17. März 2025 11:00

Gestahlfedert: Gesinnungsjustiz (Teil 4) Mein Kampf, mein Doppelsieg

Ein Heidenspaß mit dem deutschen Rechtsstaat in zwei Akten

von Michael Werner

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Bildquelle: Michael Werner Gesinnungsjustiz muss aufgeben: Sieg für die Meinungsfreiheit

Nachdem meine persönliche Geschichte letzte Woche eine überraschend hohe Resonanz erfuhr, folgt sodann die nächste, nur dass es diesmal nicht um meine Frau Mama geht, sondern um ein persönliches Erlebnis, und es geht auch wieder um mein Lieblingsthema: Meinungsfreiheit und ihre juristischen Folgen.

Am 9. Oktober 2023 meldete sich die Rautenhexe aus der Uckermark aus ihrem unverdienten Unruhestand beim „Zwangsgebührenfinanzierten Desinformations-Fernsehen“ (kurz: ZDF) zu Wort, mit allerlei Bullshit, also alles wie üblich. Auf der Plattform „X“ teilte ich einen Screenshot der dazugehörigen ZDF-Meldung mit folgendem Kommentar: „Ich möchte den Namen dieser Frau erst wieder hören, wenn ihre Exekution unmittelbar bevorsteht.“

Die Formulierung war, wie echte Kenner sofort verstehen, eine Anspielung auf die DDR-Sozialisation der Dame, die nie „IM Erika“ war, sondern allenfalls FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda, wenn überhaupt. Wer’s nicht versteht: In der DDR sollen zum Tode verurteilte Regimegegner in ein Zimmer geführt und vom dort anwesenden Regimeknecht mit den Worten „Ihr Gnadengesuch wurde abgelehnt, Ihre Exekution steht unmittelbar bevor“ begrüßt worden sein, um nur wenige Sekunden(bruchteile) später durch einen Kopfschuss von hinten in die Ewigen Jagdgründe befördert zu werden. Der Sozialismus war halt das menschlichere System, muss man wissen!

Nun mögen einige Leser meine Aussage vielleicht geschmacklos finden. Oder auch widerlich. Oder gar unerträglich. Das ist mir allerdings egal, darum geht es hier nicht, denn Meinungsfreiheit ist eben keine Geschmackssache. Sie dient nicht dazu, Aussagen zu schützen, die keinem wehtun, denn dafür bräuchten wir keine Meinungsfreiheit. Sie dient einzig und allein dazu, Aussagen zu schützen, die wehtun, die geschmacklos, widerlich und unerträglich sind. Oder um es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts auszudrücken:

„Vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind zum einen Meinungen, das heißt durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerungen. Sie fallen stets in den Schutzbereich von Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz, ohne dass es dabei darauf ankäme, ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden. Der Meinungsäußernde ist insbesondere auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen zu teilen, da das Grundgesetz zwar auf die Werteloyalität baut, diese aber nicht erzwingt.“

Wie Sie sehen, kann ich demnach sogar noch ganz anders abledern als dieses harmlose Witzchen!

Obwohl mein Tweet Stand heute gerade mal 152 Usern angezeigt wurde, gerade mal zwei „Likes“ erhielt und nur einmal retweetet wurde, löste er eine kleine Lawine aus:

Ein Meldemuschi-Schmock mit Kleiner-Feigling-Profil zeigte mich beim Bundeskriminalamt an, und diverse User dürften mich bei „X“ gemeldet haben. So wurde mir dann am 14. Oktober 2023, also nur fünf Tage nach diesem Tweet, der Account dichtgemacht. Offensichtlich hatte sich Elon Musks redefreiheitlicher Kurs noch nicht bis zur deutschen Zensur-Abteilung herumgesprochen, ergo entschied ich, nun dafür Sorge zu tragen und zog sofort vor Gericht. So flatterte der für Europa zuständigen irischen Niederlassung des Unternehmens bereits am 13. November 2023 eine Einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Köln (Aktenzeichen 146 C 263/23) ins Haus, meine Account-Sperre wegen dieses Tweets sofort aufzuheben oder andernfalls ein Ordnungsgeld bis zu einer Viertelmillion zu zahlen. Das heißt mit anderen Worten, dass das Gericht meinen Tweet als nicht strafbar eingeordnet hat, denn ansonsten hätte es diesen Beschluss nicht erlassen, sondern die Sperre als gerechtfertigt oder zumindest nachvollziehbar angesehen und meinen Eilantrag abgewiesen.

Anders als ich es von meinen zahlreichen Prozessen gegen Facebook gewohnt war (siehe dazu mein Vortrag in unten verlinktem Video „David gegen Goliath“), wo der Meta-Konzern eine internationale Top-Großkanzlei von der Kette lässt, die einen mit telefonbuchdicken Schriftsätzen bewirft und das Ding durch alle Instanzen prügelt, kam hier schon nach wenigen Tagen, genauer gesagt am 24. November 2023, unaufgefordert die bedingungslose Kapitulation in Form einer Abschlusserklärung mit dem Inhalt, dass man die Entscheidung der Einstweiligen Verfügung als endgültige und zwischen den Parteien materiell-rechtlich verbindliche Regelung anerkennt und insoweit insbesondere auf alle Rechte wie Fristsetzung zur Hauptsacheklage und Aufhebung wegen veränderter Umstände verzichtet. (Fun Fact: Diese Abschlusserklärung wurde von exakt demselben Anwalt unterzeichnet, der zuvor eine Zeitlang den Meta-Konzern vertreten hatte und mich bei einem Termin vor dem Landgericht Köln im Dezember 2020 noch als den „schlimmsten Hetzer, den es jemals auf Facebook gab“ bezeichnete – siehe dazu ebenfalls unten verlinktes Video „David gegen Goliath“.)

Dann hatte ich erst mal meine Ruhe, und zwar exakt ein Jahr lang: Ende November 2024 flatterte mir ein Schreiben der Kriminalpolizei, Abteilung Staatsschutz, ins Haus: Man warf mir vor, den Straftatbestand des Paragraphen 140 unseres Strafgesetzbuches mit dem Namen „Belohnung und Billigung von Straftaten“ erfüllt zu haben. Dort heißt es (verkürzt auf das, was hier von Belang ist): „Wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative oder in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten oder eine rechtswidrige Tat nach § 176 Absatz 1 oder nach den §§ 176c und 176d […] in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Kurz für Normalsterbliche: Nicht die Belohnung oder Billigung einer jeden beliebigen Straftat ist strafbar, sondern nur der Straftaten aus den ganzen Paragraphen, die dort aufgezählt werden. Hier spricht der Jurist von „Katalogtaten“. Harmlose Verfehlungen wie Schwarzfahren fallen nicht darunter, aber schwere Verbrechen wie Vergewaltigung, Mord und Totschlag, und natürlich das Anzetteln eines Atomkriegs.

Der Staatsschutz wollte nun, dass ich mich dazu äußere. Natürlich redet man nicht mit dem Staatsschutz, erst recht nicht als Libertärer, außer man ist kernbehindert. Bin ich aber nicht. Stattdessen habe ich die Sache meinem Anwalt übergeben, der Akteneinsicht beantragt hat. Knapp zwei Monate später erhielten wir dann von der Staatsanwaltschaft Köln die Ermittlungsakte. Die ist sehr aufschlussreich: Man erfährt, was einem genau vorgeworfen wird, wer wann die Anzeige erstattet hat und was sie alles über einen wissen.

Die Einzelheiten des Akteninhalts erspare ich Ihnen, nur so viel: Es befanden sich alle persönlichen Daten von mir darin, dazu sämtliche E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Konten. Wirklich lustig war ein behördeninternes Schreiben, worin in umständlichem Amtsdeutsch erklärt wird, warum es ein Jahr gedauert hat, bis man sich meines Wortverbrechens annahm: Es lag an der Fußball-Europameisterschaft 2024, Abordnungen aufgrund der Einrichtung behördenweiter Organisationsformen sowie einer Vielzahl von Gefahrensachverhalten, Fällen der mittleren Kriminalität sowie Ermittlungsverfahren von hoher politischer Bedeutung. Übersetzt in Klartext: Man hatte Wichtigeres zu tun als sich um so’n depperten Scheiß zu kümmern. Ich hoffe, Sie halten mich jetzt nicht für ein etatistisches U-Boot, wenn ich nun bereits in der zweiten Kolumne in Folge lobende Worte für die Kölner Polizei finde, aber Ehre wem Ehre gebührt, alles andere wäre unredlich.

Zunächst wähnte ich mich auf der sicheren Seite, da es ja bereits eine rechtskräftige Entscheidung des Amtsgerichts Köln gab, wonach mein Tweet nicht strafbar war, und hielt es daher für ausgeschlossen, jetzt erneut vorm Amtsgericht Köln wegen derselben Sache aufschlagen zu müssen. Jeder kennt doch diesen schönen Rechtsgrundsatz „double jeopardy“, oder „ne bis in idem“, wie man unter uns Lateinern sagt: Nie zweimal in derselben Sache! Doch diesen Zahn zog mir mein Anwalt sogleich, da der Beschluss in der zivilrechtlichen Sache gegen „X“ für ein strafrechtliches Verfahren nicht bindend ist. Das heißt, es wäre theoretisch möglich, dass ich vom selben Gericht wegen derselben Äußerung zwei absolut gegensätzliche Urteile kassiere. So ein Rechtsstaat ist schon eine geile Sache und rockt verdammt hart, nicht wahr?

Da sich längst jeder Leser fragt, wie ich aus der Nummer heil wieder rausgekommen bin, will ich es nicht unnötig spannend machen und verrate nun, wie mein genialer Anwalt gegenüber der Staatsanwaltschaft Köln argumentiert hat: Unter einer „Exekution“ versteht ein durchschnittlich verständiger Rezipient die Hinrichtung einer Person nach einem rechtsstaatlichen Todesurteil, wie beispielsweise in den USA. Daher ist eine Exekution keine Straftat, erst recht keine Katalogtat des Paragraphen 140. Ergo erfüllt meine Äußerung den mir vorgeworfenen Straftatbestand gar nicht. Das war der ultimative Mic-Drop, damit war die Sache toter als tot, sogar toter noch als Frau Dr. Merkel nach einer möglichen Exekution.

Das musste dann auch die Staatsanwaltschaft Köln einsehen (Aktenzeichen 121 Js 1989/24), und schon zwei Monate später stellte sie das Verfahren nach Paragraph 170 Absatz 2 der Strafprozessordnung ein. Die sauberste Form der Einstellung: Nicht wegen Geringfügigkeit, mangelnden öffentlichen Interesses oder sonstiger Jura-Poesie – nein, Einstellung wegen „wir stehen da mit runtergelassenen Hosen, denn wir haben nichts gegen ihn“. Strike!

Falls auch Sie mal so richtig abledern wollen, ohne dass der Rechtsstaat Ihnen morgens um sechs Uhr die Tür eintritt, empfehle ich mein unten verlinktes Video „Meinungsfreiheit: Wissen, was geht!“, wo es die ultimativen Tipps zum rechtskonformen Beleidigen von Politikern gibt.

Es gilt die Faustregel: Äußern Sie sich jeden Tag so, dass Lisa Paus und Nancy Faeser bittere Tränen weinen.

Quellen:

Streitgegenständlicher Tweet von Michael Werner vom 09.10.2023 („X“)

Artikel 5 Grundgesetz („Gesetze im Internet“)

Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2011 zum Aktenzeichen 1 BvR 917/09 (Bundesverfassungsgericht)

Michael Werner: Erfahrungen vor Gericht in Sachen (Meinungs-)Freiheit (ef-Konferenz 2023, Teil 11) (Youtube, „eigentümlich frei“)

§ 140 StGB – Belohnung und Billigung von Straftaten („Gesetze im Internet“)

§ 170 stopp – Entscheidung über eine Anklageerhebung („Gesetze im Internet“)

Michael Werner: Meinungsfreiheit: Wissen, was geht! (Youtube, ef-Konferenz 2024, „eigentümlich frei“)


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