18. September 2024 10:00

Mainstream gegen Internet Medienkompetenz oder lieber -abstinenz?

Über eine verzwickte Situation

von Axel B.C. Krauss

von Axel B.C. Krauss drucken

Artikelbild
Bildquelle: Skylines / Shutterstock Zeitungen (leider nur analog möglich): Eignen sich hervorragend zum Anfeuern

Der amerikanische Schriftsteller und Satiriker Mark Twain prägte einst das berühmte Diktum: „If you don’t read the papers, you’re not informed. If you read them, you’re misinformed.“ Liest man keine Zeitung, ist man nicht informiert; liest man sie, ist man schlecht informiert. Zu seiner Zeit gab es natürlich noch kein Internet, aber ich bin davon überzeugt, dass er, lebte er in dieser Zeit, etwas ganz Ähnliches über dieses Medium sagen würde.

Erst neulich entbrannte wieder ein Streit in den alternativen Medien über den ständigen (und teils) erwartbaren Vorwurf der „russischen Einflussnahmen“. Das Schlimmste, was man tun kann: sich an solchen unproduktiven Zankereien beteiligen, die aus einem einfachen Grund nicht zielführend sind und dies auch nie sein werden. Warum nicht?

Weil es sich um keine Frage der Nationalität handelt, sondern um eine von Macht und Kontrolle. Welches Etikett draufklebt, ob „West“, „Ost“ oder sonst was, ist unerheblich: Jede Machtelite, egal, wo, wird immer – was durch die Geschichte bestens belegt ist – bestrebt sein, ihre Position abzusichern und auszubauen. Das ist eine Konstante der menschlichen Zivilisationsgeschichte – es gab (und gibt bis heute) leider keine Ausnahmen. Vielleicht wäre es angebracht, die wichtigsten Erkenntnisse hierzu noch einmal zu wiederholen:

Wissen ist Macht. Buchstäblich. Wer über Informationen verfügt, die die allermeisten seiner Mitmenschen nicht haben, könnte versucht sein, diesen Informations- beziehungsweise Wissensvorsprung zum Auf- und Ausbau einer Machtbasis zu nutzen, und vor allem, dieses Wissen eifersüchtig vor den neugierigen Blicken der anderen zu schützen. Es ist ferner vollkommen klar, dass herrschende Eliten versuchen werden, für eben diese neugierigen Blicke falsche Fährten zu legen, die Regierten also von wichtigen Einblicken in das Wesen, genauer: die Struktur und Methodologie ihrer Herrschaft abzuhalten. Zum Beispiel dadurch, indem sie selber Propaganda und/oder Desinformationen streuen oder – so wie es heute der Fall ist – ihre eigenen „Influencer“ im Internet aufbauen. An dieser Stelle genügt es vollkommen, auf die berüchtigte Floskel der „Staatsdelegitimierung“ hinzuweisen, die natürlich immer dann verwendet wird, wenn genau das geschieht: wenn also skeptische Geister Methoden der „Hirnwäsche“, der Indoktrination, des „Nudgings“, der unlauteren Einflussnahmen auf die „öffentliche Meinung“ et cetera durchschauen und offenlegen.

Dies ist wie gesagt kein rein westliches Phänomen. Kürzlich stieß ich auf einen Artikel der Website „Propaganda in Focus“, der ebenfalls in diese Falle ging – oder sie vielleicht sogar bewusst aufstellte, das weiß ich nicht. Ich hatte schon öfter Artikel der Seite übersetzt, weil sie sauber recherchiert waren und eine Fülle wissenswerter Informationen lieferten. Diesen Artikel jedoch verwarf ich schnell wieder. Ich hatte bereits zwei Absätze übersetzt und der Text machte bis dahin einen soliden Eindruck, bis ich dann den Satz lesen durfte: „Trotzdem wird Propaganda im Westen nach wie vor weithin eingesetzt.“

Na, welch ein Glück, dachte ich, dass man in östlicheren Gefilden nie auf die Idee käme, sich diverser Propagandatechniken zu bedienen. Da ich keine Lust habe, den Lesern meiner Website solche Dummheiten vorzusetzen, landete der Artikel dann eben im digitalen Papierkorb.

Und erst vor wenigen Tagen durfte ich in der Kommentarspalte unter einem Beitrag von Jasmin Kosubek erleben, was passieren kann, wenn man solche eigentlich simplen Tatsachen anspricht. Kosubek trifft keine Schuld, es geht um die Kommentare der User. Kaum hatte ich die Tatsache erwähnt, dass es durchaus russische Einflussnahmen gibt und es naiv wäre zu glauben, man bräuchte sich diesbezüglich überhaupt keine Sorgen zu machen, hagelte es größtenteils empörte bis wütende Reaktionen.

Zumindest einige blieben sachlich und erwähnten zu Recht, dass der Vorwurf der russischen Manipulation in den letzten Jahren von der Bundesregierung immer wieder sehr gerne vorgebracht wurde, um von Eigenversagen abzulenken. Wenn eine Wahl mal nicht so ausfiel wie erhofft: Putin. Wenn die eigene Politik auf herzlich wenig Gegenliebe der Bevölkerung stößt: Russlands Schuld. Genau diese Technik aber – immer auf andere zu zeigen, nach einem Buhmann zu suchen – ist keine westliche Spezialität. Gerade was den Krieg in der Ukraine betrifft, ist längst völlig klar, dass online regelrechte Schlachten um die Deutungshoheit toben – und zwar auf allen beteiligten Seiten (aber das gilt ja für jeden Krieg). Schließlich übt sich auch Moskau in seinem Staatsfernsehen fleißig darin, die eigene Bevölkerung mit Dauer-Agitprop über die unermessliche Schlechtigkeit des Westens zu bombardieren.

Deshalb empfinde ich es also umso erschreckender, wenn sich, wie ich es nun erneut erleben durfte, „dank“ der „Aufklärungs“-Arbeit so mancher alternativen Kremltrompeten, die es ja nun mal gibt, ein schlicht falsches, gar kindisches Weltbild verfestigt, dessen Tenor sich zusammenfassen lässt wie folgt: Der Westen ist ein Bastard, der uneheliche Sohn von Sauron und der Medusa. Der Osten hingegen ist die Frucht unbefleckter Empfängnis, nachdem ein in sämtlichen Schattierungen der Farbe Rosa schillerndes Einhorn Schneewittchen zärtlich zugezwinkert hatte.

Fakt ist, dass der Kreml in den letzten Jahren die sagenhafte Summe von über 200 Millionen Dollar – die Rede ist von 250 bis 260 – für „Werbung“ im Internet ausgegeben hat, sprich: für Propaganda und Influencer. Egal, auf welcher Plattform, ob nun „X“, Facebook/Meta oder Telegram. Dies zu leugnen und so zu tun, als hätte die russische Regierung die Entwicklung des Internets völlig verschlafen, ist wohl kaum eine Lösung. Vom Pentagon wiederum ist seit Jahren bekannt, dass es eine „Troll-Armee“ unterhält, um „antiamerikanistische“ Stimmen niederzubellen; beide US-Parteien, sowohl Democrats als auch Republicans, unterhalten halbe Armeen an Claqueuren im Internet; in China wird die Bevölkerung mit Staatspropaganda beschossen, dass die Kimme glüht; in England gibt es tatsächlich eine Spezialeinheit der Armee, die auf verhaltenspsychologischer Grundlage Strategien entwickelt, um die Bürger bei der Stange zu halten (was zu Covid-Zeiten aufflog); und in Deutschland verleiht man Hofsängern für ihre Regierungstreue gerne Bundesverdienstkreuze oder Grimme-Preise.

Als ich mir das alles noch mal klargemacht hatte, wurde ich, zumindest für einen Augenblick, ein wenig depressiv: Wie kommt man bloß aus dieser Truman-Show raus? Sich noch mehr in „Medienkompetenz“ üben oder lieber in -abstinenz? Sich vom Mainstream in die Arme eines mittlerweile leider hochgradig manipulierten Internets treiben lassen, in dem es von „Nudgern“ nur so wimmelt, oder sich wieder in die Arme des Ersteren flüchten? Lieber eine natotreue Zeitung lesen oder die kremltreuen „Nachdenkseiten“?

Einfach den Kopf in den Sand zu stecken, also Abstinenz, ist im „Informationszeitalter“ natürlich unmöglich. Und eigentlich ist es auch gar nicht so schwierig, diesen Dschungel zu lichten: Es genügt, auf Ausgewogenheit zu achten. Das langt eigentlich schon. Wer stets in auffällig einseitiger Weise Partei für irgendeine Regierung ergreift, braucht sich über den Vorwurf, „gekauft“ zu sein – ob nun berechtigt oder nicht –, wahrlich nicht zu wundern. Wer immer nur auf eine Seite einschlägt, während alles andere vernachlässigt oder gar verschwiegen wird: Lohnt sich nicht. Das A und O bleiben die eigene Skepsis und eine gesunde Distanz: Nicht einfach alles sofort glauben, was einem vorgesetzt wird. Und vor allem: Bloß niemandem einfach nur passiv „folgen“. Oder wie Obi-Wan einst Han Solo mit weisem Schmunzeln fragte: „Wer ist der größere Tor? Der Tor oder der, der ihm folgt?“

Bis nächste Woche.


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.