09. September 2024 11:00

Gestahlfedert: Deppokratie Nach der Wahl ist vor der Qual

Wollt ihr die totale Total-Demokratie mit totalen Total-Demokraten?

von Michael Werner

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Bildquelle: Tohuwabohu 1976 / Shutterstock.com Jetzt gilt es ganz demokratisch den Wählerwillen zu ignorieren: Die AfD wurde stärkste Kraft in Thüringen

Als bekennend leidenschaftlicher Demokratie-Verächter habe ich mir jedweden Kommentar zu den beiden Landtagswahlen vor einer Woche in Thüringen und Sachsen geflissentlich verkniffen. Erstens sind mir Wahlen weitgehend wurscht, und zweitens haben ausreichend andere Schreiber längst alles dazu gesagt, was es dazu zu sagen gäbe.

Das Einzige, was mich an Wahlen tatsächlich interessiert, ist – alte Berufskrankheit! – die Show drumherum, in jüngster Zeit insbesondere das „Demokratie“-Framing der Systemmedien, das bekanntlich mein Steckenpferd ist, sowie die salzigen Reaktionen der selbsternannten „Demokraten“. Und je verzweifelter beides daherkommt, desto mehr Spaß habe ich daran.

Das erste Highlight war, dass man Mettbrötchen-Mario, der in Thüringen mit seiner CDU ganze 9,2 Prozentpunkte hinter dem Wahlsieger AfD lag, die rund 40 Prozent mehr Stimmen erhielt als die CDU, im Staatsfunk attestierte, die stärkste „demokratische“ Partei zu repräsentieren, was dieser nur allzu gerne glauben wollte und sich daher auch nicht entblödete, aus diesem Umstand gleich mal einen „Regierungsauftrag“ herbeizuhalluzinieren und die anderen „demokratischen“ Parteien zu Koalitionsgesprächen einzuladen.

(Kurzer Einschub für Neueinsteiger in dieser Kolumnen-Serie, zum besseren Verständnis: Zur Vermeidung einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den politischen Positionen der AfD, wohl wissend, dabei in den meisten relevanten Punkten einen äußerst schweren Stand zu haben, haben sich alle anderen Parteien ersatzweise darauf verständigt, sich selbst in jedem Satz mindestens fünfmal als „demokratisch“ zu bezeichnen, und dabei die AfD stets gezielt außen vor zu lassen, was implizieren soll, dass diese nicht „demokratisch“ ist. Zwischendurch bezeichnet man sie immer wieder mal expressis verbis als „Demokratiefeinde“, sicherheitshalber, damit die Botschaft auch bei all jenen ankommt, denen die andere Nummer zu subtil ist. Die Tatsache, dass die AfD als einzige große Partei mehr direkte Demokratie in Form von Bürgerbeteiligung und Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild befürwortet, wird dabei genauso erfolgreich wegignoriert wie die eigenen Defizite bei der Akzeptanz von Ergebnissen demokratischer Wahlen, wenn diese nicht so ganz wunschgemäß ausgefallen sind.)

Die Geschäftsordnung des Thüringer Landtags sieht vor, dass die stärkste Fraktion ein Mitglied des Landtags als Landtagspräsidenten vorschlägt, was naheliegend jemand aus den eigenen Reihen ist. Die anderen Fraktionen schlagen danach jeweils ein Mitglied aus ihren Reihen als Vizepräsidenten vor, so dass jede Fraktion im Vorstand des Landtags vertreten ist. Bisher war es über Parteigrenzen (natürlich nur bei den „demokratischen“ Parteien diesseits der Brandmauer!) hinweg ein stilles Übereinkommen, die jeweiligen Kandidaten zu wählen, und das hat wunderbar funktioniert. Was jedoch geschieht, wenn jeder vorgeschlagene Kandidat für das Amt des Landtagspräsidenten bei der Wahl durchfällt, wovon auszugehen ist, ist in der Geschäftsordnung nicht geregelt. Das könnte also noch spannend werden.

Dabei wird es aus den unterschiedlichsten Gründen abgelehnt, einen Kandidaten von der AfD zum Landtagspräsidenten zu wählen:

Der SPD-Landesvorsitzende in Thüringen, Georg Maier, erklärte: „Die AfD ist eine völkische Partei. Es ist eine Partei, die im groben Widerspruch zu unserem Grundgesetz steht – insbesondere zu Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Herr Maier ist kein Jurist, sondern Diplom-Kaufmann. Dabei lernt man zwar auch ein bisschen Jura, aber eher Privatrecht; der einzige Ausflug ins öffentliche Recht dürfte ein ängstlicher Blick in die Abgabenordnung sein. Daher könnte man ihm diese gleichermaßen dumme wie falsche Aussage fast verzeihen, wenn es nicht eigentlich unverzeihlich wäre, dass führende Politiker nicht nur keinen blassen Schimmer vom Grundgesetz haben, was immerhin ihr wichtigstes Handwerkszeug ist, sondern mit dieser Ahnungslosigkeit auch noch lautstark hausieren gehen. Da ich in mehreren meiner jüngsten Kolumnen aus gegebenem Anlass bereits ausführlich darauf eingegangen bin, hier nur kurz: Nach der allgemein anerkannten und auch vom Bundesverfassungsgericht regelmäßig angewandten „Objektformel“ wird die Würde des Menschen dadurch verletzt, „wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe, herabgewürdigt wird“. Die „Menschenwürde“ aus Artikel 1 Absatz 1 wird über die Grundrechte der folgenden Artikel überhaupt erst definiert, was in Absatz 3 sogar explizit erklärt wird. Aber diesen knappen Dreizeiler mal zu Ende zu lesen, kann man einem Sozialdemokraten offensichtlich nicht zumuten. Und was das überstrapazierte Schlagwort „völkisch“ anbetrifft: Das sogenannte „Abstammungsprinzip“ war bis 1999 geltendes Recht. Wäre es zutreffend, was Herr Maier da fabuliert, dann wäre die BRD vom Tag ihrer Gründung bis vor 25 Jahren ein Unrechtsstaat gewesen, der permanent gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstieß. Und im Umkehrschluss wäre nur ein „würdiger Mensch“, wer einen deutschen Pass hat. Setzen, sechs!

Mario Voigt von der CDU wartet mit einer ähnlich lustigen Begründung auf: „Der Parlamentspräsident ist der Hüter der Demokratie. Das können doch nicht Leute machen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, das verbietet doch der gesunde Menschenverstand.“ Festhalten – dieser Hammer-Trick degradiert selbst David Copperfield zum billigen Party-Zauberer: Die Regierung sagt dem weisungsgebundenen Verfassungsschutz: „Hey, beobachte bitte mal die Opposition!“ Und wenn die Opposition dann dummerweise die Wahl gewinnt, heißt es: „Die dürfen nicht regieren, die werden doch vom Verfassungsschutz beobachtet!“ Das ist die Kunst des Zirkelschlusses in Formvollendung!

Apropos Verfassungsschutz: Alle Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums für den Verfassungsschutz haben den Wiedereinzug in den thüringischen Landtag verpasst. Der Ausschuss müsste also neu gewählt werden. Allerdings wird für diese Wahl eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigt. Und die gibt es nur mit der AfD, weil diese bekanntlich über die Sperrminorität, also mehr als ein Drittel der Sitze, verfügt. Bisher hatte man der AfD einen Sitz im Kontrollgremium verweigert, doch das wird nun nicht mehr gehen, da die AfD die Kandidaten der anderen Parteien nur mitwählen wird, wenn die anderen auch jemanden aus ihren Reihen mitwählen. Und das werden sie nicht tun, denn wenn da plötzlich ein Blauer im Kontrollgremium für den Verfassungsschutz mitmischt, dann können die Mitglieder der anderen Parteien nicht mehr ungestört genau das tun, was dieses Kontrollgremium eigentlich verhindern soll, nämlich den Verfassungsschutz als eine Art Geheimpolizei zur Ausspähung und Diffamierung der politischen Konkurrenz missbrauchen.

Dummerweise verpflichtet die Thüringer Verfassung jedoch das Parlament, den Inlandsgeheimdienst zu kontrollieren. Kommt also kein Kontrollgremium zustande, so stellt das einen Verfassungsbruch dar. Sollte dennoch ein Kontrollgremium zustande kommen, und dann zwangsweise mit AfD-Beteiligung, droht anderes Ungemach: Mecki Haltungszwang, Chef von „Horch und Guck Bund“, wird die Thüringer dann aus dem Verfassungsschutzverbund ausschließen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich lebhaft vorzustellen, wie sich dieser Vogel beim bloßen Gedanken daran, dass ihm jemand von der AfD plötzlich aus nächster Nähe etwas genauer auf die Fingerchen schauen könnte, gnadenlos einkacken dürfte.

(Für alle, die sich jetzt fragen, ob ich nicht förmlich um die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes bettele, wenn ich solche Gags raushaue: Ich habe mir unlängst den Spaß erlaubt, mal höflich nachzufragen, was die Schlapphüte denn so über mich gespeichert haben. Daraufhin bat man mich freundlich, meine Frage doch ein wenig zu konkretisieren, da über tausend Datensätze mit meinem Namen existierten. Insofern dürfte das hier nur eine weitere Kerbe im Bettpfosten sein und in der schieren Masse untergehen.)

Im Rahmen der Nachwehen der beiden Wahlen gab es seitens der üblichen Verdächtigen noch unzählige weitere intellektuelle Totalkapitulationen und Peinlichkeiten mit Offenbarungsqualitäten, doch beschränken wir uns aus Platzgründen auf die bisher behandelten, die ich sorgsam vorselektiert habe, weil sie meiner Ansicht nach am meisten „Musik“ enthalten.

Wie eingangs erwähnt, als glühender Anarchokapitalist verabscheue ich die größte Vollverarschung seit Erfindung der Vollverarschung, also die Demokratie, zwar aus tiefster Überzeugung, aber wenn endlich auch mal die anderen mitspielen dürfen, hat sie sogar ihre lustigen Seiten, und ich muss zugeben, so wenig ich die Demokratie selbst vermissen würde – diese amüsanten Show-Elemente, die uns das System quasi als Kollateralschäden liefert, würden mir doch ein wenig fehlen; zumindest hätte ich dann deutlich weniger Stoff für meine geschätzte Leserschaft. Frei nach Robert Habeck formuliert: Die humoristischen Aspekte des Urnen-Kults entfalten erst dann ihr volles Aroma, wenn die „Demokraten“ plötzlich von „Demokratie“ umzingelt sind.

Der mit Abstand genialste, treffendste und sicherlich auch gewagteste Kommentar entfleuchte noch am Wahlabend den genialen Hirnwindungen des göttlichen Harald Schmidt, live und in Farbe: „Es gibt die Sehnsucht nach einer großen Koalition. (Kunstpause) Nach einer großen Koalition aus CDU und AfD.“ Rummms! Der hat gesessen! Dirty Harry made my fucking day!

Das wäre nicht nur naheliegend und pragmatisch, sondern irgendwie auch demokratisch – zumindest in dem Sinne, wie die Älteren unter uns das früher mal verstanden zu haben glaubten: Die beiden stärksten Parteien, die zudem rein zufällig auch noch (zumindest auf dem Papier) inhaltlich die größte Schnittmenge von allen haben, tun sich zusammen, bilden eine stabile Regierung und machen die nächsten fünf Jahre einfach mal Politik im Sinne der überwiegenden Mehrheit der Wähler.

Aber das wäre ja bloß „Demokratie“. Und die ist nicht gut, wie wir inzwischen alle lernen durften. Daher lautet das Motto stattdessen: „Je rechter gewählt wurde, desto linksextremer wird regiert!“ Das wiederum ist gut, denn das ist dann endlich „unsere Demokratie!“


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