75 Jahre Grundgesetz: Ein Schauprozess zum Wiegenfest
Höcke-Urteil und Meinungsfreiheit
Staaten lieben Anlässe, sich selbst zu feiern und dabei möglichst den Menschen ihre Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit zu suggerieren. Für die BRD ist ein solcher Anlass in diesen Tagen der 75. Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes. Doch die Menschen zwischen Flensburg und Garmisch scheint dieses Jubiläum nicht wirklich vom Hocker zu reißen. Das mag auch daran liegen, wie sehr, besonders seit Covid, die Doppelzüngigkeit eines Staates offensichtlich geworden ist, der einerseits unveräußerliche Grundrechte beschwört, die gegen Verfassungsfeinde von rechts verteidigt werden müssen, und der andererseits diese Grundrechte selbst drei Jahre lang mit Füßen getreten hat und dies auf anderen Feldern noch heute tut.
Während in den USA Verbote von Gottesdiensten oder polizeiliche Maßnahmen gegen Versammlungen von Covid-Kritikern immer am Ende gegen die Verfassung verstoßen, ist das in Deutschland nicht ganz so klar. Denn das Grundgesetz kennt keine Bill of Rights. Wichtige Grundrechte wie Meinungs- oder Versammlungsfreiheit stehen unter einem sogenannten Gesetzesvorbehalt. In einem Propagandatext der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es dazu: „Grundrechte müssen besonders geschützt werden. Der Gesetzesvorbehalt ist ein solcher Schutz. Er stellt sicher, dass ein Eingriff in das Grundrecht nur möglich ist, wenn in einem Parlament darüber öffentlich diskutiert wurde und das Gesetz von der Mehrheit der Abgeordneten beschlossen wurde.“ Dieser Staat hat doch echt die Chuzpe, die massiven (und völlig legalen) Eingriffe in Grundrechte seinen Dumpfbacken-Untertanen auch noch als „Schutz“ dieser Grundrechte zu verkaufen! Und das, was diesen Eingriff pauschal okay macht, ist ein Mehrheitsbeschluss des Parlaments? Und so reden und schreiben Leute, die aus der deutschen Geschichte gelernt haben wollen?
Zum Opfer des staatlichen Gesetzesvorbehalts wurde in dieser Woche auch Björn Höcke, der nach dem Willen des Landgerichts Halle wegen eines Meinungsdelikts eine Geldstrafe in Höhe von 13.000 Euro zahlen soll. Als ich meiner amerikanischen Frau erklärte, dass er für den Satz „Alles für Deutschland“ verurteilt worden sei, wollte sie mir das erst nicht glauben. So einen Richterspruch würde ein Amerikaner eher gefühlsmäßig in einer arabischen Diktatur verorten als im Land eines westlichen Verbündeten. Meinungsfreiheit in Amerika kennt keinen Gesetzesvorbehalt, den sich der Staat zunutze machen kann, um unliebsame Meinungen zum Schweigen zu bringen. Auf der anderen Seite des Atlantiks können Sie einen Polizisten einen „dreckigen Hurensohn“ schimpfen, ohne jemals dafür auf der Anklagebank zu landen. Das ist Meinungsfreiheit! Die geschichtspolitische Einordnung der von Höcke benutzten Parole, die vor Gericht zentrales Thema war, interessiert mich daher auch überhaupt nicht und tut für meine Bewertung nichts zur Sache.
Für den regelmäßigen Beobachter der deutschen Politik reiht sich das Urteil freilich ein in eine lange Liste von staatlichen Übergriffen gegen die freie Rede. Prominentestes Opfer in diesem Jahr vor Höcke: der österreichische Publizist Gerald Grosz, der vom Amtsgericht Deggendorf verurteilt wurde, weil er den bayerischen Ministerpräsidenten „Södolf“ genannt hatte.
Der (noch nicht rechtskräftige) Schuldspruch gegen Höcke kommt angesichts des aktuellen politischen Klimas, einer politisierten Justiz, der Hetze der Bundesregierung und ihrer Claqueure in den Medien gegen alles, was irgendwie rechts ist, und der Tatsache, dass wir uns in einem Superwahljahr befinden, nicht überraschend. Was mich hingegen so fassungslos macht, ist die oft geifernde Freude über das Urteil von ganz links bis weit hinein ins angepasste Bürgertum. Ganz zu schweigen von den Medien. „So geht Rechtsstaat“, feierte „BurdaForward“-Chefredakteur Carsten Fiedler das Urteil auf „Focus Online“: „Unser Staat muss sich mit aller Macht gegen die Rückkehr solcher strafbarer NS-Rhetorik wehren. Es ist ein Verdienst des Landgerichts Halle, dass es hier keine Grauzone, keine Zweideutigkeit zugelassen hat. Die Sprache der Nazi-Diktatur darf in unserem demokratischen Staatswesen keinen Gebrauch und keinen Widerhall mehr finden.“ Dabei wäre der Sound von Fiedlers Kommentar sicher auch in früheren deutschen Staaten nicht schlecht angekommen. Und fürs RedaktionsNetzwerk Deutschland bescheinigt Jan Sternberg dem Staatsanwalt Benedikt Bernzen Mut, Höcke angeklagt zu haben und sich von dessen Verteidigungsrede nicht provoziert haben zu lassen. Eine Täter-Opfer-Umkehr wie aus dem „Neuen Deutschland“ zu seinen schlimmsten Zeiten.
Wenn man schon die Meinungsfreiheit nicht aus Prinzip verteidigen will und sich deswegen nicht in der Lage sieht, Björn Höcke beizuspringen (was besonders für Journalisten ein Armutszeugnis ist), sollte man doch unter den Befürwortern dieser Gangart eines Staates gegen einen prominenten Oppositionspolitiker zumindest Angst davor haben, dass sich die AfD nach einer Regierungsübernahme reziprok verhalten könnte. Sieht man denn nicht, wie hier der Wunsch nach Rache wächst? Auf Facebook und X forderten AfD-Fans bereits, dass nun auch dringend antinationale Parolen wie „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“ verboten werden sollen. Die meisten AfD-Sympathisanten haben von der freien Rede eben auch keine höhere Meinung als der große Rest des Landes.
Doch nicht nur bei einigen Journalisten, die das Urteil kommentierten, war ich erschrocken über das autoritäre Vokabular und den herrischen Ton. Der Vorsitzende Richter etwa sprach davon, Höcke habe den Deckmantel der Meinungsfreiheit „stark strapaziert“ und nach dem Motto gehandelt: „Mal gucken, wie weit ich gehen kann.“ So spricht ein Lehrer mit einem bockigen Teenager. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe gegen Höcke gefordert mit der Begründung, dies sei „zur Einwirkung auf den Angeklagten unerlässlich“, vor allem aufgrund Höckes „Nachtatverhalten“, wozu in der kruden Welt des Staatsanwalts weitere Meinungsdelikte zählen. Diesen ideologischen Verfolgungseifer, gepaart mit einem in Deutschland nicht totzukriegenden, in der Bevölkerung weitgehend akzeptierten Rechtspositivismus, finde ich immer wieder gruselig. Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich die offizielle BRD auch deswegen so gerne an eingebildeten Nazis abarbeitet, weil sie damit kaschieren kann, wie sehr dieser Staat, seine Repräsentanten und Institutionen in ihren Wurzeln von der Gründung bis heute vom deutschnationalen autoritären Ungeist geprägt sind. Da ist ein Sektempfang zu 75 Jahren Grundgesetz doch wesentlich angenehmer, als sich als deutscher Politiker, Richter, Staatsanwalt oder Polizist einmal die Frage zu stellen: Wie viel Bismarck, wie viel Höcke oder, für die Fortgeschrittenen in Selbstreflexion, vielleicht auch, wie viel Adolf Eichmann steckt eigentlich in mir und meinem Handeln?
Natürlich dienen solche Urteile auch als Abschreckung. Höcke und Grosz haben die finanziellen Mittel, die Kontakte und die Nerven, im Zweifel einen mehrjährigen Krieg durch die Instanzen durchzuziehen. Das kann der Otto Normalbürger nicht. Dem bleibt dann nur Schweigen oder Zahlen. Und dabei sollte sich niemand der Illusion hingeben, Schweigen habe keinen Preis.
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