04. Juni 2024 11:00

Top Spin: Sports Free Das gescheiterte Gruppen-Coming-out im Fußball

Wie die Profis ihr Leben weiter privat halten

von David Andres

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Bildquelle: Sports Free Mehr Wokismus wagen: Auch „Sports Free“ sieht sich als „Kämpfer“

Über Monate hinweg wurde es angekündigt. Spannung erzeugt. Sozusagen „eine Promo-Phase“ aufgesetzt. Schon im Februar konnte man davon lesen, etwa in der Welt. „Gruppen-Coming-out für den 17. Mai angekündigt“ hieß es dort in einem Online-Artikel, illustriert mit muskulösen Männerbeinen auf dem grünen Rasen. „Es wollen sich Personen outen aus Österreich, Deutschland und England“, zitiert die Zeitung damals den Initiator der Kampagne, Marcus Urban, einen Ex-Jugendnationalspieler, den man immerhin als Pionier bezeichnen darf, ist seine Homosexualität doch schon seit 2007 bekannt. „Ich freue mich über den Prozess, der tatsächlich auch ein bisschen aufwühlend ist“, sagte er, „aber ich freue mich riesig über das Vertrauen, das entgegengebracht wird.“

Den 17. Mai hatte man für die Aktion deswegen ausgesucht, weil die WHO am 17. Mai 1990 die Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten gestrichen hat. Seit 2005 gilt dieser Tag daher als „internationaler Tag gegen Homophobie“, mittlerweile gegen „Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie“… es ist zu erwarten, dass die Liste sich in den kommenden Jahrzehnten noch verlängert. Wie dem auch sei, am 17. Mai 2024 sollte es endlich soweit sein – die Liste der paar wenigen Fußballer, die sich auf der Webseite „Sports Free“ bekennen, sollte auf einen Schlag größer, umfangreicher und vor allem von Fußballern bevölkert werden, die tatsächlich gerade aktiv sind. Zumeist outen sich ja „nur“ Ehemalige, die sich nicht mehr aktuell dem Publikum und dem Gegner zu stellen haben, der berühmteste davon sicherlich Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger.

Am Morgen des 17. Mai war die Webseite von Sports Free kurzfristig nicht zu erreichen. Offenbar wollten zu viele Menschen gleichzeitig nachsehen, wer sich denn getraut haben könnte. Würden dort wirklich einige Dutzend aktive Profis die Tarnung fallen lassen? Oder gar einige Hunderte? Man sieht sie förmlich vor sich, die Kollegen und Innen von der „taz“ und der „Zeit“, von der „Süddeutschen“ und vom „Stern“, die womöglich schon das Titelblatt für die nächste Ausgabe planten, fünfzig passfoto-kleine Porträts der couragierten Männer, die ihre Liebe für das gleiche Geschlecht endlich hinausposaunen.

Und dann?

Nix.

Stille.

Als die Seite wieder zu sehen ist und bis heute finden sich dort ein paar aktive Spieler, die bereits lange vorher dort standen. Der Schotte Zander Murray hat sich bereits im Herbst 2022 geoutet und zuvor in niedrigen lokalen Ligen gespielt. Sportlich mehr her macht Jakub Jankto aus der italienischen Serie A und zudem tschechischer Fußballprofi, der hin und wieder für die Nationalmannschaft gespielt hat. Er gab im Februar 2023 öffentlich seine Homosexualität bekannt, als erster aktiver und international tätiger Spieler. Jeder der Handvoll aktiven oder ehemaligen Profis aus der Galerie von „Sports Free“ war schon viel früher dran – kein einziger derzeitiger Profi hat den 17. Mai 2024, den großen Tag des Gruppen-Outings, genutzt. Trotz zahlreicher Vereine, welche die Kampagne unterstützen und trotz eines offenen Briefs aus der Fanszene mit dem Tenor: „Wir stehen an eurer Seite.“

Je nach Umfrage und Statistik darf man unter den Männern einer westlichen Bevölkerung davon ausgehen, dass zwei bis sieben Prozent schwul sind. Es ist folglich ausgeschlossen, dass sämtliche Kader aller Profivereine ausschließlich aus Heteros bestehen. Vom miserablen Timing der Kampagne, die kurz vor Ende der Saison und im Vorfeld einer Europameisterschaft platziert wurde, einmal abgesehen – wieso machen die alle einfach nicht mit? Wieso retournieren sie den „Diversity“-Spin abseits erzwungener Symbolgymnastik mit Regenbogenbinden mit einem radikal verweigernden Stopp-Ball?

Weil sie, ohne Roland Baader gelesen zu haben, vom wichtigsten Menschenrecht Gebrauch machen – sie wollen in Ruhe gelassen werden. Sie wollen spielen, Geld verdienen, geschmeidig durch eine Karriere gehen, die trotz der „progressiven“ Zeiten andernfalls anstrengender werden könnte, wenn man nicht gerade in St. Pauli, Freiburg oder Cagliari Calcio aufläuft, wo Jakub Jankto den ersten Schritt gemacht hat. Erstaunlich, im eher traditionellen Italien. Doch selbst, wenn es immer einfacher würde, immer gefahrloser; selbst, wenn gegnerische Fans nicht in diese offene Flanke stechen – womöglich denken sich all diese kompetenten Profis in einem Job, der aus sich heraus nicht politisch gedacht war: „Es geht euch verdammt nochmal nichts an!“

Sie beschützen ihre persönliche Sphäre sozusagen als Eigentum, auf welches das Kollektiv beziehungsweise dessen politische Aktivisten, kein Zugriffsrecht haben. Sie halten ihr Privates störrisch privat… und das ist gut so.

Quellen:

Gruppen-Coming-out für den 17. Mai angekündigt (Welt)

Sports Free – Coming out im Profisport


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