Neuwahlen: Schau’n mer mal, dann seh’n mer schon
Wie Deutschland sich in die Krise hineinzögern lässt
von Oliver Gorus
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Der Trainer des weltbekannten Fußballclubs steht in der Kritik. Seine Mannschaft hat nun das dritte Heimspiel hintereinander verloren, das gab’s noch nie. Seine wichtigsten Spieler sind dauernd verletzt, man munkelt, die Trainingsmethoden seien daran schuld. Die spieltaktische Einstellung ging zuletzt immer weniger auf, die Mannschaft präsentierte sich überraschend wehrlos, trotz des millionenschweren Spielerkaders. Und beim letzten Spiel schrien sich die Spieler auf dem Feld gegenseitig an, die Mannschaft bildete keine Einheit mehr. Ganz offensichtlich ein Führungsproblem. Die Fans fordern lautstark den Rauswurf des Trainers.
Völlig unklar ist: Hat der Trainer überhaupt noch das Vertrauen seiner Spieler? Und: Hat der Trainer noch das Vertrauen der Clubführung? Das muss in einer solchen Krisensituation geklärt werden, denn gegenseitiges Vertrauen ist die Grundlage jedes Erfolgs. Das gilt für Fußballclubs genauso wie für jedes andere Unternehmen und das gilt auch für Staatsregierungen: Eine Regierung braucht das Vertrauen des Souveräns. In einer Demokratie würde das bedeuten, dass die Mehrheit des Volkes der Regierung das Vertrauen aussprechen muss. In einer Parteienherrschaft braucht der Regierungschef nicht nur das ausdrückliche Vertrauen seiner eigenen Partei, sondern auch das der anderen größten Parteien.
Die Grundfrage ist: Hat das soziale System, also der Verein, das Unternehmen, die Organisation oder das Land, in der Gegenwart noch die richtige Formation? Also passt die Aufstellung des Personals zur gegenwärtigen Situation, sodass das jeweilige soziale System in der Lage ist, die nähere Zukunft zu überstehen, die anstehenden Probleme zu lösen und erfolgreich zu sein?
Wenn Zweifel an der bisherigen Formation bestehen, müssen sie ausgeräumt werden. Wenn das nicht möglich ist, muss das System eine andere Formation finden, die Vertrauen genießt. Denn ohne Vertrauen geht es nicht. Die Formation muss nach der Überzeugung der Entscheider zur Situation passen.
In diesem Schwebezustand des Zweifels ist das soziale System extrem schwach und verwundbar. Das ist wie bei einem Hummer, dessen Panzer zu eng geworden ist und der deshalb diesen Panzer abwirft: Darunter wächst die neue, besser zur Größe des Hummers passende Außenhülle nach, sie ist zu Beginn aber noch weich und muss erst einige Zeit aushärten. Solange aber dieser Übergangszustand besteht, ist der Hummer ungeschützt und eine leichte Beute für Fressfeinde. Er hat darum in dieser Phase keinerlei Selbstvertrauen, er verkriecht sich, verteidigt sein Revier nicht und sucht keine Nahrung. Es gilt: Je schneller der Panzer härtet, desto größer die Überlebenschance.
Das kurzfristige Ziel jedes sozialen Systems in der Krise ist darum: Rechtzeitig handeln! Schnell handeln! Unverzüglich das Vertrauen wiederherstellen! Notfalls die Formation ändern.
Beim angeschlagenen Fußballclub müsste nun die Clubführung zusammenkommen und entscheiden, ob das Vertrauen in den Trainer noch besteht oder nicht. Besteht das Vertrauen noch, muss der oberste Boss des Vereins dem Trainer umgehend öffentlich das Vertrauen aussprechen und ihm den Rücken stärken. Gleichzeitig müsste der so bestätigte Trainer dann möglichst konkrete Maßnahmen verkünden und damit Handlungsfähigkeit demonstrieren: freie Tage für die Spieler streichen, einen Querulanten im Team suspendieren, die Taktik umstellen, den schwächelnden Star auf die Bank setzen et cetera.
Besteht das Vertrauen der Clubführung in den Trainer nicht mehr, müsste sie ohne jede Verzögerung sofort den Trainer feuern und entweder den neuen Trainer präsentieren oder eine Übergangslösung installieren, um Zeit für die Trainersuche zu gewinnen. Aber der alte Trainer ohne Vertrauen muss sofort weg, um Schaden vom Verein anzuwenden. Ohne auch nur einen Tag Verzögerung. Das ist keine Option, sondern die Pflicht der Clubführung! Denn die Existenz des Clubs steht in solchen Situationen auf dem Spiel.
Aber dieser Club ist anders. Der Trainer macht nichts dergleichen und die Clubführung bleibt auch untätig. Angesprochen darauf, dass das Vertrauen ja wohl weg ist, sagt der Trainer: Ja, ob das Vertrauen noch da ist, das frage ich demnächst mal.
Wann? – Ja, vielleicht in ein paar Wochen.
Warum nicht schneller? – Ich will das geruhsam angehen. Und da sind ja auch erst mal Weihnachten und Neujahr.
Und wenn Ihnen dann das Vertrauen entzogen wird? – Ja, dann mache ich trotzdem weiter, und ich bin zuversichtlich, dann auch wieder einen neuen Vertrag zu bekommen.
Wie kommen Sie denn darauf? – Ja, ich bin eben etwas cooler als die anderen, gnihihi.
Aber das muss doch jetzt alles viel schneller entschieden werden! – Na gut, dann sollen mein Co-Trainer und der Spielerberater sich doch mal treffen. Die können dann doch darüber beraten, wann ein guter Termin wäre.
Müssen Sie das nicht selber festlegen, wann Sie die Vertrauensfrage stellen? – Ja, da müssen wir mal reden und dann müssen wir mal schauen und dann sehen wir ja.
Das geht doch nicht, der Club muss doch jetzt innerhalb von wenigen Tagen wissen, wie es weitergeht! – Ach, das geht alles nicht so einfach. Es muss ja dann auch einen neuen Vertrag geben und das Papier ist knapp, da braucht man schon Zeit für. Und dann muss ja auch erst mal ein Raum gefunden werden, und Räume sind knapp. Und dann muss ja auch jeder gerade mal Zeit haben. Und dann kommt vielleicht was dazwischen. Und dann habe ich vielleicht vergessen, was wir ausgemacht hatten. Und wer weiß und überhaupt.
Die Fans sind mittlerweile völlig entnervt und demonstrieren mit großen Plakaten gegen den Trainer und fordern den Clubchef auf, ihn zu entlassen. Aber der Clubchef sagt, er könne da nichts machen, denn wenn er den alten Trainer entlässt und einen neuen bestimmt, dann könnte der ja auch falsch sein. Vielleicht ist der dann sogar rechts? Und dann?
Mittlerweile geht ein weiteres Spiel verloren, null zu fünf zu Hause gegen den Abstiegskandidaten. Die Mannschaft präsentiert sich wie ein hysterisch durcheinanderlaufender Hühnerhaufen und schießt ein Eigentor nach dem anderen. Der Trainer sitzt auf der Bank und grinst schlumpfig. Der Co-Trainer kündigt direkt nach dem Spiel und wird beurlaubt. Die Fans kündigen an, das nächste Spiel zu bestreiken. Der Star der Mannschaft gibt bekannt, seinen auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern und ins Ausland zu wechseln.
Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel sagt der Trainer, er wolle vielleicht doch mal nächste Woche oder so die Clubführung fragen, ob er einen anderen Co-Trainer bekommen könne. Aber nächste Saison wolle er schon noch weiter Trainer sein. Er verweist auf die Erfolge: Das sechste Gegentor habe verhindert werden können.
Die Clubführung schweigt.
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