07. September 2024 22:00

Auswandern, aber wohin? Immer der Freiheit nach

Die eigene Erwartungshaltung spielt eine große Rolle

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: ViewFinder nilsophon / Shutterstock Die Qual der Wahl: Wohin auswandern?

Je nachdem, welcher Umfrage aus den vergangenen Jahren man glauben will, befürworten zwischen 85 und 97 Prozent der Albaner einen EU-Beitritt ihres Landes. Mir fiel es früher oft schwer, solche Zahlen richtig einzuordnen, da mein Blick auf die EU ja aus der Innensicht eines Unionsbürgers erfolgt, der fast in ganz Europa das Recht hat, sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in einem der Mitgliedstaaten niederzulassen. Ein Albaner verbindet mit der EU Reise- und Niederlassungsfreiheit, also die Möglichkeit, außerhalb seines Landes leichter einen besser bezahlten Job zu finden, nicht Brüsseler Bürokratie und Verbote der EU-Kommission. Außerdem denkt er an sinkende Verbraucherpreise von Importgütern. Der durchschnittliche Albaner assoziiert mit der EU also einen Freiheitsgewinn, was aus seiner Sicht nur allzu verständlich ist. 

Am kommenden Wochenende beschäftigen sich meine Frau und ich in einem Webinar für die libertäre Netzwerkschmiede „Tom Woods School of Life“ mit der Frage, wo in Europa man am freiesten leben und am einfachsten hinziehen kann. In der Vorbereitung auf unsere Präsentation und der erneuten Verwirklichung der eigenen Auswanderungspläne ist mir klar geworden, wie sehr die individuelle Lebenssituation und Erwartungshaltung in die Frage nach den freiesten Plätzen mit einfließen. Ein bisschen wie mit den Albanern und der EU. Vor allem aufgrund der Teuerung ist für viele Amerikaner das Thema Auswandern auf die Tagesordnung gerückt. Doch viele gehen an die Sache sehr blauäugig heran. Immer wieder trifft man auf US-Bürger, die nicht einmal die Schengen-Regeln kennen und sich ihren Europa-Aufenthalt dadurch schwieriger gestalten als notwendig. Ein amerikanisches Ehepaar, das wir in Budapest kennenlernten, fiel aus allen Wolken, als wir ihnen erklärten, dass die 90 Tage visumfreier Aufenthalt nicht für ein Land, sondern den gesamten Schengen-Raum gelten.

Ich habe bisher, auch dank meines deutschen Reisepasses, erst zweimal in meinem Leben eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen müssen, zuletzt in Albanien. Es handelte sich um einen zeitraubenden, kostenintensiven und nervenaufreibenden Prozess. Will man diesen Weg nicht gehen, hat man es, etwa als US-Amerikaner, in Europa schwer. Es gibt eigentlich nur noch eine Region, wo man sich ohne größere Schwierigkeiten die Aufenthaltserlaubnis schenken kann, und das ist der westliche Balkan: 90 Tage Aufenthalt in Montenegro, 90 Tage in Bosnien-Herzegowina, 90 Tage in Serbien, Mazedonien oder dem Kosovo und sogar 365 Tage in Albanien. Wir kennen nicht wenige Amerikaner, die ein Jahr in Albanien verbringen, dann für drei Monate nach Montenegro gehen, nur um danach wieder visumfrei ein volles Jahr in Albanien zu erhalten. Doch keine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, hat noch mehr Freiheitsvorteile. Schlicht, weil man nicht in den Systemen des jeweiligen Landes auftaucht. Wer seine Kinder ohne vom Staat behelligt zu werden zu Hause unterrichten oder es den Behörden erschweren will, das eigene Einkommen zu stehlen, für den sind das Hin- und Herfahren am Balkan sicher ein gangbarer Weg. Wir kennen viele, die diesen nomadischen Lebensstil in der Region erfolgreich und glücklich seit Jahren praktizieren. Wenn man in der Region „Residency“ beantragen will und ein bisschen Geld auf der hohen Kante hat, wäre meine Empfehlung Montenegro, wo die Bürokratie wesentlich weniger nervig ist als bei den Skipetaren. 

Man würde allerdings einen großen Fehler machen, über das Thema Einwanderung hinaus zu sehr auf die rechtliche Situation im jeweiligen Land zu schielen, wenn es um Freiheit geht. Denn häufig gibt es in den Nicht-EU-Ländern des Balkans auf dem Papier eine ähnliche Regulierungswut wie hier. Der albanische Staat etwa führt seit zwei Jahren einen Krieg gegen Plastiktüten, die nicht mehr kostenlos an Kunden abgegeben werden dürfen. Doch ich habe noch in jedem Geschäft meine kostenlose Tüte bekommen und das sogar in Tirana. Die Covid-Zeit ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, warum der Balkan für freiheitsliebende Menschen so eine attraktive Region ist. Ich habe an dieser Stelle mehrfach über meine Erfahrungen aus Albanien berichtet, wo die staatliche Maskenpflicht mehr oder weniger kollektiv ignoriert wurde. Doch selbst in den im Vergleich zu Albanien etwas restriktiveren Ländern wie Montenegro oder Kroatien war der Umgang mit staatlichen Covid-Verboten wesentlich entspannter als in Deutschland. Und weil eine Denunziationskultur wie hierzulande am Balkan verpönt ist, hat man alleine deswegen schon so viel mehr Ruhe vorm Staat. Die Polizei kann schließlich nicht überall sein. Der Umgang eines Landes mit Covid-Restriktionen ist für mich kein unwesentlicher Freiheitsindikator. Ebenso wenig wie die Haltung zum Bargeld. Die nächste Plandemie kommt bestimmt und es ist daher gut zu wissen, wie sich Menschen im Angesicht staatlicher Übergriffe im Zweifel verhalten.  

Viele Länder sind in bestimmten freiheitsrelevanten Kategorien ganz vorne dabei, jedoch aus diversen anderen Gründen nicht empfehlenswert. Doch auch hier hängt alles von der individuellen Erwartungshaltung ab. Als meine Frau und ich vor der Geburt unseres Sohnes das passende Land für eine mögliche Hausgeburt gesucht haben, stachen die Niederlande mit einer sehr liberalen Regelung heraus. Das erledigte sich dann allerdings wegen den dortigen Covid-Schikanen ganz von selbst. Großbritannien wäre sicher eine gute Empfehlung für amerikanische Homeschooler, die nicht ständig ihren Wohnsitz wechseln wollen, zumindest ist es in dieser Kategorie nach meinem Dafürhalten das freieste Land in Europa. 

Und was, wenn ein amerikanischer Waffenliebhaber auch in der neuen Heimat nicht auf seine gewohnten Freiheiten verzichten will? Da wird es ganz schwierig, doch auch nach der Waffenrechtsverschärfung im Frühjahr halte ich Tschechien hier für die erste Wahl, nicht nur weil Prag auch Waffenscheine für Staatsbürger von Nato-Ländern ausstellt. Auch die baltischen Staaten kommen in den Sinn und vielleicht bis zu einem gewissen Grad Österreich. Und für cannabisaffine Auswanderer wäre plötzlich sogar Deutschland in der Poleposition. Zumindest auf dem Papier, denn nur in Deutschland mit seiner Denunziationskultur ist diese rechtliche Regelung so wichtig. Am Balkan ist Cannabis zwar verboten, aber wenn man sich nicht direkt vor einem Polizisten einen Joint ansteckt, sollte man keine Probleme bekommen. Den Nachbarn ist es egal, was jemand raucht. 

Für mich persönlich ist nach meinen bisherigen Auswanderungserfahrungen ein eher weicher und weniger politischer Aspekt wichtig geworden. Und zwar die Möglichkeit, mich ohne ständigen Rechtfertigungsdruck in einem Land auf Englisch verständigen zu können. Auch das hat für mich mit Freiheit zu tun. Zwar möchte ich in meinem Leben noch eine oder vielleicht sogar zwei Sprachen lernen, aber wann und wo und in welchem Tempo das geschieht, würde ich doch gerne selbst entscheiden – ohne Druck von Staat und Sprachnationalisten.

Es gibt nicht das eine Land, das man Auswanderern pauschal empfehlen kann. Das beginnt schon mit der Visumssituation. Für EU-Bürger gibt es einfachere Ziele als die Nicht-EU-Länder des Balkans. Als ich mich in Ungarn bei der Ausländerbehörde angemeldet habe, hat der ganze Vorgang bis zum Erhalt meiner (lebenslang gültigen) Aufenthaltskarte drei Tage gedauert und war mit minimalem Aufwand und Kosten von umgerechnet ein paar Euro verbunden. In Albanien dauerte es Monate und verschlang mehrere tausend Euro, von der nervlichen Belastung ganz zu schweigen.

Wie schwierig es als Nicht-EU-Bürger teilweise ist, einen Aufenthaltstitel in Europa zu bekommen, habe ich vor allem durch meine Frau mitbekommen. In Bulgarien wurde ihr Antrag vor einigen Jahren nach jahrelangem Hin- und Her abgelehnt. Ihr Anwalt scherzte damals, am besten solle sie einen EU-Bürger heiraten und mit ihm zurückkommen, dann gehe es ganz einfach. Diese Worte werden wir in ein paar Wochen auf die Probe stellen. Zumindest auf dem Papier scheint das zu stimmen. Bulgarien behandelt Nicht-EU-Ehepartner von EU-Bürgern wie EU-Bürger und Sprachschikanen als Aufenthaltsbedingung gibt es, anders als in Deutschland, wo der Staat die Frechheit besitzt und zu 700 Stunden Integrationsunterricht zwingt, keine. Ich weiß über Bulgarien noch ziemlich wenig. Ich war bisher erst einmal dort, als Dreijähriger, noch zu Kommunismuszeiten auf dem Rücksitz des VW-Campers meiner Eltern auf der Weiterfahrt in die Türkei. Wenn ich den Erzählungen meiner Frau glauben darf, mag ich die Bulgaren schon jetzt. Ein wenig lerne ich derzeit auch über die politische Situation im Land. Dabei ist mir aufgefallen, dass bei der vergangenen Parlamentswahl nur 33 Prozent ihre Stimme abgegeben haben. Ein erfreulicher europäischer Tiefstwert, der mich an eine andere Rekordmarke erinnert, für die ich den Menschen dort ebenfalls großen Respekt zolle: Bulgarien war während der Plandemie das Land mit der niedrigsten Covid-Impfquote in Europa! Zudem hat Bulgarien, das in diesem Jahr teilweise der Schengen-Zone beigetreten ist, mit einer Flat Tax von zehn Prozent den niedrigsten Einkommenssteuersatz Europas, und die Menschen scheinen der baldigen Euro-Einführung in ihrem Land sehr kritisch gegenüberzustehen. 

Welche Länder sind Ihrer Meinung nach die freiesten in Europa und warum? Ihre Meinung in den Kommentaren würde mich interessieren.


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