09. Juli 2024 16:00

Politischer Unsinn Kann ein staatliches Rentensystem funktionieren?

Reductio ad absurdum

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: Shutterstock Kollektivrente: Funktioniert schon allein aufgrund der verschobenen Alterspyramide nicht

In Deutschland – und in vielen anderen Ländern – gibt es ein umlagefinanziertes staatliches Rentensystem. Der Begriff der „Rente“ ist bereits falsch, und das ist durchaus politisch gewollt, soll er doch suggerieren, dass eine Verrentung ursprünglich eingezahlter Beiträge stattfindet, um die Auszahlungen zu finanzieren. Diese Vorstellung ist in den Köpfen der zur Teilnahme gezwungenen Menschen weitgehend verankert; man spricht von „Einzahlungen“ und „Auszahlungen“, so als ob es einen Topf gebe, in den man während des Berufslebens etwas eingezahlt habe, aus dem man im Alter, nach dem Berufsleben, versorgt werde, und viele glauben dies sogar. Tatsächlich ist das in einem kollektiven, umlagefinanzierten System nicht der Fall, die Ausgaben werden direkt durch die Einnahmen abzüglich der Bürokratiekosten bestritten, nach und nach mit zunehmender systemischer Schieflage und immer stärker durch steuerliche Zuschüsse unterfüttert. Dies am Anfang zur Klarstellung, da ich im weiteren Verlauf dennoch weitgehend die gewohnten Begrifflichkeiten verwende, damit der Text nicht zu unübersichtlich wird.

Der Hauptgrund für die drastische Schieflage des staatlichen Rentensystems in Deutschland seit dem Beginn der Erwerbstätigkeit der heutigen Rentnergeneration (im Wesentlichen die 1950er bis frühen 1970er Jahre) ist die Verschiebung der Alterspyramide durch sinkende Geburtenraten bei gestiegener Lebenserwartung. Dazu kommen politische Willkür in der Vergangenheit durch Verwendung des Rentensystems zur Beschönigung der Arbeitslosigkeitsstatistik sowie ebenso weitgehend politisch verursacht sinkende durchschnittliche Produktivität der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter aus verschiedenen Gründen, wie durchschnittliche Qualifikation, Leistungsfähigkeit und -bereitschaft oder die Abwanderung insbesondere überdurchschnittlich Qualifizierter. Gedämpft wurde die Entwicklung in der Vergangenheit durch Erhöhung des Frauenanteils in der Erwerbstätigkeit sowie bis heute zunehmende Steuerfinanzierung. Beide auf die Erhöhung der Plünderungsbasis abzielende sowie kurzfristig problemverdeckend wirkende Maßnahmen sind weitgehend ausgeschöpft, was dadurch sichtbar wird, dass die staatlichen Rentenzahlungen nach einem vollen Erwerbsleben inklusive abgeführter „Rentenbeiträge“ am unteren Ende des Einkommensspektrums in der Größenordnung oder sogar bereits unterhalb dessen liegen, was der Staat auch jedem Untätigen als „Sozialleistung“ zuzukommen bereit ist. Die Frage nach der Zukunft des staatlichen Rentensystems drängt sich somit in immer kürzeren Abständen an die Politik und die Parteien, von denen keine das Prinzip selbst grundsätzlich in Frage stellt.

Zum einen ist dies nicht verwunderlich, da die Wählerbasis der vom staatlichen Rentensystem abhängig gemachten Menschen von keiner Partei vernachlässigt werden kann. Zum anderen erstaunt dies, denn die erste Frage für die Zukunft eines staatlichen Rentensystems nach den bisherigen Erfahrungen sollte sein, ob es überhaupt funktionsfähig aufgesetzt werden kann – erst dann hat es überhaupt Sinn, sich mit dem „Wie“ zu beschäftigen. Wären die Fehler, die offenbar gemacht wurden, systemisch vermeidbar gewesen oder sind sie Ausdruck eines fehlerhaften Ansatzes im kollektiven staatlichen Rentensystem?

Um dieser Frage nachzugehen, will ich hier möglichst knapp die Mittel des aus der Mathematik bekannten Beweises durch Widerspruch (reductio ad absurdum) anwenden. Die These lautet: „Ein funktionierendes staatliches Rentensystem ist möglich.“ Mit der Annahme der Richtigkeit der These ergeben sich logische Konsequenzen. Führt eine dieser logischen Konsequenzen zum direkten Widerspruch der These, so ist sie widerlegt.

Die These besteht aus zwei Bestandteilen. Das gedachte Rentensystem soll einerseits „funktionieren“ und andererseits „staatlich“ sein. Die beiden Eigenschaften sind logisch „Und“-verknüpft, das heißt beide Eigenschaften müssen gleichzeitig zutreffen. Unter „staatlich“ ist zu verstehen: Staatlich organisiert und/oder beaufsichtigt, somit mehr oder weniger unter dem Einfluss der Politik stehend, zumindest ihr nicht vollständig entzogen. Offenlassen kann man, wie sich das Kollektiv zusammensetzt, das dem gedachten Rentensystem unterzogen wird. In Deutschland ist es im Wesentlichen die Gruppe der abhängig Beschäftigten. Bei unterschiedlichen Abschnitten der Erwerbstätigkeit bezieht sich auch die Rentenzahlung nur auf die systemischen Beitragszeiten.

Was ist unter einem „funktionierenden“ Rentensystem zu verstehen?

Sicher nicht die genaue Kalkulierbarkeit späterer Rentenauszahlungen über die Beitragszeiten hinweg, womöglich noch im Hinblick auf ihren späteren materiellen Gegenwert künftiger Güter. Dies wäre utopisch, denn die Produktion und die Knappheiten künftiger Güter hängen von vielen Faktoren ab, die sich nicht nur einem kollektiven Versorgungssystem, sondern jeglicher kollektiven oder individuellen Steuerung entziehen. Auch individuelle Sparpläne zur Altersversorgung können dies nicht leisten. Legitimitätsfragen von kollektiven Zwangssystemen sind hier nicht Gegenstand der Betrachtung, wenngleich sehr wesentlich, da fehlende Legitimität direkte Auswirkung auf die Funktionalität hat.

Ich will mich hier auf den entscheidenden Punkt beschränken, der ein funktionierendes Rentensystem ausmachen würde, nämlich die erforderliche „kollektive Fairness“. Ein kollektives System kann aus methodischen Gründen nicht gegenüber jedem Individuum fair und gerecht sein, auch wenn Politiker gerne einen anderen Eindruck zu erwecken suchen, denn es missachtet Eigentumsrechte. Was aber erwartet werden muss, ist ein kollektiver Ausgleich über die Generationen, dass in der Zukunft nicht mehr genommen wird, als man in der Vergangenheit abzugeben hatte. Das ist der eigentliche Kern des politischen Schlagworts der „Generationengerechtigkeit“. Die Leistungsfähigkeit eines jüngeren Kollektivs zur Versorgung eines älteren Kollektivs kann über lange Zeiträume hinweg nicht in absoluten Werten miteinander verglichen werden, sondern nur in relativen. Ein bestimmter Prozentsatz des Einkommens des abgebenden Kollektivs, dessen Angehörige in der Zukunft erwarten, später zum empfangenden Kollektiv zu gehören, muss über die Generationen hinweg unverändert bleiben. Was die eine Generation der nächsten mitgibt an Infrastruktur, Produktionskapital, Humankapital wie Wissen und Werte hat ebenso Auswirkung auf das mögliche Versorgungsniveau wie Veränderungen in der durchschnittlichen Lebenserwartung. Die Anpassungen darauf müssen so erfolgen, dass der Belastungsanteil des Geberkollektivs über die Generationen hinweg unverändert bleibt.

Es ist sofort erkennbar, dass dies in einem staatlichen System, das der Eingriffsmöglichkeit durch die Politik unterliegt, langfristig nicht durchzuhalten ist. Der Widerspruch ist offenkundig. Steigendes Umverteilungspotential wird gerne zur Gunstgewährung genutzt, während Kürzungen aufgrund des später sinkenden Potentials auf Unzufriedenheit stoßen. Umverteilende Altersfinanzierung ist rein konsumtiv, wird der Anteil größer, geht dies auch zu Lasten der Erhaltung des Produktivkapitals. Die Politik wird mindestens gelegentlich, wenn nicht immer bestrebt sein, ihre Unzulänglichkeit gegenüber der Änderung der Realität zu verschleiern und individuelle Enttäuschungen abzumildern. Zahlungsströme werden verschleiert, beispielsweise als Steuerzuschüsse zu den Rentenkassen, im Endstadium schuldenfinanziert, und Anpassungen aufgrund geringeren Verteilungspotentials wie erhöhtes Renteneintrittsalter werden, wenn überhaupt, tendenziell verspätet und unzureichend umgesetzt. Die Diskussion der Details, welche Anpassungen der Verteilungsströme die fairsten und die richtigen wären zur Stabilisierung des Rentensystems, können wir uns hier sparen und sind nur politisches Ablenkungsgeplänkel von der Tatsache, dass es ein funktionierendes, also über Generationen hinweg auf minimaler Stufe beständiges und verlässliches staatliches Rentensystem nicht geben kann. Folglich kann sich die Politik nicht die Kompetenz dazu anmaßen, und die Altersvorsorge muss dezentralisiert werden. Man beginne damit besser heute als morgen.

Gerne wird eingewendet, dass „hier“ das staatliche Rentensystem sicher mangelhaft sei, aber es „dort“, in einem anderen Land, doch ganz gut funktioniere, das Rentenniveau höher sei et cetera. Dazu ist zu sagen, dass man ein staatliches Rentensystem sicher durch besondere politische Borniertheit und Verschwendungssucht schneller sprengen kann oder auch langsamer bei noch etwas ausgeprägterer Restvernunft. Auch können Sondereffekte wie die Ausbeutung bedeutender Bodenschätze unter staatlicher Kontrolle oder Rückzug des Staates in anderen Bereichen wie der Regulierung der Wirtschaft vorübergehend einen erhöhten Verteilungsspielraum ermöglichen. Solche Effekte sind jedoch nicht systemisch und überdies zeitlich begrenzt. Die systemischen Kräfte eines staatlichen Rentensystems wirken notwendig dahingehend, dass das Geberkollektiv im Zeitverlauf stärker zur Kasse gebeten wird, jeder sich beim Einstieg also ausrechnen kann, dass das spätere Kollektiv, das seine „Renten“-Zahlungen zu schultern hat, nahezu mit Sicherheit einem stärkeren Plünderungsdruck unterliegen muss als er selbst seinerzeit. Die Spaltung zwischen den Generationen ist als politisch verwertbarer Nebeneffekt systemisch angelegt, was nicht sein müsste, wenn die Altersversorgung nicht durch Umverteilung, sondern aus Ersparnissen gedeckt würde, die durch vorangegangenen Konsumverzicht gebildet wurden.

Ein weiteres Argument für die Verbesserung des staatlichen Altersvorsorgesystems wird daher in einem staatlich gelenkten, kapitalgedeckten System angeführt. Sehen wir mal von den eher karikierenden Versuchen in Deutschland ab, die ein solches System entweder mit einem kostenintensiven bürokratischen Subventionsmonster (Schröder-Regierung) oder durch Schuldenfinanzierung (Ampelregierung) als ergänzendes System angesetzt haben. Für ein – ganz oder teilweise – kapitalgedecktes staatliches Rentensystem gelten, sollte sich aufgrund günstiger Umstände die politische Kraft für den Aufbau eines nicht schuldenfinanzierten Kapitalstocks tatsächlich finden, generell die gleichen Einwände gegen eine dauerhafte Stabilität über Generationen hinweg wie für ein reines Umlagesystem. Ein Kapitalstock unterliegt ebenso der Willkür der Politik zum Missbrauch und kann nicht vor ihr geschützt werden. Zudem hat die Politik keine Kompetenz für den Aufbau und die Aufsicht über einen Kapitalstock, sondern unterliegt mindestens ideologischen Einflüssen (politisch korrekte Geldanlagen), wenn nicht direkt dem Einfluss von Interessengruppen auf das politische Personal.

Berechtigt ist allerdings der Einwand, dass auch die rein privat organisierte Altersvorsorge letztlich nicht systemisch umfassend vor dem Zugriff durch den Staat gesichert werden kann. Immerhin kann er durch eine dezentrale, staatlich unabhängige Struktur deutlich besser erschwert werden gegenüber einem staatlichen System. Die staatsferne, dezentrale Organisation ist also nur eine notwendige Bedingung für ein funktionierendes Altersvorsorgesystem über Generationen und geeignet für die ganze Bevölkerung einer Volkswirtschaft, reicht aber nicht aus. Der Staat darf auch keine Kontrolle über das Geldsystem haben, muss über den Wettbewerb das Finden des besseren Geldes durch den Markt zulassen und darf kein schlechtes Geld mit willkürlich veränderbarer Geldmenge aufzwingen. Kleine Sparbeiträge gerade zu Anfang des Kapitalaufbaus und als regelmäßige Gewohnheit über lange Zeiträume benötigen wertstabiles Geld, wenn sie über längere Zeit hinweg nicht durch die Inflation aufgefressen werden sollen, bevor sie besser investiv einsetzbare Summen erreichen. Dann ist es auch mit geringeren Einkommen möglich, einen Kapitalstock für die Altersvorsorge zu bilden; generationengerecht, da aus eigener Kraft aufgebaut und nicht als Almosen vom Staat durch Plünderung anderer gewährt.

Dezentrale, auf Freiwilligkeit gegründete Organisation und entstaatlichtes, nicht inflationierbares Geld. Das sind die beiden wichtigsten Grundbedingungen für eine über Generationen funktionierende Altersvorsorge für die ganze Bevölkerung! Seltsam, dass diese beiden Aspekte in der politischen Debatte, wie man die „Rente“ besser organisieren könne, niemals genannt werden. Muss wohl daran liegen, dass die politische Debatte nur von plündernden Bürokraten geführt wird.


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