Ende der Meinungsfreiheit: Propaganda und Staatsmacht
Aus einem hinzugefügten Abschnitt in der erweiterten und überarbeiteten Neuedition von „Technokratischer Totalitarismus“
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts spielt die systematische Propaganda auf wissenschaftlicher Grundlage eine immer größere Rolle. Das verhaltenstheoretische Grundmuster von Stimulus und Response liefert das Grundmodell. Welche Stimuli muss der Propagandist einsetzen, um bei der angepeilten Gruppe die erwünschte Antwort zu erhalten? Propaganda wird zur Manipulation, wenn die Zielgruppe bewusst getäuscht wird. Man will den Kunden, sei es kommerziell oder politisch, durch Un- und Halbwahrheiten bewusst verführen. Im Unterschied zur politischen Propaganda sind Lug und Trug bei der kommerziellen Werbung allerdings nur begrenzt möglich. Wirtschaftswerbung strebt eine Verhaltensänderung an, die sich auf einen Einzelaspekt des menschlichen Daseins bezieht, und zwar im Wesentlichen darauf, für welches Produkt man sich als Kunde entscheidet. Im Gegensatz dazu ist die politische Propaganda inhärent totalitär, denn sie zielt auf den Menschen als Ganzes in dem Sinne, dass dieser sich mit einer bestimmten politischen Idee ausschließlich identifizieren soll. Wenn man, von der kommerziellen Werbung verführt, ein falsches Produkt erwirbt, merkt man den Fehler, wenn man das spezifische Produkt nutzt, also ausprobiert. Solche Tests gibt es bei der politischen Propaganda nicht, denn diese verkauft nicht ein Produkt, sondern vermittelt eine bestimmte Einstellung zur Welt, eine Glaubenshaltung.
Propagandistische Volksverführung
Warum die USA 1917 aufseiten des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und des zaristischen Russlands gegen Deutschland und seine Verbündeten in den Krieg eintraten, hat eine Vorgeschichte, die aber der Öffentlichkeit verborgen blieb. Präsident Woodrow Wilson hatte den Wahlkampf um seine Wiederwahl mit der Parole geführt, dass es ihm zu verdanken sei, dass er sein Land aus dem Krieg in Europa herausgehalten habe und er dies auch nach seiner Wiederwahl tun würde. Die Wahl fand am 7. November 1916 statt, Wilson wurde wiedergewählt, und am 6. April 1917 erklärten die USA Deutschland den Krieg. Aber das amerikanische Volk war in seiner großen Mehrheit dagegen. Schließlich zählten die Deutschen damals zur größten Einwanderergruppe und die aus Osteuropa immigrierten Juden hassten den russischen Zaren zutiefst. Präsident Wilson musste nun die pazifistisch gesinnte Bevölkerung zur Zustimmung zum Krieg bewegen.
Zu diesem Zweck wurde das Committee on Public Information (CPI) gegründet, deren erklärtes Ziel es war, den Amerikanern den Kriegseintritt schmackhaft zu machen – „to sell the war“, wie es hieß. Bestens mit Geldmitteln ausgestattet, produzierte das Komitee eine Unmenge an Werbemitteln. Neben Anzeigen, Plakatierungen, der kostenlosen Verbreitung von Büchern und Broschüren wurde auch besonders das im Aufstieg befindliche Filmgeschäft als mediales Mittel benutzt, um die Botschaft unter das Volk zu bringen. Damals dauerte es etwa vier Minuten, um eine Filmrolle zu wechseln, und für diese Filmpause wurden nach Angaben des offiziellen Abschlussberichts des „Komitees für öffentliche Information“ (Committee on Public Information, 1920) sogenannte „Vierminutenmänner“ („Four Minute Men“) mobilisiert. Nahezu hunderttausend Redner hielten mehr als sieben Millionen Mal Kurzansprachen in den Filmtheatern und auf öffentlichen Plätzen vor mehr als 300 Millionen Menschen. Eine Schauergeschichte nach der anderen wurde vom Komitee, das offiziell der „öffentlichen Information“ dienen sollte, lanciert und propagandistisch unter das Volk gebracht. Bücher deutscher Autoren wurden aus den Bibliotheken verbannt. Massenhaft verbreitete Plakate verteufelten die Deutschen bildhaft als Monster und Untermenschen. Bis zum Waffenstillstand im November 1918 hatte die amerikanische Regierung mehr als 20 Millionen Exemplare von etwa 2.500 Plakatentwürfen produziert. Das Komitee produzierte eigene Filme mit Titeln wie „Das wilde Tier von Berlin“ („The Beast of Berlin“) und „Der preußische Köter („The Prussian Cur“). Die Kriegsbeteiligung wurde den Amerikanern als Friedensmission („A war to end all wars“) und als Kampf für die Demokratie („Making the world safe for democracy“) verkauft.
Zuckerbrot und Peitsche
Das amerikanische Experiment wird heute gern als ein Beispiel dafür herangezogen, wie es möglich ist, ein ganzes Volk gegen den eigenen Willen auf Regierungslinie zu bringen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass wir alle manipuliert würden und die Bevölkerung der Staatspropaganda hilflos ausgeliefert sei. Aber ebenso wenig wie Stalin nicht allein auf die Staatspropaganda als Kontrollmittel setzen konnte, war das auch bei Wilson der Fall. Durch Propaganda kann man nur einen Teil der Bevölkerung umdrehen. Eine erhebliche Anzahl ist gegen solche Manipulationsversuche immun. Das war auch in den USA unter Wilson so. Das Überreden ist nicht genug, um das Volk unter die Knute zu bringen. Dazu gehört auch die rücksichtslose Anwendung von Staatsgewalt. Auch die US-Regierung tat es.
Woodrow Wilson ist der Begründer dessen, was Jonah Goldberg als „Liberal Fascism“ bezeichnet, wobei „liberal“ im amerikanischen Sinn als „links“ zu verstehen ist. Welchen Namen man immer auch benutzt – Progressivismus, Faschismus, Kommunismus oder Totalitarismus –, so schreibt Goldberg, „das erste wahre Unterfangen dieser Art wurde nicht in Russland, Italien oder Deutschland, sondern in den Vereinigten Staaten gegründet, und Woodrow Wilson war der erste faschistische Diktator des 20. Jahrhunderts.“ Die Fakten sprechen für sich.
„Unter Wilson wurden in wenigen Jahren mehr Dissidenten verhaftet oder eingesperrt als unter Mussolini in den gesamten 1920er Jahren. Wilson hat in seinen letzten drei Amtsjahren wohl ebenso viel, wenn nicht sogar mehr Gewalt gegen die bürgerlichen Freiheiten ausgeübt wie Mussolini in seinen ersten zwölf. Wilson schuf ein besseres und effektiveres Propagandaministerium, als Mussolini es je hatte.“
Je mehr die Propaganda seitens der Regierung wuchs, umso mehr wurde die freie Meinungsäußerung eingeschränkt. Zeitungen wurden verboten und die Zensur eingeführt. Den Rundfunkanstalten wurde mit Lizenzverbot gedroht. Das „Spionagegesetz“ und das „Ausländer und Volksverhetzungsgesetz“ verboten strikt jegliche Regierungskritik, selbst wenn sie im privaten Rahmen geäußert wurde. Zusätzlich zur Massenrekrutierung von Soldaten für den Krieg wurde auch die Anzahl der staatlichen Polizeikräfte stark ausgeweitet. Um die Einhaltung der Flut an Kontroll- und Überwachungsgesetzen zu sichern, schuf das Justizministerium die amerikanische Schutzstaffel (American Protective League), der auch eine Unterabteilung als Geheimpolizei angehörte.
Fazit
Propaganda allein genügt nicht, um ein Volk zu unterjochen. Gewalt muss hinzukommen. Anders ausgedrückt: Eine sogenannte „demokratische“ Regierung versucht es zuerst mit Propaganda, und, wenn diese nicht ausreicht, kommt die Gewalt. Sie endet dann dort, wo diktatorische Regierungen gleich anfangen. Ob Demokratie oder Diktatur, für beide gilt, dass es mit der Meinungsfreiheit vorbei ist, wenn die Kugeln fliegen.
Es ist eine Illusion zu glauben, Demokratien hätten eine Art inhärenten Abwehrmechanismus gegen Despotie. Keiner Regierung gefällt die Kritik, die gegen sie vorgebracht wird, und jede Partei ist darauf aus, Macht zu gewinnen und zu erhalten und dazu Propaganda zu betreiben. Unter jedem Regime wird das Volk von einer Masse an Propaganda überflutet. Wenn das nicht mehr funktioniert und die regierungskritischen Stimmen zu laut werden, setzt die Zensur ein, und wenn auch das nicht ausreicht, kommt die direkte Repression.
Full text of „Complete Report of the Committee on Public Information: 1917, 1918, 1919“
Jonah Goldberg: „Liberal Fascism“
Alien and Sedition Acts (1798)
The American Protective League and White House Security during World War One
Antony P. Mueller: Technokratischer Totalitarismus
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