Entsprechend nutzen sie Chinesen auch als Ausdruck besonderer Wertschätzung … Sollten Ihnen also chinesische Nachbarn einmal bei den obligatorischen Besuchen eine Packung Erdbeeren mitbringen, fühlen Sie sich geschmeichelt. Gleiches gilt natürlich auch, wenn Ihnen Ihr chinesischer Liebhaber einen Strauß Erdbeeren überreicht – ja, tatsächlich: Die Erdbeeren werden hierzulande kunstfertig auf einen Plastikhalter gefädelt (sodass sie „unverletzt“ bleiben) und dann gemeinsam mit Blumen und Blattgrün zu einem ebenso hübschen wie schmackhaften Strauß gebunden.

Kein Wunder also, dass Erdbeeren hier in Fernost auch mit sehr viel mehr Liebe als in Deutschland behandelt beziehungsweise verpackt werden: Während dort die Sammelnussfrüchte geradezu lieblos zu 50  Gramm in eine Plastikschale geworfen werden, wird hier jede Beere, äh … Verzeihung: jede Nuss natürlich, so verpackt, dass Druckstellen tunlichst vermieden werden. Idealerweise wird dazu jede Erdbeere in Styropor eingepackt, danach in Plastikfolie eingewickelt und schließlich vorsichtig in einen großen, mit Schaumstoff gepolsterten Karton geschichtet. An dieser Stelle sei ganz unbedingt betont, welch großes Glück das Verbot von Plastikstrohhalmen in der EU doch ist: Führt es doch (nicht) zu einer signifikanten Reduktion des globalen Plastikmülls und ist (k)ein leuchtendes Beispiel für den Rest der Welt …

Übrigens stammt das Gros der weltweiten Erdbeerernte aus China. Rund 3,4 Millionen Tonnen der süßen Früchtchen produzierte die Volksrepublik im Jahr 2022, fast das die dreifache Menge der globalen Nummer zwei. So kamen die USA im gleichen Jahr nur auf 1,2 Millionen Tonnen. Wenig überraschend ist die BRD auch auf diesem Feld längst abgehängt. Gerade einmal knapp 100.000 Tonnen ernteten die buntesdeutschen Erdbeerbauern beziehungsweise deren rumänisch-bulgarische Erntehelfer. Das ist aber ausnahmsweise mal nicht die (alleinige) Schuld des grünen Kinderbuchautoren. Von den 3,4 Millionen Tonnen chinesischer Erdbeeren gehen natürlich nur die allerbesten in den Einzelhandel. Der Großteil wandert in Erdbeerjoghurts, tiefgekühlte Erdbeertorten, gefrorenes Erdbeermark für Smoothies und so weiter. Denken Sie also „China!“, wenn Sie das nächste Mal Erdbeermarmelade auf den Sonntagsfrühstückstoast schmieren.

Anders als im Westen übrigens, wo spätestens seit Paul Zechs verliebter Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau die Erdbeere noch für ganz andere süße Genüsse steht, sind derartige Konnotationen im Reich der Mitte unbekannt (zumindest soweit ich das beurteilen kann). Für die allermeisten Chinesen gehört Erotik auch ausschließlich ins Schlafzimmer und nicht in die Öffentlichkeit. Macht aber nichts, denn umso unbeschwerter ist der Erdbeergenuss.

Falls Sie sich jetzt gerade fragen, was das alles mit Freiheit zu tun hat, so muss ich gestehen, dass sich auch mir gerade dieselbe Frage aufdrängte – meine spontane Antwort: Nun, nach getanem Tagwerk, das heißt nach geschriebener Kolumne, nehme ich mir die Freiheit, eine Schüssel Erdbeeren zu essen – mit Mangos. Die sind nämlich hier beziehungsweise in der Nachbarprovinz Guangxi (quasi Westkanton) auch gerade reif.

Nachtrag: Ich muss noch einen gewaltigen Fauxpas korrigieren, der mir unbewusst in der letzten Kolumne unterlief. Das Frühlingsfest endete natürlich nicht vergangenen Dienstag, sondern am gestrigen Samstag. Die Zeitspanne des Festes beträgt (wie auch völlig richtig geschrieben) 14 Tage, und da Chunjie 2024 am Samstag, den 10. Februar begann, endete es am Samstag, den 24. Februar mit dem Laternenfest und unter dem Vollmond. Asche auf mein Haupt und gleich noch eine Erdbeere in den Mund.


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