19. September 2025 18:00

Mises-Preis für Javier Milei Ideologen schütten das Kind gern mit dem Bade aus

Zu der Kontroverse unter Libertären

von Thomas Jahn drucken

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Bildquelle: Matias Lynch / Shutterstock Polarisiert – auch Libertäre: Javier Milei

Javier Milei wird am 11. Oktober in München erwartet. Dort möchte das Ludwig von Mises Institut Deutschland dem argentinischen Staatspräsidenten den „Gedächtnispreis zu Ehren Ludwig von Mises“ verleihen, was nun zu einer wochenlangen Kontroverse geführt hat, die auch auf dieser Plattform ausgetragen wird. Milei sei nicht preiswürdig, so die Kritik vieler Libertärer am deutschen Ludwig von Mises Institut. Ohne auf die Details einzugehen, kann zusammenfassend festgestellt werden, dass Javier Milei nichts weniger als Verrat an der „reinen Lehre“ der Österreichischen Schule und den Grundfesten des Libertarismus vorgeworfen wird. Entgegen seinen Wahlversprechen habe er die argentinische Zentralbank nicht abgeschafft und die argentinischen Auslandsschulden vergrößert. Dass Milei bislang nur auf Basis von präsidentiellen Notdekreten und ohne parlamentarische Mehrheit in lediglich eineinhalb Jahren die argentinische Hyperinflation beendet, das Staatsdefizit in Haushaltsüberschüsse verwandelt, Steuern und Abgaben im Saldo gesenkt, einen funktionierenden Mietwohnungsmarkt geschaffen und dem Land im ersten Quartal ein Wirtschaftswachstum von 5,8 Prozent beschert und damit China deutlich überholt hat, wird dabei leider ausgeblendet. Es ist natürlich unmöglich, in einem kurz zu haltenden Artikel alle Erfolge Mileis bei der Vergrößerung der Freiheit der Menschen aufzulisten. Sein beeindruckender Tatendrang mag aber mit der Bilanz einer einzigen Arbeitswoche (!) im Mai 2025 belegt werden:

Die Quellensteuer auf den Export für 4.411 Produkte wurde ersatzlos abgeschafft, ebenso wie 23 Zollvorschriften. Mehrfachlizenzen zur Ausübung von Heilberufen wurden auf eine einzige notwendige staatliche Zulassung reduziert. Ein staatlicher Fonds für die „sozio-städtische Integration“ wurde geschlossen. Ein völlig ineffizienter staatlicher Treuhandfonds zur Förderung von Wissenschaft und Technologie wurde abgeschafft. Die „Kommission zu Ehren von Juan Perón“ wurde aufgelöst, ebenso wie das nach dem früheren sozialistischen Präsidenten benannte gleichnamige Institut. Dem „Che Guevara Museum“ wurden die staatlicherseits zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten gekündigt.

Verglichen mit Deutschland und anderen westlichen Ländern geht ein solches Arbeitspensum über bloße Reformen und homöopathisch anmutende Einsparbemühungen deutlich hinaus. Wie die Beispiele Perón und Che Guevara zeigen, trocknet Milei auch gezielt den propagandistischen Sumpf der zahlreichen linkssozialistischen Vorfeldorganisationen aus und wird damit auch einen bleibenden Beitrag zur Entfaltung freiheitlicher Ideen leisten. Milei vor diesem Hintergrund vorzuwerfen, er sei nur eine Marionette von „Bankstern“, die zur Täuschung von Investoren installiert worden sei, wie Mitkolumnist Axel B.C. Krauss in seinem Freiheitsfunken-Artikel „Wie man einen Mythos fachgerecht dekonstruiert“ anklingen lässt, erscheint mehr als absurd.

Wussten Mileis libertäre Kritiker eigentlich, dass sich auch Ludwig von Mises nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie bis Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts in den Dienst des Staates stellte, um Schlimmeres zu verhindern? In seinen Erinnerungen beschrieb Ludwig von Mises, wie er 1919 auf den damaligen sozialdemokratischen Außenminister Otto Bauer einwirkte, um eine bolschewistische Revolution in Österreich zu verhindern. 1922 hatte Ludwig von Mises einen entscheidenden Anteil bei der Reorganisation der Österreichischen Nationalbank zur Verhinderung der Monetarisierung der Kriegsschulden, wie sie die deutsche Reichsbank betrieb. Mises verhinderte im Übrigen auch durch Umschuldungen der österreichischen Auslandsschulden, ähnlich wie heute Milei, dass Österreich in derselben Hyperinflation wie Deutschland versank, die bekanntlich ein wesentlicher Grund für den Aufstieg des Nationalsozialismus war.

Wäre es nach Ludwig von Mises’ eigener Schule gegangen, hätte er die österreichische Nationalbank eigentlich abschaffen müssen. Österreich befand sich damals aber in einem ähnlichen Dilemma wie Argentinien heute: ein zerrütteter und überschuldeter Staat, der sich im Inneren nicht weiter verschulden kann, ohne eine Hyperinflation, verbunden mit einem völligen wirtschaftlichen Niedergang, auszulösen und der aufgrund horrender Auslandsschulden nur noch über eine eingeschränkte Souveränität verfügt. Mises und Milei ist gemein, dass sich nur die Wahl bot, den jahrelang falsch behandelten Patienten mit einer Notoperation am offenen Herzen das Leben zu retten, freilich mit der Konsequenz einer jahrelangen Rehabilitationsphase. Diese Phase hatte Mises 1922 natürlich ebenso angemahnt, denn einer überschuldeten Volkswirtschaft bleibt nichts anderes übrig, als den Überkonsum der Vergangenheit durch konsumtive Enthaltsamkeit in der Zukunft und eine höhere Produktivität wieder zu kompensieren. Mises schlug daher eine massive Senkung der Staatsausgaben, verbunden mit durchgreifenden Steuersenkungen zur Aktivierung von Wachstumskräften, vor. Da diese Politik leider ausblieb, brachen Österreichs Industrie und Banken dennoch, allerdings erst im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1931, zusammen.

Diese anschaulichen historischen Beispiele zeigen: Die reine Lehre ist etwas für Labore, Seminare und, im Falle der häufig überzogenen Kritik an Milei, offenbar etwas für Wolkenkuckucksheime, die manchmal mehr an Kongresse der Jusos oder an Happenings der Grünen Jugend erinnern.      

Den Kritikern Mileis ist indes natürlich recht zu geben, wenn es um die Gefahr eines Personenkults geht. Gute Ideen brauchen glaubwürdige Persönlichkeiten. Gerade freiheitsorientierte Menschen wissen allerdings, dass Menschen fehlbar sind und Macht immer dazu neigt, zu korrumpieren. Dabei sollte man allerdings auch die realen politischen Machtverhältnisse im 21. Jahrhundert zur Kenntnis nehmen, die davon geprägt sind, dass eine Handvoll freiheitlich orientierter Staats- und Regierungschefs einer Übermacht von wahrscheinlich mehr als 95 Prozent etatistisch, kollektivistisch oder gefährlich sozialistisch motivierten Amtsinhabern gegenüberstehen.  

Alle, die sich wie Javier Milei oder Ron Paul aktiv aufmachen, um mit den Vorbildern Mises, Hayek und Rothbard die Freiheit des Individuums zu vergrößern und mutig gegen immense Widerstände die Ideen der Freiheit in einer Wüste der Unfreiheit zu verkünden, verdienen zunächst Ermunterung und Solidarität. Für konstruktive Kritik bleibt dann immer noch Zeit, denn damit ist gemeint, dass bei allem Verständnis für Geradlinigkeit und Prinzipientreue das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden sollte. Nicht Javier Milei ist das Problem, sondern die Trägheit vieler libertärer Zeitgenossen, die selbst einfache Chancen, wie ein Wahlkreuz an der richtigen Stelle zu setzen, ungenutzt verstreichen lassen und auch die wichtige Erkenntnis von Murray Rothbard außer Acht lassen, nämlich politische Bündnisse mit jenen einzugehen, die im Fadenkreuz der Linken und in Opposition zu einem sozialistischen, immer totalitärer auftretenden Politikmodell stehen, vielleicht aus anderen Beweggründen, aber: Sollte man sich auf der sinkenden Titanic lieber über den warm gewordenen Champagner beschweren oder nicht doch alles tun, um so viele Menschen wie möglich zu retten?

In der Frage der Fokussierung auf das menschliche Leben zeigt sich auch der Unterschied zwischen echten Freiheitsfreunden und sektenartig agierenden Ideologen.

Am Ende kommt es nicht darauf an, ob man immer nur der reinen Lehre gefolgt ist, sondern was man für das Leben und das Wohlergehen seiner Mitmenschen getan hat. Die Ideen der Österreichischen Schule sind dazu geeignet, das Leben von Abermillionen von Menschen zu verbessern und das Leben vieler weiterer Millionen zu retten. Diese Ideen brauchen Botschafter und Praxisanwender, die möglichst viele Menschen erreichen. Daher sind auch die libertären Kritiker der Politik Mileis gerne jederzeit dazu aufgerufen, die bequeme und sichere Zone am Rande des Spielfelds zu verlassen und einen Beitrag dafür zu leisten, das Spiel nicht den Feinden der Freiheit überlassen.  


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