15. Mai 2024 11:00

Angriffe auf Politiker Kontraproduktiv und an den Kernproblemen vorbei

Interessenspizza mit extradicker cheesy Corruption Crust oder Demokratie?

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: Hans Geel / Shutterstock Für den gemeinen Bürger eher unbekömmlich: Die Interessenspizza aka „Demokratie“

Es grüßt der Leierkasten: Nachdem sich in den letzten Tagen und Wochen sowohl verbale als auch tätliche Angriffe auf Politiker häuften, erschienen natürlich wieder die üblichen Artikel, die mal mehr, mal weniger wehleidig fragten, wie denn „unsere Demokratie“ zu retten sei. Da fängt’s ja schon wieder an: „unsere“? Ganz sicher?

Es entbehrt wahrlich nicht einer deftigen Ironie, nach vielen Jahren demokratischer Negativauslese zu fragen, wie sie vor den Folgen ebendieser Auslese, also vor sich selbst zu retten sei. Ich würde allerdings nicht so weit gehen wie Schiller, der bekanntlich einmal schrieb, der Staat müsse untergehen, „wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet“. Warum nicht? Weil ich dann wieder ein Definitionsproblem hätte: Was genau soll ich unter diesem „Unverstand“ verstehen? Sind die Bürgen in ihrer Mehrheit tatsächlich alle „unverständig“ oder handelt es sich dabei eher um ein politmediales Konstrukt mit kräftigem Schielen auf Machterhalt und -absicherung? Schließlich gehört es zu den beliebtesten Politricks überhaupt, den Leuten einzureden: Ohne uns könnt ihr gar nix und seid hilflos. So unbedarft, wie sie vor allem von einer teilweise politisch einäugigen, regierungshörigen Presse mit überdeutlich wahrnehmbarer Verachtung für die niederen CO2-Emittenten jahrelang geschrieben wurden, um ihnen weiszumachen, sie bedürften stets der ideologischen Missionierung, Erziehung und Züchtigung, sind die Steuerbitches nicht.

Fest steht jedenfalls: Gewalt gegen einzelne Politiker ist selbstverständlich völlig sinnfrei, kontraproduktiv und geht an den systemischen Kernproblemen vorbei. Es ist doch wahrlich keine neue Erkenntnis, dass sich mit der Zeit eine gewisse „Entfremdung“ zwischen Regierten und Regierenden einschleicht: Volk produziert und liefert reichlich Steuerwolle, die als Dünger einer expandierenden Bürokratie dient, was für eine weitere Expansion ihrer Bedürfnisse sorgt, die nur durch expandierende Steuergesetzgebung genährt werden kann. Irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem Volk durch die wachsende Abgabenlast so schnell rotieren muss, dass es weder Lust noch Zeit noch Nerven hat, der Regierung ständig auf die Finger zu schauen.

Täte es das – würde es tagaus, tagein nur noch jeden einzelnen Gesetzesentwurf penibel unter die Lupe nehmen und bis in die Abendstunden über die möglichen ökonomischen Implikationen und Konsequenzen nachdenken und debattieren –, würde es ja nicht genug Steuerwolle produzieren. Der Politrick weiß das natürlich. Und macht es sich zunutze, indem er gerne etwas in den Raum stellt und abwartet, wie Rotiervolk darauf reagiert (Stichwort „Testballon“). Gibt es keine Reaktion – aber nicht unbedingt deshalb, weil, wie Ex-EU-Kommissions-Schluckspecht Jean-Claude einmal verächtlich hickste, „die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde“, sondern wegen der zunehmenden Rotationsgeschwindigkeit und somit der fehlenden Zeit, sich besser zu informieren –, wird natürlich „einfach weitergemacht“. Bis es kein Zurück mehr gibt und eine volatilere Natur die Faust ausfährt. Was wiederum sofort dafür ausgenutzt wird, die expandierenden Bedürfnisse der Sicherheitsbürokratie zu befriedigen. Dolle Wurst.

Mal ganz zu schweigen von der heillosen Situation, dass es in diesem Land keine funktionierende Presse mehr gibt, die ihre Konsumenten auch nur annähernd darüber informieren würde, welchen überspannenden technokratischen Agenden so mancher vermeintlich „dumme“ oder „chaotische“ politische Vorstoß wirklich dient. Wie soll Rotiervolk da eine wirklich mündige, gut informierte Entscheidung treffen? Dazu müsste man sich abseits der „Torwächter“ des Mainstreams informieren, zum Beispiel online, aber dann läuft man leider erneut Gefahr, diversen „Schlüsselmeistern“ anheimzufallen, die diesen dichten Dschungel dadurch zu lichten gedenken, indem sie einfach mit Putins Machete eine Schneise reinschlagen: Westen böse, Osten gut. Manchmal ist es wirklich verzwickt.

Obendrein darf man fragen, inwiefern noch von einer Demokratie gesprochen werden kann, wenn dort Politiker in führenden Positionen nach dem Zufallsprinzip in entscheidungsmächtige Positionen gelangen – sofern man unter „Zufall“ eine Chiffre für „Young Global Leader“ versteht.

Zur Verdeutlichung der Stubenreinheit von Politik und Medien, wenn es um 100 Prozent volksorientierte Politik geht, sei hiermit eine kleine Auswahl an Teilnehmern des „Young Global Leader“-Programms des WEF präsentiert. Ich bin mir absolut sicher, dass viele bei der Lektüre der Namen einen Aha-Effekt feiern und dann auch schon wissen werden, warum gewisse Leute in den Medien auffällig „unterrepräsentiert“ sind …

Die Website „Business Leaders“ hatte diese Liste am 6. Dezember 2022 präsentiert, nachdem im Deutschen Bundestag diesbezüglich eine Anfrage gestellt worden war: „Die Bundesregierung soll unter anderem mitteilen, welche derzeit amtierenden Mitglieder oder Vertreter der Bundesregierung und welche Regierungsmitglieder der Kabinette Merkel I bis IV das Programm des ‚Young Global Leaders Forum‘ durchlaufen haben. Außerdem soll sie angeben, ob sie ausschließen könne, dass durch eine Mitgliedschaft von amtierenden Mitgliedern der Bundesregierung und/oder Vertretern der Bundesregierung im Elitenprojekt Forum of Young Global Leaders Interessenkonflikte entstehen, die einen Einfluss auf politische Entscheidungen der Bundesregierung haben.“

Film ab: Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Wolfgang Ischinger, Julia Klöckner, Silvana Koch-Mehrin, Thomas de Maizière, Ingrid Matthäus-Maier, Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier, Olaf Scholz, Omid Nouripour, Robert Habeck, Cem Özdemir, Armin Laschet, Markus Söder, Jens Spahn, Winfried Kretschmann, Volker Bouffier, Jens Weidmann, Nico Rosberg, Kardinal Reinhard Marx, Sandra Maischberger.

Manche der Genannten dürften für das „Young Global Leaders“-Programm bereits zu alt gewesen sein, aber das ist insofern unerheblich, da den YGLs ein Vorgängerprogramm namens „Global Leaders of Tomorrow“ vorausging (zu deren Mitgliedern unter anderem auch Jeff Bezos und Bill Gates zählten). Es ist also wurscht, ob nun ein YGL oder GLoT ins öffentliche Guckfenster gestellt wird – Hauptsache, es ist ein großer Club und du bist nicht Mitglied (George Carlin). Möglicherweise enthält obige Liste auch Fehler, aber selbst das fiele kaum noch ins Gewicht: Fakt ist, dass wir in einer „repräsentativen Demokratie“ leben, das stimmt schon – fragt sich halt nur, wer da eigentlich repräsentiert wird.

Die Bundesregierung antwortete auf die Anfrage gewohnt demokratisch: „Anspruch auf Herausgabe der Information, welche Bundestagsabgeordneten im Young Global Leaders-Programm des Weltwirtschaftsforums waren oder sind, gibt es nicht.“

Da muss sich der gemeine Bürge also schon selber auf die Suche machen, sprich: den Staat delegitimieren und krude Theorien verbreiten.

Wenn dann auch noch bekannt wird, dass eine YGL wie das Annalenchen pro Monat mehr Geld für Friseure und Visagisten ausgibt (circa 11.000 Euro), als einem großen Teil des Personals durch produktive Arbeit zur Verfügung steht, braucht man auf die nächste Talkrunde mit Experten nicht lange zu warten, die so verzweifelt nach Worten zur Erklärung der „Legitimationskrise“ unserer Wertedemokratie schnappen, als hätte man ein Goldfischglas umgestoßen.

Nun denn also: Was genau ist jetzt mit dieser „Demokratie“ gemeint, von der ständig die Rede ist? Wer oder was wird da repräsentiert? Und vor allem: Welche Lösungsvorschläge gibt es?

Beim nächsten Mal die Richtigen zu wählen, kann sich als nur bedingt hilfreich erweisen, da die Möglichkeit einer fortschreitenden Eintupperung nicht ausgeschlossen werden kann. Denken Sie doch nur an die Grünen: früher Turnschuhe und weg mit dem Establishment, mit dem man heute regelmäßig pennt.

Jetzt mal den Sarkasmus beiseite, ich mein’s ernst: Hat irgendjemand einen richtig guten, praktikablen Vorschlag, wie dieser gordische Knoten zu durchschlagen wäre? Wie kann man dafür sorgen, dass aus der Interessenspizza mit extradicker cheesy Corruption Crust eine vielfältigere, luftigere und nährstoffreichere Speise wird? Immer nur Verkohlenhydrate ist ungesund.

Ich wage zu behaupten: Ein erster Schritt könnte zum Beispiel mehr direkte Beteiligung fürs Rotiervolk sein. Es gibt schließlich Unterschiede zwischen direkter und repräsentativer Demokratie. Das wird wohl auch der Grund sein, warum die Repräsentanten der Pizzabäcker sich bislang immer noch gegen eine direktere Mitsprache ausgesprochen haben.

Bis der Unmut so groß ist, dass Fäuste fliegen. Wie sinnlos.

Bis nächste Woche.


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