17. August 2024 22:00

Meinungsfreiheit Von rechten und linken Schneeflocken

„Das ist die Phantasie eines Diktators“

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: iQoncept / Shutterstock USA: Meinungsfreiheit für viele nicht mehr das höchste Gut

Können Worte Menschen ähnlichen Schaden zufügen wie physische Gewalt? Diese Frage beantworten 70 Prozent der amerikanischen Universitätsstudenten laut einer repräsentativen Umfrage der Knight-Stiftung mit „Ja“. Losgelöst von jedem politischen Kontext finde ich das in der Tat eine spannende und diskussionswürdige Frage. Ich meine schon, dass Worte Menschen tief verletzen können, möglicherweise im Einzelfall schlimmer als tätliche Gewalt. Problematisch sind solche Zahlen allenfalls deswegen, weil sie einer bestimmten Klientel (zu der gerade auch Universitätsstudenten gehören) als Rechtfertigung dienen, den Ersten Verfassungszusatz in die Schranken zu weisen und die freie Rede zu beschneiden. Physische Gewalt ist zu Recht strafbar. Wenn Worte also genauso schlimm sein können, warum dann nicht auch Worte verbieten?

Dazu passt eine aktuelle Umfrage der Foundation for Individual Rights and Expression (FIRE). Demnach glauben 53 Prozent der Amerikaner, der Erste Verfassungszusatz gehe zu weit. Entsprechend konsterniert kommentierte dann auch FIRE-Chefanalyst Sean Stevens die Ergebnisse: „Offensichtlich wünscht sich einer von zwei Amerikanern, dass er weniger bürgerliche Freiheitsrechte hat.“ Viele der Befragten lehnten auch Versammlungsfreiheit und eine freie Presse ab. Stevens Fazit: „Das ist die Phantasie eines Diktators.“

Spannend übrigens, dass während einer Mehrheit das Erste Amendment zu weit geht, gleichzeitig ebenfalls eine Mehrheit die propalästinensischen Demonstrationen an US-Universitäten von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht. Das würde ich so pauschal nicht unterschreiben. An staatlichen Universitäten ist das, wenn es friedlich bleibt, eindeutig vom Ersten Verfassungszusatz geschützt. Doch an privaten Einrichtungen muss das Hausrecht gelten! Dortige Protestaktionen haben nichts mit der Bill of Rights zu tun; hier geht es um Eigentumsrechte. 

Wenig überraschend ist dann auch, wen die Mehrheit der Befragten für kompetent darin hält, zwischen Hassrede und erlaubter Meinung zu unterscheiden. 65 Prozent äußern demnach Vertrauen in die Regierung, hier die richtigen Maßnahmen zu treffen. Bei solchen Zahlen ist klar, dass die Trennlinie nicht zwischen Demokraten und Republikanern verläuft, denn parteipolitisch ist das Land fast 50 zu 50 gespalten. Und erst recht sind es nicht nur ein paar progressive College-Schneeflocken, die gerade konservative Amerikaner oft pauschal für alles verantwortlich machen, was in Sachen Meinungsfreiheit in Amerika gerade den Bach runtergeht; linke Studenten in ihren Safe Spaces, die sich durch die freie Rede anderer in ihren Gefühlen verletzt sehen.

Seit Jahrzehnten etwa befürwortet eine deutliche, wenn auch Gott sei Dank tendenziell schrumpfende Mehrheit der Amerikaner, dass das Verbrennen oder Verächtlichmachen der US-Flagge unter Strafe gestellt werden sollte. Unter Konservativen ist dieser Anteil konstant besonders hoch. Zwei Drittel der Republikaner-Wähler sprachen sich laut einer Umfrage von 2019 sogar für den Entzug der Staatsbürgerschaft von Flaggenverbrennern aus. Diese Stimmung macht sich derzeit im Wahlkampf erneut Donald Trump zunutze, der seine Forderung nach einem „Anti-Flag Burning“-Gesetz wieder ins Spiel bringt. An der rechtlichen Lage hat sich, seit Trump 2016 das Thema für sich entdeckt hat, nichts geändert. Ein Statut, wie Trump es fordert, wäre mit der Verfassung unvereinbar. In seinem Urteil Texas versus Johnson hatte die Richtermehrheit am Supreme Court 1989 entschieden, dass auch das Verbrennen der US-Flagge vom Ersten Verfassungszusatz gedeckt sei. Schockierend ist allenfalls, dass dies damals tatsächlich vier Oberste Richter anders sahen. Der von Trump als bester Richter aller Zeiten gepriesene Antonin Scalia war damals übrigens die fünfte Richterstimme, die der Verfassung mit Ach und Krach zur Durchsetzung verhalf. Später gab Scalia zu Protokoll, dass das Recht, die Landesflagge zu verbrennen, für ihn den Unterschied ausmache zwischen einer rechtsstaatlichen Republik und einem autoritären König.

„Jeder, der die amerikanische Flagge schändet, sollte eine einjährige Gefängnisstrafe bekommen“, sagte Trump Ende Juli dem Sender Fox News. Und schickte gleich hinterher: „Nun werden einige Leute sagen: Das ist aber verfassungswidrig. Das sind dumme Leute! Das sind dumme Leute, die so was sagen“, so der 78-Jährige. 

Genau wie bei seiner Forderung nach Immunität für Polizisten glaube ich nicht, dass Trump die US-Flagge persönlich wichtig ist. Er braucht schlicht Themen, die die Gefühlsebene seiner Wählerschaft ansprechen. Und um Trump soll es auch gar nicht gehen. Spannender finde ich die Schizophrenie vieler Konservativer, die plötzlich genau wie linke Studenten argumentieren, wenn es darum geht, „schmerzhaften“ Meinungsäußerungen im Zweifel mit autoritären Polizeistaatsmethoden zu begegnen. Oft wird dann von republikanischer Seite auf Kriegsveteranen verwiesen, deren Gefühle es zu schützen gelte, die stark mit der Flagge der Vereinigten Staaten verknüpft seien. Ich frage mich wie dieses rechte Schneeflockentum mit dem Bekenntnis zusammenpassen soll, US-Soldaten verteidigten „unsere Freiheiten“, was natürlich ohnehin ein Riesenwitz ist. 

Auch beim Thema Flaggenverbrennung geht es für mich vor allem um Eigentumsrechte. Niemand hat das Recht auf ein fremdes Grundstück vorzudringen und eine dort angebrachte Flagge anzuzünden, ganz egal, welche. Aber wenn jemand auf seinem Grundstück eine Flagge verbrennen will, die ihm gehört, sehe ich nicht, was daran auszusetzen wäre. Allenfalls wundere ich mich darüber, wie leicht sich manche Menschen von einem Stück Stoff triggern lassen. 

Und das bringt mich zurück zu den College-Studenten, für die Worte so schlimm sind wie körperliche Gewalt. Wer in diesem Zusammenhang nach Staat und Gesetzen und damit ja auch nach Polizei und Gewalt verlangt, macht sich völlig unglaubwürdig in seinem Bekenntnis für ein höflicheres und friedlicheres Miteinander. Zumal sich ja Menschen von teilweise sehr unterschiedlichen Worten und Begriffen verletzt fühlen. Wenn das persönliche Empfinden die Strafbarkeit begründen würde, gäbe es praktisch keine freie Rede mehr. 

Es liegt auch an einem selbst, zu welchem Grad man sich durch Worte verletzen lässt. Das ist tatsächlich ein großer Unterschied zu tatsächlicher Gewalt. Worte kann man ignorieren oder Menschen, deren Meinung einem nicht gefällt, schlicht meiden, gerade als erwachsener College-Student – wenn man schon nicht den Anspruch hat, sich als angehender Akademiker mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Wenn Worte verletzen, hat das immer auch mit dem Mindset des Empfängers zu tun. In meinem Leben etwa gibt es nicht einmal eine Handvoll Menschen, die mich durch Worte verletzen könnten. Mit Ausnahme meiner Frau und meiner Eltern ist es mir herzlich egal, was andere Leute über mich denken. Und wie sich jemand von politischen Reden oder Symbolen verletzt fühlen kann, war mir ohnehin schon immer schleierhaft.


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