22. März 2024 19:00

Mobilitätspolitik Eine verkehrsberuhigte Zone namens Deutschland

Und (einfache) Lösungsvorschläge

von Thomas Jahn

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Bildquelle: Alexandru Nita / Shutterstock Öffentlicher Verkehr zu Stoßzeiten: Mit viel ungewollter Tuchfühlung

Ein sichtlich genervter Anwaltskollege aus einer Berliner Großkanzlei rief mich vor einigen Tagen an. Geplant war ein wichtiger Verhandlungstermin in einem Vergabeverfahren der öffentlichen Hand in München. Mindestens vier Parteien sollten mit ihren jeweiligen Vertretern daran teilnehmen. Die Anreise aus Berlin, so mein Berufskollege, sei derzeit allerdings ein reines Glücksspiel, denn wenn er auf das Flugzeug setze, würden bestimmt entweder das Bodenpersonal oder die Cockpitbesatzungen streiken. Mit der Bahn komme er mit oder ohne Streik bekanntlich ohnehin nie pünktlich an, und mit dem Auto sitze er dann in den üblichen Staufallen fest, wenn streikbedingt alle auf die Straßen ausweichen müssten. Wir einigten uns dann schnell auf eine Videokonferenz, in der Hoffnung, dass sich die zuständigen Beamten nicht wieder mal alle im „Home-Office“, also in einem der vielen ländlichen Funklöcher befinden. Viele von ihnen werden solche oder ähnliche Geschichten kennen. Deutschland im Jahre 2024! Das Land mit den weltweit höchsten Steuern, den teuersten Preisen und den höchsten Staatsausgaben, jedenfalls in der EU, hat seine Infrastruktur auf das Niveau eines Entwicklungslandes heruntergewirtschaftet, mit dem Unterschied, dass in den meisten Entwicklungsländern Internetempfang und mobiles Telefonieren flächendeckend funktionieren.

Wie konnte ausgerechnet Deutschland mit seinen jahrhundertelang gewachsenen unzähligen Handelsrouten und mit seiner zentralen Mittellage auf einem reichen Kontinent zu einer verkehrsberuhigten Zone verkommen? Warum dauerte es ganze 64 Jahre, bis es die Deutsche Bahn 1997 schaffte, den Rekord des heute längst museumsreifen Schnellzugs „Fliegender Holländer“ auf der Strecke Berlin – Hamburg zu brechen? Warum stehen die Autofahrer in der deutschen Stauhauptstadt München statistisch betrachtet über drei Tage jeden Jahres im Stau, obwohl sie sich in der reichsten Stadt Deutschlands befinden? Warum fährt der Transrapid heute in China, obwohl er baureif in Deutschland entwickelt wurde und eine baurechtlich komplett genehmigte Trasse in Bayern zur Verfügung gestanden hätte?

Viele Leser dieser Seiten kennen die Antwort bereits. Sie lautet: Weil der gesamte Verkehrssektor, vom Straßenbau über den Schienenverkehr bis hin zu sämtlichen Flugbewegungen, unter der Desorganisation, der Desorientierung und der Misswirtschaft des Sozialismus leidet. Der Verkehrssektor ist der Teil unseres täglichen Lebens, der die letzten 100 Jahre nahezu unverändert in staatlicher Hand blieb, denn der Staat, genauer gesagt die politischen Entscheider und nicht die Marktteilnehmer, als die eigentlich Betroffenen, bestimmt, was wann wo gebaut wird oder eben nicht. Deswegen gilt heute immer noch das nationalsozialistische Personenbeförderungsgesetz aus dem Jahre 1935. Es ist ein klassisches staatsmonopolistisches Verhinderungsgesetz, das das freie Angebot von Verkehrsmitteln unterbindet und dem Staat die machtvolle Möglichkeit an die Hand gibt, Verkehrskonzessionen zu verweigern, Verkehrsangebote auf bestimmten Strecken zu untersagen und die Beförderungstarife – egal, ob für Taxifahrt oder Bahnticket – zentralplanerisch vorzugeben. Es dauerte 77 Jahre, bis das (national-) sozialistische Personenbeförderungsgesetz 2012 unter dem damaligen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erstmals liberalisiert wurde, um zumindest das absurde Verbot von Fernbus-Verbindungen aufzuheben, das als monopolistischer Schutz zunächst für die frühere Reichsbahn, dann für die spätere Bundesbahn und heute die Deutsche Bahn „AG“ gedacht war. Die rasante Entwicklung der Fahrgastzahlen, die in nur sechs Jahren von 2,5 Millionen auf über 23 Millionen (2018) hochschnellten, zeigt, was möglich gewesen wäre, wenn man das wettbewerbsfeindliche Personenbeförderungsgesetz endlich vollständig abgeschafft hätte.

Neben einer künstlichen Verknappung des Angebots an Verkehrsmitteln sorgt die Zentralplanung des Bundesverkehrsministers für die ihm unterstellten Bundesfernstraßen und den Schienenfernverkehr für eine völlige Fehlallokation des eingesetzten Kapitals aufgrund des fehlenden Wettbewerbs und der damit einhergehenden Informationsdefizite. Nur der durch Wettbewerb ermöglichte Entdeckungsprozess des Marktes hätte die Frage beantworten können, ob es keine bessere Alternative zum zigmilliardenschweren ICE-gerechten Ausbau des Schienennetzes gegeben hätte. Was sich aufgrund des relativ flachen, den Norden und Westen dominierenden Landschaftsbilds in Frankreich bewährt hat, erscheint für die deutsche Mittelgebirgslandschaft eher unbrauchbar. Der Hochgeschwindigkeitszug ICE und sein französisches Pendant TGV benötigen gerade Schienenverläufe mit geringen Steigungen, die den Streckenbau im gebirgigen Gebiet enorm verteuern, wie das Fass ohne Boden namens „Stuttgart 21“ beweist. Hätte die SPD bei der Änderung des Grundgesetzes für die „Bahnreform“ 1993 eine wirkliche Privatisierung der Bundesbahn mit der Ermöglichung echten Wettbewerbs durch Trennung von Netz und Betrieb nicht verhindert, wäre es möglich gewesen, dass private Konsortien neue Schienennetze mit neuen Antriebsmodellen wie dem Transrapid ausprobieren. Vielleicht wäre der Transrapid die billigere und technisch bessere Alternative zum ICE gewesen, zumindest in Mittel- und Süddeutschland, weil er sich dem Landschaftsverlauf anpassen kann und keine schnurgeraden Strecken benötigt.

Nicht nur der Fernverkehr ist in Deutschland staatsmonopolistisch gelenkt, sondern natürlich auch die Nahverkehre in den Städten und Landkreisen. Und so erleben die Nutzer des von den Linken so geliebten „Öffentlichen Personennahverkehrs“ (ÖPNV) immer wieder dieselben Ärgernisse, die eigentlich zum typischen Kennzeichen einer sozialistischen Miss- und Mangelwirtschaft gehören: Entweder gondeln leere Geisterbusse zu Zeiten durch die Gegend, zu denen so gut wie niemand einen Bus braucht, oder die Fahrgäste quetschen sich werktags zu den berühmten Stoßzeiten in völlig überfüllte S- und U-Bahnen. In Städten wie München, Stuttgart, Hamburg, Nürnberg, Berlin oder Köln gilt zwischen 7.00 und 9.00 und zwischen 16.00 und 18.00 Uhr die Devise: Nichts geht mehr! Weder auf der Schiene noch auf der Straße.

Nach meiner Beobachtung scheinen sich allerdings leider nicht einmal Libertäre oder kritisch eingestellte Liberal-Konservative an diesen verrückten Zuständen zu stören. Es scheint wieder einmal das „Gesetz“ des britischen Philosophen und Soziologen Herbert Spencer (1820–1903) zu gelten, wonach sich das Ausmaß der öffentlichen Aufmerksamkeit und Besorgnis hinsichtlich eines gesellschaftlichen Problems invers zu seiner tatsächlichen oder aktuellen Dringlichkeit verhält. Oder anders ausgedrückt: Wo die Missstände so ubiquitär sind, dass die Masse der Menschen diese Zustände für normal hält, regt sich niemand mehr darüber auf.

Meine These ist allerdings, dass sich auch die wirklich immens zu nennenden Verkehrsprobleme in den Großstädten durch einen wirklich freien Wettbewerb der Verkehrsträger lösen ließen. Das Schöne an dieser Lösung ist natürlich auch, dass sich im freien Wettbewerb nicht nur die „staufreieste“ Fortbewegungsvariante herausbilden würde, sondern auch, dass es sich dabei gleichzeitig um die umweltfreundlichste handeln würde, denn die freie Preisbildung garantiert bekanntlich auch, dass knappe Mittel wie Treibstoffe so effizient wie möglich eingesetzt würden. Während mein Beispiel der leeren „Geisterbusse“ der Vergangenheit angehören würde, wären unsere Straßen wahrscheinlich von Tausenden von Kleinbussen bevölkert, die kostengünstige Mitfahrgelegenheiten anbieten und die Menschen schnell und bequem zu ihren Wunschzielen chauffieren würden. Als ich 1996 als mittelloser Student bei einem zweiwöchigen Aufenthalt kreuz und quer durch die damalige Neun-Millionen-Metropole Istanbul gefahren bin, fielen mir vier Dinge auf. Erstens: Gemessen an der Größe der Stadt ist das U- und S-Bahnnetz vergleichsweise klein. Zweitens: Hauptverkehrsträger waren damals Busse, Taxis, private Pkws und vor allem Kleinbusse, die sich (drittens) ohne größere Staus durch die riesige Stadt bewegten. Die dabei (viertens) wichtigste Erkenntnis war, dass ich meine jeweiligen Ziele ohne ein Wort Türkisch, ohne Fahrplan, ohne Haltestellen und ohne die „Segnungen“ des deutschen Verkehrsbürokratismus pünktlich und zuverlässig und natürlich zu einem Spottpreis von umgerechnet nur etwa zehn oder zwanzig Pfennigen pro Kilometer erreichte. Man hob am Straßenrand einfach die Hand, der private Kleinbus hielt dort an, man zeigte dem Fahrer einen Ort auf der Karte, der nickte, schrieb eine Zahl auf einen Zettel, woraufhin man den Betrag als Fahrpreis bezahlte, und wenig später hielt dieses Sammeltaxi genau am gewünschten Ort. Ein ähnliches System erlebte ich, verbunden mit bestem Service und der aus Istanbul gewohnten Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, zwei Jahrzehnte später im Süden Thailands mit dem dortigen privaten Taxissystem. Stellen Sie sich vor, es gibt tatsächlich Länder, in denen es allen Menschen erlaubt ist, ohne Restriktionen, ohne Kaputtbesteuerung und sonstige Belästigungen des Staates heißbegehrte Dienstleistungen zum Nutzen aller Beteiligten zu erbringen. Die meisten Fahrer waren dabei nur gelegentlich als Taxichauffeure unterwegs. Ich sprach auf einem Parkplatz einfach jemanden an, der mir vertrauenswürdig erschien und dessen Auto mir gefiel, und der freute sich, dass er sich etwas „dazuverdienen“ konnte. Er kutschierte mich dann für 30 oder 40 Bath, also umgerechnet weniger als einen Euro, zur nächsten Fernbusstation oder zum nächsten Regionalflughafen. Verkehre müssen also nicht wie in Deutschland staatlich geplant, konzessioniert und gelenkt werden. Sie ergeben sich in der spontan entstehenden Ordnung einer freien Wettbewerbswirtschaft ganz von allein, zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten.

Das Beispiel Thailand berührt auch das „heiße“ Thema Straßenbau. Meine Bitte an alle Freunde des Libertarismus: Bitte diskutieren Sie mit Andersdenkenden die Frage, ob nur der Staat die Straßen bauen kann, nicht abstrakt! Ihr Gegenüber würde Ihnen sicher keinen Glauben schenken. Gehen Sie das Thema praktisch an und erzählen Sie ihm, wie der Straßenbau zum Beispiel in der Acht-Millionen-Stadt Bangkok funktioniert. Fast jeder kennt die Bilder aus dieser Megalopolis mit ihren völlig chaotischen Straßenszenen. Man kann den Lärm und den Gestank Hunderttausender Mopeds fast schon riechen und meint, dass die Stadt im täglichen Stau und Verkehrschaos ersticken würde. Doch nichts davon entspricht der aktuellen Realität, denn für eine geringe Maut von wenigen Bath kann jeder motorisierte Verkehrsteilnehmer auf privat gebaute und finanzierte Express-Highways ausweichen, die teils mehrere Stockwerke über dem alten, ebenerdig verlaufenden Straßennetz errichtet wurden. Auf sechs- oder achtspurigen Stadtautobahnen gelangt der zahlende Kunde so in kürzester Zeit stau- und stressfrei von der Innenstadt zum internationalen Flughafen oder zu anderen Zielen inner- und außerhalb der Stadt. Der Bau neuer Straßen ist also auch, wie die Beschaffung aller anderen Güter, eine Frage des Preises und des eingesetzten Kapitals. Auch in Deutschland könnten unzählige Lücken des Autobahnnetzes durch private Investoren und durch die heute technisch einfach abzuwickelnde Mautzahlung geschlossen werden. Man müsste solche Transaktionen staatlicherseits nur flächendeckend zulassen und nicht nur in Ausnahmefällen, wie beim Ausbau der A8 zwischen Augsburg und München. Die A8 ist allerdings ein weiteres Beispiel, das zur wirksamen Verbreitung libertärer Ideen genutzt werden könnte – gerade bei der Lieblingsfrage, wer die Straßen bauen soll, wenn sich der Staat aus dem Verkehrssektor zurückziehen würde. Konkrete Antwort: Der heutige Autobahnabschnitt der A8 zwischen München und Augsburg wurde von einem privaten Konsortium in Rekordzeit gebaut und wird aktuell von der Privatfirma autobahnplus A8 GmbH betrieben. Die genannte Firma erhält im Gegenzug die Einnahmen aus der Lkw-Maut. Der Unterschied zur staatlichen Autobahnmeisterei sticht sofort ins Auge: Die Autobahn wird bestens in Schuss gehalten. Reparaturen werden nicht zu den Stoßzeiten ausgeführt, sondern nachts oder in Zeiten mit wenig Verkehr. Unfallstellen werden rasch geräumt, denn autobahnplus A8 hat natürlich ein großes Interesse daran, keine Mauteinnahme durch Ausweichverkehre zu verlieren. Selbst die Seitenstreifen links und rechts der Autobahn werden bestens gewartet. In diesem Falle durch schottische Hochlandrinder, die nervige Mäharbeiten überflüssig machen.

Gerade das Thema Verkehr zeigt, dass Libertäre mehr Mut haben sollten, sich mit konkreten Forderungen in die politische Debatte zur gezielten Verbesserung der Lebenssituation von Millionen von Menschen einzubringen, anstatt sich in akademische Zirkel zurückzuziehen oder „den Staat“ immer nur pauschal und abstrakt zu attackieren.                   


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