Ayn Rands Atheismus:: Ist der Objektivismus kompatibel mit der christlichen Lehre?
Ich frage aus Neugier und spreche dabei weniger die Atheisten an
von Christian Paulwitz drucken
Die herausragende moralphilosophische Leistung Ayn Rands ist aus meiner Sicht, eine konsistente ethische Lehre zu formulieren, die eine altruistische Ethik als Grundlage für gesellschaftliche Wertvorstellungen aufgrund deren notwendiger innerer Widersprüche widerlegt. Man kann die Bedeutung dessen gar nicht hoch genug ansetzen, weil der Altruismus ein gefügiges Instrument der Machtausübung ist, das Menschen dazu bringt, das mit Zwang verbundene Handeln anderer gegen ihre Rechte mit einem guten Gefühl hinzunehmen, anstatt sich zu widersetzen. Der denkende Mensch, der gleichzeitig einen ethischen Anspruch an sich hat, gerät dabei unweigerlich in eine Dissonanz zwischen Verstand und Gefühl, die er nicht selten gar nicht erklären kann. Er gerät mit sich selbst in Widerspruch. Der Objektivismus, der den Selbstwert des Menschen hervorhebt, aber ihn nicht auf Kosten anderer beansprucht, löst den Widerspruch auf und erkennt den Altruismus nicht nur als eine verlogene, sondern eine zutiefst bösartige Moral.
Das Bild, das Ayn Rand zeichnet, ist treffend: Der mystische Geisterbeschwörer mit seinen altruistischen Forderungen an produktive Menschen hilft dem Machtmenschen, sie zu beherrschen und auszubeuten. In der Konsequenz verlieren die produktiven Menschen, die mit ihrer Tätigkeit Wert für andere schaffen, gegenüber den parasitären Nichtsnutzen. So galt der Angriff Ayn Rands dem Selbstverständnis der mystizistischen Institutionen, deren mächtigste zumal in ihrer Zeit die christlichen Kirchen waren. Das sollten auch Christen, die mal in der Bibel gelesen haben, nachvollziehen können: in Zeiten, in denen die Geisterbeschwörer der heutigen Kirchen behaupteten, Jesus hätte sich „impfen“ lassen, oder die einen Eisblock aus Grönland mit Zaubersprüchen belegen, um den Klimafluch zu bannen, wie jüngst der Papst.
Die Philosophie des Objektivismus fordert den Menschen auf, zu seinem eigenen Wohle und mit den Mitteln seines Verstandes als sein wichtigstes Werkzeug die Realität zu erkennen, an der er sein Handeln zur Erreichung seiner Ziele ausrichtet. Ignoriert er die Realität, wird dies zu seinem Schaden sein. – So funktioniert die Welt im Großen und Ganzen. Aus der Ablehnung des Einflusses von Mystikern zwingend den Atheismus als Grundlage für eine realistische Sicht auf die Welt abzuleiten, wie es die von Vernunft geleitete Ayn Rand tat, halte ich allerdings – sie möge es mir verzeihen – für einen logischen Fehlschluss. Denn auch Atheismus ist letztlich ein Glaube, der – besonders im Falle einer nicht seltenen nihilistischen Begleitmusik – sich nicht weniger mit der Realität in Widerspruch befinden und dem Menschen von seinem eigenen Wohl weg zum Schaden für sich und andere führen kann wie andere Glaubensmodelle bisweilen eben auch. Das hängt ganz davon ab, ob ihn sein Glaube – möglicherweise unter Einfluss machtinteressierter Mystiker – von seinem Selbst wegführt oder in seiner individuellen Suche nach Übereinstimmung von Körper, Geist und Seele zu seinem Selbst hinführt – dass der Mensch eine Seele hat, ist auch für mich als Agnostiker offenkundig.
Bedauerlich fände ich es, wenn sich Christen von der Philosophie des Objektivismus wegen Ayn Rands postuliertem Atheismus von vornherein abschrecken ließen. Mein erster Punkt war also, dass ich einen logischen Widerspruch zwischen der unbedingten Verbindung von Objektivismus und Atheismus sehe. Ich sehe aber auch keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen dem Bestreben nach Erkennen der Realität mit den Mitteln des Verstandes und einem Glauben – ob an einen Gott oder an die Nichtexistenz von Göttern. Hier möchte ich einen Satz des geschätzten Stefan Blankertz aus den Freiheitsfunken der vor wenigen Wochen aufgreifen und diesem – auch er möge es mir nachsehen – grundlegend widersprechen: „Ein Glaubenssatz macht nur dann Sinn, sofern sein Inhalt der Erfahrung oder der Logik widerspricht; das heißt, sofern die Aussage nicht aus schlussfolgerndem Denken und einer sinnvoll gedeuteten Empirie abgeleitet werden kann: Eine schlussfolgernde oder empirisch belegte Aussage braucht nicht geglaubt, sie kann gewusst werden.“ – Nein, Glaube kann selbstverständlich eine Lücke schließen, die durch logikbasierte Erkenntnis nicht geschlossen werden kann. Und die reine Empirie berechtigt auch nur zur begründeten Vermutung, nicht zum Wissen.
Nun ist der Mensch in seinem physischen Leben, das wir beobachten können, auf Zeit und Raum weitgehend begrenzt, seine fünf Sinne sogar zur Gänze. Damit als gegeben hinzunehmen, dass es über Zeit und Raum hinaus keine weiteren Dimensionen gäbe, ist jedoch schon aus mathematisch-physikalischen Gründen völlig unhaltbar. Der Mensch hat nur gewisse Schwierigkeiten, sich in zusätzlichen Dimensionen zu bewegen. Auf der rationalen Ebene bleibt das Vordringen in weitere Dimensionen daher im Bereich der Hypothese.
Doch wo die Grenzen von Zeit und Raum gedanklich überschritten werden können, bleibt reichlich Raum für Glauben – zum Beispiel an einen Schöpfergott, der über Zeit und Raum steht, warum nicht? Mit Blick auf den Objektivismus würde ich nur in Umkehrung zu Stefan Blankertz’ These fordern: Ein Glaubenssatz ergibt nur dann Sinn, wenn sein Inhalt nicht mit der Logik – die erfahrungsbasierte Empirie ist bekanntlich ohnehin etwas tückisch – im fundamentalen Widerspruch steht. Der Gott der Bibel, der einerseits den Menschen als eigenverantwortlich für sein Leben nimmt, andererseits den Verlauf der Welt von Anfang bis Ende überblickt, ist als Wesen, das über Zeit und Raum steht, grundsätzlich – noch ohne in die Details zu gehen – logisch widerspruchsfrei denkbar. Man muss als Mensch sich mit seinem Verstand zwar ein bisschen anstrengen, aber am Ende wird man zu dem Ergebnis kommen, dass aus methodischen Gründen weder die Existenz noch die Nicht-Existenz eines solchen Wesens beweisbar ist. Damit schließe ich meinen zweiten Punkt ab: ich sehe nicht, dass man sich nicht wohlwollend mit dem Objektivismus befassen könne, aber dann, wenn schon nicht Atheist, doch wenigstens Agnostiker sein müsse. Es ist sehr wohl Raum für Glauben, der aber nicht in offenkundigem Widerspruch mit der Realität stehen kann.
Jetzt kommt der Punkt, bei dem ich als Agnostiker mich wissentlich ein wenig auf’s Glatteis begebe. Also sachte, Schritt für Schritt.
Die Frage, die sich mir nun stellt, ist, ob die christliche Lehre selbst im Widerspruch zu den Erfordernissen der Realität steht und somit auch im Widerspruch zu den wesentlichen Postulaten der Philosophie von Ayn Rand – abgesehen von ihrem persönlichen Atheismus natürlich. Nur dann müsste der gläubige Christ der objektivistischen Ethik widersprechen. Ayn Rand hat die Prediger des Altruismus angegriffen und besonders gerne die in den Reihen der Kirche. Im Markus-Evangelium (12, 38–40) heißt es: „Und er lehrte sie und sprach: Seht euch vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern umhergehen und sich auf dem Markt grüßen lassen und sitzen gern obenan in den Synagogen und beim Gastmahl; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen.“ – Man darf sich also durchaus in Übereinstimmung mit der Bibel gleichzeitig auf der Seite Ayn Rands im Angriff auf die „Schriftgelehrten“ sehen und somit im Widerspruch zu Eisblöcke segnenden Päpsten, die sicher die Bibel etwas intensiver als ich studiert, aber auf ihrem Weg offenbar die eine oder andere Tasse aus dem Schrank verloren haben mögen. Den Experten nicht unbesehen alles zu glauben, ist eine lebensnotwendige Tugend, die auf jedem Feld geübt werden sollte, wie die letzten Jahre bestätigt haben. Das ist eine objektivistische Forderung.
Die Bibel als Grundlage der christlichen Lehre erhebt Anspruch auf Verkündigung der Wahrheit, also darauf, mit der Realität übereinzustimmen, nicht wahr? Insbesondere im Neuen Testament wird der Wahrheit ein außerordentlich hoher Wert zugemessen, wenn sie nicht an manchen Stellen direkt mit Gott oder Jesus gleichgesetzt wird. Ich könnte mir also vorstellen, dass ein gläubiger Christ mit dem Kern der Philosophie der Atheistin Ayn Rand durchaus große Übereinstimmung finden kann: sie wendet sich an das Individuum, das mit Hilfe seines Verstandes die Realität erkennen und verstehen lernen kann, um seine Ziele zu verfolgen, also seinen Weg durchs Leben zu nehmen. Die Übereinstimmung mit der Realität ist nützlich, der Widerspruch zu den Gegebenheiten der Realität birgt dagegen das Scheitern. Eigene Anstrengung und freiwillige Kooperation sind erfolgversprechende Strategien.
Freilich kann man das auch anders deuten, wenn man will. Das Praktische an großen Schriftensammlungen wie der Bibel ist ja, dass jeder das herauslesen kann, was ihn in seiner vorgefassten Meinung bestärkt. Ich selbst bringe dem Neuen Testament, das viel stärker das Individuum anspricht, mehr Sympathien gegenüber als dem Alten, das in Teilen doch sehr kollektivistisch tickt, insbesondere was die Bestrafungen durch den Gott des Alten Testaments betrifft. Auch wird im Alten Testament Gehorsam gefordert – nicht etwa gegenüber den Erfordernissen, die die Realität stellt, sondern sehr fragwürdigen, genau zu befolgenden Regeln, wie mystifizierende Opfergebräuche (siehe drittes Buch Moses). Doch auch im Neuen Testament gibt es gruselige Stellen wie im Brief des Apostels Paulus an die Römer (Kapitel 13, 1–5), wo es sich anfühlt wie bei einer Tagesschausendung im Corona-Lockdown.
Aber um auf meine Frage zurückzukommen: sie beruht auf meiner Beobachtung, dass von den zahlreichen libertären Autoren christlichen Bekenntnisses ich nichts über Ayn Rand und ihre Philosophie gelesen habe. Möglicherweise ist mir auch etwas entgangen, aber dominiert wird ihre Interpretation ganz eindeutig von Atheisten und Agnostikern. – Warum eigentlich? Ist es Reserviertheit gegenüber ihr als Atheistin? – Das wäre schade, denn Sache und Person kann man trennen. Oder gibt es in ihrer Philosophie einen Kern, der der christlichen Lehre fundamental widerspricht? – Dann wäre es doch eine interessante Aufgabe, dies einmal herauszuarbeiten und von den möglicherweise vorhandenen Anknüpfungspunkten zu trennen. – Mich würde das interessieren.
Quellen:
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.

