Schützenhilfe durch: Die Zeitschriftenauslage: Die bunte Wand der Wahrheit
Wie die Magazine im Supermarkt belegen, was die Leute wirklich wollen
von David Andres
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Zwei Beobachtungen fanden kürzlich wie perfekt benoppte Klemmbausteine zusammen. In einem Dachthekenduett bemerkte André F. Lichtschlag voller Überzeugung, dass die Menschen nicht die „richtige“ Politik wollen, sondern gar keine. Dass sie in ihrem praktischen Leben nicht ständig davon behelligt werden möchten. Diese Äußerung wirkte in mir nach, als ich wenig später beim Edeka in der Kassenschlange stand und mein Blick auf die lange Wand mit den Zeitschriften fiel. Ich überflog das Angebot und auf einmal wurde mir klar, was ich da sehe. Es lag die ganze Zeit auf der Hand, aber erst jetzt begriff ich es wirklich. Die Menschen sind tatsächlich gegen Politik allergisch. Und diese Auslage beweist es. Wieso?
Heute noch ein gedrucktes Magazin herauszugeben, ist ökonomisch ein gewagtes Unterfangen. Vor allem in den Auflagen, die nötig sind, um überall in jeder Auslage eines stinknormalen Supermarktes präsent zu sein. Anders als die Bahnhofsbuchhandlung stellen ein Edeka, ein Rewe oder ein Kaufland „nur“ das hin, was sich wirklich rechnet. Das kann, je nach Stadt, Dorf und sozialem Milieu des Viertels auch mal bedeuten, selbst im Supermarkt eine Ausgabe von Tichys Einblick zu finden oder ein ganz besonderes Jazzmagazin. Alles in allem aber ist entscheidend, welche Themengebiete unter dieser Vorgabe des ökonomischen Drucks auch weiterhin in der Breite funktionieren. Aus welchen Gebieten stehen dort Dutzende oder gar Hunderte verschiedener Magazine und finden alle zugleich genug Kundschaft?
Da wäre zum einen das behagliche, ästhetische Leben in Haus und Garten. Vor allem im Garten. Magazine, die sich damit befassen, wie man seine Landlust in produktive Bahnen lenkt. Hefte, die Tipps zur Pflege der Pflanzen bieten oder zur schönen Einrichtung des Zuhauses. Wer schon mal dabei ist, erhält von weiteren Titeln die Anleitung zum guten Kochen und Bewirten. Rezeptideen ohne Ende, teilweise gar Einzelausgabe nur über gelungene Cocktails. Politik? Die Menschen machen ihr Umfeld schön und empfangen Gäste.
Weiter geht’s mit einer erstaunlichen Vielfalt von Magazinen zu benzinbetriebenen Fahrzeugen. Alles, was rollt und röhrt, hat seine eigene Presse, von aktuellen Autos über Young- und Oldtimer bis zu Motorrädern und einer großen Anzahl von Titeln über Campingmobile, welche die Freude an echter, individualistischer Mobilität direkt mit Reisen, Urlaub und Ferien verbinden. Klimaschutz und Transformation? Die Menschen feiern weiterhin die motorisierte Mobilität abseits überteuerter Stromkarossen.
Den größten Anteil der Regalmeter nehmen weiterhin die „Oma-Hefte“ ein, also bunte Blättchen, die Klatsch und Tratsch mit Rätseln, Rezepten und ein wenig alltäglicher Kalenderspruch-Lebenshilfe verknüpfen. Sie standen schon seit jeher für den reinen Eskapismus jener Menschen, die gerade deswegen in der Freizeit bloß ihr Kreuzworträtsel, ihr Soduku und die neueste Schlagzeile über Roland Kaiser wollen, weil sie das echte Leben kennen. Weil sie einiges durchgemacht haben oder noch durchmachen und zu denen gehörten oder gehören, die den Karren hier am Laufen halten. Politik? Soll sie einfach nur in Ruhe lassen.
Klar gibt es noch den „Spiegel“, den „Stern“ oder den „Focus“ mit ein wenig Framing des Weltgeschehens für den angepassten Gewohnheits-Sozi oder, dankenswerterweise, Hefte wie den „Cicero“ für den gepflegten, bürgerlichen Selbstdenker. Alles in allem aber bietet die Zeitschriftenauslage eine absolut offensichtliche, gern übersehene „Schützenhilfe“ für die überaus libertäre These, dass Politik an sich die Menschen anwidert, abstößt oder zumindest langweilt. Anderenfalls stünden dort ja, weil es sich rechnete, statt all der Hefte mit Haus, Garten, Auto, Wohnmobil, Rezepte, Promiklatsch und Rätselspaß, meterweise Magazine mit Reportagen zur erfolgreichen grünen Transformation, zur planwirtschaftlischen Gesundheitspolitik, zur erfolgreichen Kriegsführung in der Gegenwart oder zur kritischen Rassentheorie. Und das wäre dann wirklich das Bild eines Staates, der seine Bevölkerung erfolgreich ideologisch zugerichtet hat.
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