17. Mai 2024 06:00

Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus – Teil 6 Das Elend der Planwirtschaft

Arbeitsdemokratie – kommunistisch oder kapitalistisch?

von Stefan Blankertz

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Bildquelle: StanislauV / Shutterstock Hungersnot: Beschämende Begleiterscheinung nahezu jeder sozialistischen Gesellschaft

Das sozialistische Denken durchzieht ein Widerspruch, auch wenn es sich mit den Adjektiven „freiheitlich“ oder „libertär“ schmückt; dieser Widerspruch basiert auf der Besessenheit, sich vom Liberalismus abgrenzen zu wollen, und nimmt folgende Gestalt an:  Auf der einen Seite proklamiert der Sozialismus die nicht nur kollektive, sondern auch individuelle Emanzipation; er verspricht den Arbeitern (und Bauern), dass sie ihr Leben und die Produktion selbst verwalten werden. Auf der anderen Seite behauptet der Sozialismus, dass die auf freiwilliger Kooperation beruhende Wirtschaft mit innerer Notwendigkeit zu Ungleichheit, Ausbeutung, Verschwendung, Behinderung der Entfaltung der Produktivkräfte und der Staatsgewalt führe, also durch eine zentralstaatlich zu leitende Planwirtschaft ersetzt werden müsse. Wie die Einrichtung solch einer Planwirtschaft ohne Bürokratisierung vonstattengehen, wie sie in das „Absterben des Staats“ münden und wie sie die Selbstverwaltung und -bestimmung der einzelnen freiwillig gebildeten Gruppen von Menschen fördern könne, hat die sozialistische Theorie nie geklärt. Und in der Praxis zeigte sich, dass tatsächlich nichts an Eigenständigkeit übrigblieb, dass Staatsgewalt und Bürokratie überhandnahmen und dass schlussendlich die Produktivität in den Keller ging. Dieser Widerspruch in Theorie und Praxis ist an Wilhelm Reich nicht spurlos vorbeigegangen. Nach seinem Ausschluss aus der KPD im Jahr 1933 versuchte er, sich aus jenem Widerspruch herauszukämpfen, und in der Fassung der „Massenpsychologie“ von 1946 werden wir Zeuge dieses schwierigen Unterfangens, das ihm nur zum Teil glücken sollte. Weshalb bloß musste er die Idee der freiwilligen wirtschaftlichen Interaktion Arbeitsdemokratie nennen, nur um den bösen Begriff Kapitalismus zu vermeiden?

Was Reich unter dem Begriff „Arbeitsdemokratie“ verstanden wissen wollten, beschrieb er 1946 mit einem interessanten Rückgriff auf die spezifisch nordamerikanische Geschichte: „Verloren sich Ansiedlergruppen in den amerikanischen Urwäldern, so versuchten sie, den Weg, auf dem sie gekommen waren, wiederzufinden, um von bekanntem Terrain neu ins Unbekannte vorzustoßen. Sie bildeten hierzu keine politischen Parteien; sie führten keine endlosen Debatten über die Gegenden, die sie nicht kannten; sie schlugen einander nicht die Köpfe ein und sie forderten einander nicht unausgesetzt dazu auf, Programme über Ansiedlungen zu entwerfen. Sie handelten aufgrund der gegebenen Situation natürlicherweise arbeitsdemokratisch.“ Ob (sozial-) historisch richtig oder falsch, in diesen Worten ist die Utopie Reichs enthalten: Man streitet, aber einigt sich auch konkret und vor Ort, face to face, über konkrete Probleme und Richtungen.

Noch im Nachwort zu der zweiten Auflage der „Massenpsychologie“ 1934 hatte Reich sich zur „Verwirklichung der sozialistischen Planwirtschaft“ bekannt; dieses Bekenntnis wiederholt er sogar in einem Kapitel, das sich nur in der Fassung von 1946 findet. Und er wiederholt all die unsinnigen antikapitalistischen Klischees: „Die Wirtschaftsanarchie muss zum wesentlichsten Hemmschuh der weiteren Entwicklung der sozialen Produktivität geworden sein. Das Chaos der Wirtschaft muss jedem klar werden, etwa darin, dass man Warenüberschüsse vernichtet, um Preisstürze aufzuhalten, während gleichzeitig Menschenmassen hungern und verhungern. Die private Aneignung der kollektiv erzeugten Güter muss in schärfsten Gegensatz zu den Bedürfnissen der Gesellschaft getreten sein. Der internationale Güterverkehr muss die Zollgrenzen der nationalen Staaten und das Warenprinzip als unüberwindliche Schranken zu empfinden beginnen.“

Hier geht so einiges durcheinander, was richtiggestellt werden sollte. Zunächst einmal ist es historisch eindeutig, dass nicht Wirtschaftsanarchie und Chaos der Wirtschaft zum Hemmschuh der Produktivität geworden sind, sondern die Planwirtschaft. Die Hungersnöte zu Beginn der Sowjetunion waren keine einmaligen Ereignisse, vielmehr kehrten sie in jeder Planwirtschaft wieder ein – besonders verheerend in der VR China nach dem „Großen Sprung nach vorn“ Anfang der 1960er Jahre. Die UdSSR ist fortlaufend auf Getreideimporte aus den USA angewiesen geblieben. Die VR Korea wird von Hungersnöten geplagt, das kommunistische Äthiopien erlebte 1984 eine Hungersnot, in Venezuela kommt es nach Jahrzehnten des Sozialismus zu Versorgungsengpässen. Indien dagegen konnte sich, nachdem der herrschende Sozialdemokratismus überwunden war, zu einer Nation der Selbstversorgung entwickeln.

Wilhelm Reich ist auch der Widerspruch nicht aufgefallen, dass er Wirtschaftsanarchie und Chaos der Wirtschaft anprangert, um dann ausgerechnet Zollschranken als Beispiel zu nennen – sind doch Zollschranken genau die Instrumente von nationalistischen und sozialistischen Staaten, um im planwirtschaftlichen Geist die Anarchie und das Chaos zu kontrollieren.

Andererseits schrieb Reich: „Ein Henry Ford mag diese oder jene politische Anschauung haben, er mag ideologisch ein Engel oder ein Schädling sein; das ändert nichts an der Tatsache, dass er der erste amerikanische Erbauer des Automobils war und das technische Gesicht Amerikas total verändert hat. Edison war zweifellos politisch ideologisch ein Kapitalist; aber man möchte den politischen Arbeiterfunktionär kennenlernen, der die von Thomas Edison persönlich erarbeitete Glühbirne nicht benützte oder der es wagen würde, öffentlich mit der Behauptung aufzutreten, dass Edison ein nicht arbeitender Parasit der Gesellschaft gewesen wäre. Mit der Auflösung der Komintern 1943 hat sich am Leben der Menschen nichts geändert. Man stelle sich nun vor, dass in China oder Amerika alle Lehrer oder Ärzte an einem bestimmten Tage aus dem sozialen Prozess ausschieden!“

Henry Ford und Thomas Edison – welchen Göttern huldigt der „Kommunist“ Wilhelm Reich hier? Er ist hier so nah dran am Anarchokapitalismus wie sonst an keiner anderen Stelle seiner Schriften. „Der ,sozialistische‘ Staat ist eine Erfindung von Parteibürokraten.“

Aber wie ließe sich die Planwirtschaft ohne einen Staat realisieren? Weiter ist zu fragen: Was bedeutet die „,Selbstverwaltung‘ der Betriebe, Schulen, Fabriken, Verkehrsorganisationen et cetera“? Kann Selbstverwaltung (und „Arbeitsdemokratie“) mit Planwirtschaft einhergehen? An einer anderen Stelle spricht Wilhelm Reich noch pointierter von einer „Selbststeuerung der Arbeit“, die „spontan vorhanden“ sei. Spontaneität und Planwirtschaft, das geht nun mal gar nicht Hand in Hand.

Den „scharfen Gegensatz von Arbeitsdemokratie und Politik“ beschreibt Wilhelm Reich so: „Unsere Zeitungen sind von politischen Debatten voll, die keiner einzigen Schwierigkeit des Arbeitsprozesses der Menschenmassen Rechnung tragen. Das ist begreiflich, denn der Politiker versteht nichts von Arbeit. Man stelle sich hingegen vor, wie freudig Werkmeister, Ingenieure, Spezialarbeiter jeder Art Zug um Zug des Arbeitsprozesses darstellen, Verbesserungen, Erfindungen et cetera vorbringen würden. Sie würden streiten, miteinander konkurrieren. Es gäbe heftige Debatten. Das wäre ja nur gut. Es hat Jahrhunderte gedauert, ehe man auf die Idee kam, die Fabriken nicht wie Gefängnisse, sondern wie Erholungsheime zu bauen.“ Wie sollte Planwirtschaft möglich sein, wenn in den Betrieben eigenmächtig Entscheidungen getroffen und gar Verbesserungen und Erfindungen eingeführt werden? Selbst „Konkurrenz“ ist hier nicht mehr der Buhmann, vielmehr Antriebskraft für Innovation und sogar Arbeitsfreude! Adam Smith lässt grüßen.

Wilhelm Reich sieht einen Widerspruch zwischen „arbeitsdemokratischer Selbstverwaltung der Gesellschaft“ und „autoritärer Staatsadministration gegen den Willen und den Protest der Konsumenten und Produzenten“. Aber gibt es eine Unterscheidung zwischen „autoritärer Staatsadministration“ und „Planwirtschaft“? Dass beides niemals mit irgendeiner Form von Selbstverwaltung zusammenpasst, weiß Reich im Grunde auch: „Die natürlichen Funktionen des Arbeitsprozesses sind jeder Art menschlich-mechanistischer und autoritärer Willkür entzogen. Sie funktionieren und sind im strengen Sinne des Wortes frei.“

Wilhelm Reich hat das Ende der Planwirtschaft erspürt, allerdings niemals erdacht oder zuzugeben vermocht. Das ist sein Fehler, und es ist sein Fehler nicht. Denn niemand außerhalb der kleinen Zirkel um Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek wollte es jemals begreifen, dass eine unumgängliche Entgegensetzung zwischen den Entscheidungen von Einzelnen oder von freiwillig gebildeten Gruppen und der Idee, dass gesellschaftliche oder wirtschaftliche Verhältnisse zentral, (angeblich) rational zu regeln seien, besteht. Jede Form von rationalen Reglungen, auch und vor allem die demokratische Regelung, erzwingt, dass die individuellen Handlungen und die Vorstellungen von Face-to-Face-Communitys übergangen und untergeordnet werden.


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