06. März 2024 12:00

Digitalpolitik Russische Kontroll- und Zensurmethoden: Viel zu aufwendig und teuer

Warum so viel Geld für etwas ausgeben, das man zum Nulltarif haben kann?

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: iDEAR Replay / Shutterstock Internetkontrolle: Funktioniert auch ganz subtil ohne „offiziellen“ Verbote

Manchmal fasse ich mir wirklich an den Kopf: Warum einfach, wenn’s auch schrecklich kompliziert geht? Aber das ist mal wieder typisch Staat: Geld verprassen für Dinge, die es weitaus billiger, ja sogar so gut wie kostenlos geben könnte.

Das Portal „Netzpolitik“ veröffentlichte am 27. Februar einen Artikel über die Bemühungen der neozaristisch-putinistischen Regierung Russlands, das Internet besser kontrollieren und unerwünschte Inhalte zensieren zu können. Eigentlich war geplant, ein eigenes „russisches Internet“ aufzubauen, das vom westlichen abgekoppelt ist. Da dieser Versuch bisher nicht von Erfolg gekrönt war, griff man auf dieselben Methoden zurück wie in China oder der EUdSSR: Peking unterdrückt Webseiten, die chinesische Bürgen nicht sehen sollen, und die EUdSSR zensierte russische, um für besser informierte, mündige und wahlberechtigte Bürgen zu sorgen.

Im Artikel heißt es: „Geleakte Geheimdokumente aus dem Kreml zeigen, wie Putins Machtapparat ein ausgeklügeltes System von nach innen gerichteter Propaganda und Wahlbeeinflussung aufbaut. Ein Teil des Programms ist auf die Erstellung von regimefreundlichen Inhalten konzentriert, wobei ein ‚Institut für Internetentwicklung‘ (IRI) eine zentrale Rolle spielt. Ein anderer Teil des Programms ist auf Internetüberwachung und Zensur ausgerichtet. Russland arbeitet seit Jahren an einem russischen Intranet, das vom Internet abgekapselt ist. Weil das noch nicht gelingt, werden zunehmend Seiten, Medien und Dienste in Russland zensiert. So wurden Facebook und Instagram als ‚extremistisch‘ verboten und Dienste wie Google News zensiert. In Russland weiterhin operierende Plattformen unterwerfen sich wie Yandex oder Tiktok Putins Kontrollregime, indem sie bestimmte Inhalte nicht mehr anzeigen.“

Liebe russische Regierung, liebe Nachrichten- und Geheimdienstler des Landes: Ihr enttäuscht mich schwer. Ich traute meinen Augen nicht: Da treibt ihr so einen völlig unnötigen Aufwand, um Informationen, die euch nicht passen, verschweigen zu können? Seriously, ein „eigenes Intranet“? Allein die technische Infrastruktur, die Administration und Verwaltung dafür dürften erhebliche Kosten verursachen, auch wenn sich viele dieser Vorgänge heutzutage softwareseitig automatisieren lassen.

Wieso schaut ihr euch nicht einfach die effizientesten Methoden des freien Westens ab? Dort hat man nämlich ein recht cleveres und vor allem kosteneffizientes System erdacht, um Meinungshoheit zu erlangen und unliebsame Informationen marginalisieren zu können. Dazu bedarf es keiner offenen Zensur, denn so was fällt recht schnell auf, wodurch man natürlich eine Zielscheibe abgibt. Die Menschen könnten skeptisch werden, was eure Intentionen betrifft. Ich werde euch nun erklären, wie man das professionell macht.

Zugegeben, der Aufbau von Google zur „beliebtesten Suchmaschine“ mit sogenanntem „Risikokapital“ seitens geheimdienstlicher Frontfirmen wie „In-Q-Tel“ war auch nicht gerade billig. Okay. Aber ist eine solche Position erst mal erreicht, gilt man also als „Platzhirsch“, ist Zensur nicht nötig: Es genügt, Webseiten, die Bürgen nicht sehen sollen, in den Suchergebnissen per Algorithmus weit nach hinten rücken zu lassen, sodass sie nicht mehr gefunden werden. Dazu ist dann kein Aufwand eurerseits mehr nötig, ihr bräuchtet euch nur noch auf menschliche Bequemlichkeit zu verlassen: Wer klickt sich schon gerne durch Dutzende Seiten mit Suchergebnissen, um irgendwo auf Platz 154 das gewünschte Ergebnis zu finden? Wer macht das schon? Stattdessen braucht ihr nur das Surfverhalten der User auszuwerten, um dabei festzustellen: In den meisten Fällen geben Menschen bestimmte Stichwörter ein und klicken dann nur auf die ersten drei, maximal zehn Ergebnisse. Das war’s. Und solltet ihr einen der euren ganz oben auf der Liste erscheinen lassen wollen: Ja gut, das kostet dann wieder ein bisschen was, ist aber immer noch um Welten billiger als der Aufbau eines eigenen „Intranets“. Welch ein Quatsch.

Sucht doch einfach mal nach Firmen, bei denen man sich Likes, Views, Follower, Shares, „Instagram Mentions“ – also „Erwähnungen“ auf Instagram –, Retweets und so weiter zu gestaffelten Preisen kaufen kann – je nachdem, wie viele man haben möchte. Solche Firmen gibt es in westlichen Gefilden mittlerweile in recht großer Zahl. Ihr legt also zum Beispiel 100 Euro auf den Tisch und bekommt dafür 1.000 oder 2.000 Follower, „Mentions“ oder Retweets. Und das Beste daran: Heutzutage – das kann ich euch 100-prozentig bestätigen, ich lebe schließlich im freien Westen – kommen nur noch wenige Menschen auf die Idee, nach der Echtheit solcher Zahlen zu fragen. Ihr bräuchtet euch dann also nur noch auf menschliche Eigenschaften wie zum Beispiel Naivität, Leichtgläubigkeit oder Unbedarftheit zu verlassen.

Ihr bedient euch dabei also des mit Abstand wichtigsten Tricks zur Erlangung von Meinungsführerschaft, und das ganz ohne rabiate Methoden: des Popularitäts- beziehungsweise Reichweitentricks. Es ist kinderleicht: Setzt einfach auf mangelnde Denkfähigkeit der Knechte und suggeriert ihnen, allein die Zahl an Followern, Videoaufrufen, also „Views“, oder der Leser- und Zuschauerzahlen sei eine Art „Beweis“ für inhaltliche Substanz. Solltet ihr jetzt fälschlicherweise glauben, so deppert könne doch eigentlich niemand sein, stets bloße Zahlen für einen Nachweis von „Richtigkeit“ oder Wahrheitsgehalt von Informationen zu halten, kann ich euch abermals versichern: Das funktioniert prächtig, vertraut mir. Ich erlebe das im Internet regelmäßig.

Konkretes Beispiel: Ein von euch aufgebauter und im Internet prominent gemachter Influencer bewirbt einen anderen Influencer dadurch, indem er stets darauf hinweist, dass dieser „schon zig Millionen Views!“ habe. Wie gesagt: Ihr braucht keine Angst zu haben, dass Menschen den Braten sofort riechen und fragen, was das denn nun mit inhaltlicher Qualität oder der Richtigkeit präsentierter Informationen zu tun haben soll. So weit wird heuer oft schon gar nicht mehr gedacht. Die Herde läuft gerne Leitwölfen hinterher, fertig. Also züchtet euch ein paar davon, pflanzt sie den Deltas und Gammas vor die Nase und gut ist.

Drittens und auch sehr effektiv: Baut Zitierkartelle auf. Auch das könnt ihr euch vom freien Westen abgucken, wo immer nur dieselben „Experten“ aus denselben Denkfabriken von der Presse im „öffentlichen Bewusstsein“ prominent platziert werden, um Meinungsführerschaft zu erlangen. Dadurch gewinnt ihr sehr leicht die Kontrolle darüber, was Ottonormalknecht denkt und was er für „wahr“ oder die „Wirklichkeit“ hält. Falls die Knechte das irgendwann doch spitzkriegen und die ganze Chose aufzufliegen droht, gar kein Problem: Zieht die ganze Nummer einfach noch mal in den „alternativen“ Medien ab.

Auch dazu ein einfaches, überschaubares Beispiel: Ihr baut zum Beispiel die Influencer A, B, C und D zu „alternativen Journalisten“ auf. Diese brauchen dann nichts weiter zu tun, als sich immer nur gegenseitig zu zitieren oder um ihre Meinung zu bitten, während sie alle anderen Ansichten stets ignorieren. A interviewt also B, C teilt die Beiträge von A auf Telegram, B interviewt D, D teilt A und B, D interviewt A und so weiter  – so bleibt man nicht nur stets im kleinsten Kreise des Zitierkartells, sondern kann obendrein einen falschen Eindruck von „Meinungsvielfalt“ erwecken (vermeidet dabei aber unbedingt den schweren Fehler, über den das alternative Zitierkartell des freien Westens derzeit stolpert, nämlich ständig Werbung für dieselbe Partei machen zu lassen. Das wäre wieder zu plump und somit auffällig).

Seht ihr, wie einfach das ist? Auf diese Weise könnt ihr ein recht dichtes Kontrollnetz aufspannen, wobei ihr euch abermals auf die Bequemlichkeit und mangelnde Eigeninitiative vieler Menschen verlasst, die gar keine Lust haben, selbständig nach Informationen zu suchen. Ich meine, aktiv zu suchen. Diese Schafe fragen höchstens noch: „Quelle?“

Seid jedoch klug und wendet die beschriebenen Methoden bitte wohldosiert an! Nicht übertreiben!

Dazu gleich ein drittes und letztes sehr eindrückliches Beispiel, wie man es nicht machen sollte: Ein besonders ungeschickter Influencer in den deutschen „alternativen“ Medien behauptete neulich wieder einmal, sein neues Buch solle bald „verboten“ werden. Das war insofern tölpelhaft, da er diese billige PR-Nummer bisher noch bei jedem seiner Bücher abgespult hatte: Bitte ganz schnell kaufen, damit es ein Bestseller werden kann, bevor es verboten wird! Solltet ihr also versehentlich solche Trottel engagiert haben, müsst ihr sie natürlich schnell loswerden – sonst fällt es schnell auf euch zurück.

Da ihr bei euch in Russland die Massenmedien bereits gut unter Kontrolle habt – so ähnlich wie im freien Westen, wo nicht nur der Mainstream, sondern auch ein großer Teil der „alternativen“ erfolgreich eingetütet wurde –, bräuchtet ihr also nur noch ein paar der oben beschriebenen fortschrittlicheren, subtileren Methoden zu adaptieren und kreativ anzupassen.

Aber was macht ihr? Mann, das ist ja tiefstes Mittelalter. Wollt mit viel Aufwand ein abgekoppeltes „Intranet“ schaffen. Vergesst das mal ganz schnell. Ihr wollt die Lufthoheit über die Knechtköpfe? Dann stellt euch nicht in den hellen Lichtkegel sichtbarer Kontroll- und Zensurmethoden, ihr Anfänger.

Bis nächste Woche.


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