14. Mai 2025 06:00

Wir haben einen Papst Ein Leo gegen Staat und Sozialismus

Ist der neue Pontifex vielleicht ein bisschen libertär?

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Right Perspective Images / Shutterstock Leo XIII.: Trug den Namen über 100 Jahre vor dem neuen Papst

„Sandwirt“-Autor Marco Gallina hatte eine Woche vor der Papstwahl den Papstnamen „Leo“ für den neuen Pontifex korrekt vorausgesagt. Dasselbe gelang meinem ältesten Sohn, auch er lag mehrere Tage vor der Papstwahl in einer unserer Diskussionen während des Abendessens exakt richtig, allerdings aus anderen Gründen. Während Marco Gallina mittels Positivauslese überlegte, welcher der letzten Päpste vor ähnlichen Herausforderungen stand wie heute und darum am ehesten Vorbild für den neuen Papst sein könnte, ermittelte mein Sohn per Negativauslese, welcher der letzten Päpste auf keinen Fall ein Vorbild für die heutige Zeit und die aktuellen Probleme wäre. Mit beiden Verfahren kommen Sachkundige offenbar auf Leo beziehungsweise bleibt nur noch Leo übrig.

Dieses Vorbild ist genauer gesagt Leo XIII., der 1810 geboren wurde und der von 1878 bis zu seinem Tode im Jahr 1903 Papst war. Und was für einer: Er brach die Isolation und Selbstbeschäftigung der Kirche auf, mischte sich ein und wirkte über die Kirche hinaus in die Welt. Er positionierte die Kirche in den großen gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts.

Und er tat dies als Publizist: Leo XIII. verfasste 86 päpstliche Rundschreiben, in denen er allgemeinverständlich, differenziert und sehr konkret Stellung bezog zu den Fragen, die die Menschen damals bewegten. Und das war zu einem großen Teil die sogenannte „soziale Frage“, nämlich der gesellschaftliche Problemkomplex, der sich durch die industrielle Revolution und Bevölkerungsexplosion in der westlichen Welt entwickelt hatte.

Sein wohl bekanntester und wirkungsvollster Text heißt „Rerum Novarum“, also etwa: „Von den neuen Dingen“; er erschien vor 134 Jahren und liest sich heute erstaunlich frisch und modern, was die Form betreffend vor allem an seiner überhaupt nicht angestaubten Sprache liegt, die sehr konkret und allgemeinverständlich ist und die gleichzeitig sehr präzise differenziert. Inhaltlich sprach Leo Tacheles.

Diese Enzyklika, die eine Art Grundstein der katholischen Soziallehre bildete, benennt manch kontroverse Dinge sehr klar, wie man es heute weder von Politikern noch von Klerikern gewohnt ist. Was für uns Freiheitliche dabei besonders ins Auge sticht, sind seine Standpunkte zu Eigentum, Arbeit, Familie, Erbe und Staat. Ich lese das und denke: Leo XIII. war ja fast ein Libertärer! Ja, natürlich nur „fast“. Aber er war in vielen Aspekten freiheitlicher als jedes FDP-Mitglied von heute. Zitate aus seinem Text belegen das: „Aber, was schwerer wiegt, das von den Sozialisten empfohlene Heilmittel der Gesellschaft ist offenbar der Gerechtigkeit zuwider, denn das Recht zum Besitze privaten Eigentums hat der Mensch von der Natur erhalten.“ Eigentum als Naturrecht und Gerechtigkeit. Halleluja!

Leo hat aus christlicher Perspektive empfindlich etwas gegen Enteignung und Umverteilung, genau das meint er nämlich mit dem „von den Sozialisten empfohlenen Heilmitteln“. So schrieb er: „Aus alledem ergibt sich klar die Verwerflichkeit der sozialistischen Grundlehre, wonach der Staat den Privatbesitz einzuziehen und zu öffentlichem Gute zu machen hätte.“

Er missbilligt hier ganz klar den sozialistisch agierenden Staat, er hält das Naturrecht auf Eigentum für gottgegeben und er mahnt den Staat zur Zurückhaltung: „Es ist also gegen Recht und Billigkeit, wenn der Staat vom Vermögen der Untertanen einen übergroßen Anteil als Steuer entzieht.“

Dazu muss man wissen, dass die Staatsquote im Deutschen Reich zur Zeit des Erscheinens von „Rerum Novarum“ bei knapp 13 Prozent lag, in Großbritannien bei knapp über neun Prozent. Preußen führte gerade erst die Steuererklärung und die progressive Einkommensteuer ein. Der Steuersatz: gestaffelt von 0,62 Prozent bis vier Prozent. Der Papst machte sich also Sorgen, dass es der Staat angesichts solcher Steuersätze dermaßen übertreiben könnte, dass es unbillig, ungerecht, ja unchristlich werden könnte vor lauter Sozialismus. Was würde Leo XIII. über eine Staatsquote von nicht 13 Prozent, sondern 50Prozent und einen Höchststeuersatz von nicht vier Prozent, sondern 45 Prozent plus Soli sagen?

Der Papst entwickelte in seinem Rundschreiben den Wert der Arbeit und das Verhältnis zwischen Arbeitern und Unternehmern aus dem Individuum heraus und entwickelte eine individualistische christliche Ethik der Arbeit, wobei er gegen die marxistische Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen, die reichen Ausbeuter und die armen Ausgebeuteten, argumentierte, indem er beiden Seiten, den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, ihren Sinn und Wert für die Gesellschaft jeweils aus dem Naturrecht des Individuums heraus ableitete. Über die Vermögenden sagte er: „Das Privateigentum gründet sich, wie wir gesehen haben, auf die natürliche Ordnung, und dieses Recht zu gebrauchen, ist nicht bloß erlaubt, sondern es ist auch im gesellschaftlichen Dasein eine Notwendigkeit.“

Und über die Arbeiter: „Wenn also die Sozialisten dahin streben, den Sonderbesitz in Gemeingut umzuwandeln, so ist klar, wie sie dadurch die Lage der arbeitenden Klassen nur ungünstiger machen. Sie entziehen denselben ja mit dem Eigentumsrechte die Vollmacht, ihren erworbenen Lohn nach Gutdünken anzulegen, sie rauben ihnen eben dadurch Aussicht und Fähigkeit, ihr kleines Vermögen zu vergrößern und sich durch Fleiß zu einer besseren Stellung emporzubringen.“

Das ist damals wie heute die libertäre Argumentation, warum die Reduzierung des Gemeinguts, also eine Reduzierung der Umverteilung, eine Reduzierung der Staatsausgaben, eine Reduzierung der Abgaben- und Steuerlast, ja gerade den unteren Einkommensgruppen zugutekäme – was sich derzeit ja auch in praktischer Anwendung in Argentinien zeigt.

Aus dieser individualistischen, antikollektivistischen Argumentation heraus sieht Leo XIII. die Chance auf Brückenbau zwischen den Lagern, auf die Auflösung der Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit. Er schrieb: „Ein Grundfehler in der Behandlung der sozialen Frage ist sodann auch der, dass man das gegenseitige Verhältnis zwischen der besitzenden und der unvermögenden, arbeitenden Klasse so darstellt, als ob zwischen ihnen von Natur ein unversöhnlicher Gegensatz Platz griffe, der sie zum Kampf aufrufe. Ganz das Gegenteil ist wahr.“

Ein weiterer, ganz entscheidender Gedanke in diesem bemerkenswerten Text ist die Rolle der Familie in der Gesellschaft. Leo stärkt die Position der Familie und wendet sich gegen deren Erosion durch den überfürsorglichen Staat. Sein Programm ist insofern auch anti-etatistisch, er nennt die Übergriffigkeit des Staats in die Familie hinein und die Konkurrenz des Staats mit den Eltern glatt Sünde: „Das sozialistische System also, welches die elterliche Fürsorge beiseitesetzt, um eine allgemeine Staatsfürsorge einzuführen, versündigt sich an der natürlichen Gerechtigkeit und zerreißt gewaltsam die Fugen des Familienhauses.“

Da wir in einer Zeit leben, in der ein außer Rand und Band geratener Staat aus dem Privatleben und aus der Wirtschaft zurückgedrängt werden muss und in der das in immer neuer Gestalt umgehende Gespenst des Sozialismus erneut in die Löcher und Ecken zurückgetrieben werden muss, sind die klugen Gedanken Leos des XIII. tatsächlich erstaunlich aktuell.

Sich mit „den neuen Dingen“ gedanklich auseinanderzusetzen und Orientierung zu finden, würde heute auch bedeuten, zu Digitalisierung, Internet, Social Media, künstliche Intelligenz und Transhumanismus ethisch begründete Standpunkte zu definieren. Insofern war die Entscheidung von Robert Prevost, sich als Papst den Namen Leo XIV. zu geben, tatsächlich eine folgerichtige und weise Entscheidung.

Ich hoffe, dass sich diese Entscheidung programmatisch zeigt und dass der neue Papst aus der christlichen Warte Impulse setzt, die uns Freiheitlichen helfen, die Etatisten und Sozialisten, die Woken und ihre feigen Mitläufer in der bürgerlichen Mitte aus unserem Leben und der Privatwirtschaft zurückzudrängen. Das wäre eine willkommene Hilfe aus einer unerwarteten Ecke.


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