Guru-Kult: Wenn zwei Sekten sich streiten …
… freut sich der Individualist ...
von Axel B.C. Krauss
... und schmunzelt. Denn er hat begriffen, dass es keinen Sinn macht, lediglich eine Sekte gegen eine andere einzutauschen. Deshalb nennt man ihn ja auch „Individualist“ – er denkt selber. Er lässt sich nicht vermassen, er pudelt niemandem hinterher, er ist und bleibt skeptisch gegenüber jedem Versuch, ihm einzureden, er müsse stets nur irgendjemandem „folgen“, um Erleuchtung zu erlangen und die „ganze Wahrheit“ zu erfahren.
Er denkt sich: Ach, ich suche lieber selber nach Informationen und wäge verschiedene gegeneinander ab, statt zum Fanatiker zu mutieren und die „eine“ Wahrheit gegen alle Angriffe von außen grimmig zu verteidigen, wenn sein „Guru“ ihn dazu auffordert. Ich bin nun mal ich, nicht wir. Was wir wissen, was wir nicht wissen, interessiert mich nicht: Das wäre auch irrational, denn in einer modernen Massengesellschaft mit ihren Abermillionen von Menschen kann niemand wissen, was „wir“ wissen; ich kann mich zur Meinungs- und Urteilsfindung nur auf das verlassen, was ich weiß, was ich bislang gelernt habe. Mein eigener Wissenshorizont ist natürlich begrenzt; die „ganze“ Wahrheit gibt es nicht, die hat bislang noch niemand entdeckt – wer das behauptet, gerät zu Recht in den Verdacht, unter einem Gottkomplex zu leiden.
Man braucht noch nicht mal die reichhaltige Forschungsliteratur zum Thema Sekten zu studieren, um zu verstehen, wie sie aufgebaut sind und funktionieren. Dazu genügen eine wache Beobachtungsgabe und ein wenig Nachdenken. Siehe erster Absatz: Es gibt einen Anführer – einen „Guru“ –, der seinen „Followern“ predigt: Nur bei mir gibt es „die Wahrheit“, nur hier erfahrt ihr „alle“ Fakten. Die Außenwelt ist entweder feindlich gesinnt oder gar bösartiger Natur, sie trachtet danach, die sowohl sozial als auch mental geschlossene homogene Welt der Sekte zu vergiften oder gleich zu „vernichten“. Ein weiteres Merkmal, das in allen Sekten zu beobachten ist, ist immer und ausnahmslos: Der „Guru“ strickt einen ausgeprägten Persönlichkeits- oder „Star“-Kult um sich selbst.
Deshalb kann ein Individualist oder, vielleicht besser: ein geistig freier Mensch, der nicht in Gefahr läuft, sich durch sektenartiges Zureden in ein Guru-Wir verzaubern zu lassen, natürlich nur schallend lachen, wenn er, so wie neulich, mit urkomischen Zankereien zwischen Sekten konfrontiert wird.
In Teilen der „alternativen Medien“ gab es nämlich einen Aufschrei, als der Guru Staat es wagte, gewisse „alternative“ Gurus als das zu bezeichnen, was sie nun mal sind: Sektenführer. Die nachweislich einen ausgeprägten Persönlichkeits- beziehungsweise Guru-Kult um sich selber stricken und ihren Followern unablässig einreden „Folgen Sie mir!“, statt ihnen zu empfehlen: „Denke selber. Bleib skeptisch. Glaub mir bloß nicht alles, was ich dir erzähle. Die Informationen könnten unvollständig oder gar falsch sein. Ich kann mich auch irren.“
Eine wahrlich grandiose Ironie: Ein Guru wirft einem anderen „sektenartigen Charakter“ vor.
Wirft man einen näheren Blick auf das Verhalten der Gurus, stellt man erstaunliche Übereinstimmungen fest: Guru Staat beansprucht mehr oder weniger die „ganze Wahrheit“ für sich. Wer diesem Anspruch nicht „folgen“ mag und den „offiziell freigegebenen Fakten“ skeptisch gegenübersteht, kritische Fragen dazu stellt oder sie gar als falsch entlarvt, ist bösartig, verbreitet Hassrede und Fake News. So jemand kann eigentlich nur für den Feind arbeiten (zum Beispiel für den Guru Kreml oder den Guru Peking), der will den Guru „delegitimieren“ und sollte vom Verfassungsschutz beobachtet werden, dem sollte kein Forum geboten werden für sein leugnerisches, „wirres“, krudes Gerede.
Um den Followern solche Eigensinnigkeiten auszutreiben, können zur Erinnerung hin und wieder entsprechende Exempel statuiert werden. Besonders beliebt: Inszeniere ein öffentliches, landesweit ausgestrahltes Standgericht auf einem Bildschirm, in dem du den Delinquenten gegen eine Überzahl an Guru-Pudeln antreten und von diesen niederbellen lässt. Zum Beispiel. Also eine Art zeitgenössische, technologisch aufgebrezelte Variante des Scheiterhaufens auf elektronisch-telekommunikativem Wege. Oder lass die Zeitungshunde von der Kette, die den Abtrünnigen wochen- oder monatelang durch die virtuellen Straßen der „öffentlichen Meinung“ schleifen und mit Strafvokabeln steinigen (Verschwörungstheoretiker, Extremist, Staatsfeind, Demokratieleugner et cetera). Was auch immer. Hauptsache – das ist absolut zentral und von größter Bedeutung –, der Guru-Kult bleibt lebendig.
Etwas ganz Ähnliches gibt es aber eben auch in den „alternativen“ Medien: So mancher Sektenführer – okay, ich bleibe etwas diplomatischer: so mancher „Aufklärer“ mit sektenartigem Charakter – betreibt einen ausgeprägten Guru-Kult und predigt seinen Followern: Nur bei ihm gibt es die „ganze“ Wahrheit. Die Außenwelt (Mainstream) ist böse, verbreitet immer und ausnahmslos Lügen und will den Guru delegitimieren oder gar „vernichten“. Andere Gurus wiederum lassen jede Zurückhaltung fahren und unterstreichen ihre göttliche Herkunft gleich ganz buchstäblich, indem sie ihren Jüngern erklären: „Wie ich prophezeit habe.“ Radio Guru, Radio Sektengaga. Wer skeptisch bleibt oder diesen Führungsanspruch infrage stellt, arbeitet für den Feind, soll heißen: Der kann eigentlich nur ein Globalisten-Troll sein. Oder Freimaurer, Illuminat, Satanist oder eine Eidechse. Oder alles gleichzeitig.
Köstlich.
Der einzige Unterschied zwischen diesen Sekten ist die etwas unfaire Kräfteverteilung: Guru Staat ist natürlich insofern mächtiger, da er dieses Spielchen schon viel länger treibt, mehr Ressourcen (Steuerwolle) zur Verfügung hat, um ganze Kohorten an PR-Strategen sektenartige Nudging-Beschwörungsformeln, wie zum Beispiel „Das Wir entscheidet“, ausbrüten zu lassen, und drillt raffinierterweise – das muss man ihm leider lassen, das ist echt clever – die Follower schon von Kindesbeinen an darauf, zu „folgen“ (in Schule und Regierungsfunk). Wenn sie dann aus diesem Drill erwachsen sind, also Erwachsene, wählen sie alle vier Jahre Gurus. Dolle Wurst.
Wie dem auch sei: Wenn Sekten sich zoffen, lehnt man sich als Selberdenker am besten ganz entspannt zurück und genießt die Show: Sektengekabbel mit Gurugebrabbel. Es könnte nicht schaden, Sekten aller Art einfach mal zu entsagen, indem man sie, nun ja – entfolgt.
Bis nächste Woche.
Kommentare
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