20. Oktober 2025 16:00

Gaza, neue Medien und Influencer Der Krieg an der Propagandafront

Macht über Köpfe wiegt mehr als Macht über Waffen

von Robert Grözinger drucken

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Bildquelle: Shutterstock Neue Medien: Langfristig die wichtigsten Waffen der modernen Kriegsführung

Israel mag, wenig überraschend, die Hamas militärisch besiegt haben. Aber an der Propagandafront hat der Judenstaat, wie Theodor Herzl im späten 19. Jahrhundert seine Vision des Landes nannte, eine empfindliche Niederlage erlitten. Unter anderem aufgrund der unkontrollierbaren Verbreitung ungefilterter Bilder. Unüberlegte Äußerungen des Premierministers Benjamin Netanjahu seither über eine Gruppe abtrünniger Unterstützer seines Landes könnten Israel langfristig in eine weitaus schwierigere Lage versetzen.  

Israel „Völkermord“ vorzuwerfen, ist nicht gerechtfertigt. Der Vorwurf kommt unter anderem von der „Ständigen Faktfindungsmission der Vereinten Nationen zum Israel-Palästina-Konflikt“. Wenn die Vereinten Nationen etwas bewerten, dann weiß man schon Bescheid. Man braucht sich nur deren Bilanz während der Covid-„Pandemie“ anzuschauen oder, wenn man ganz mutig ist, Annalena Baerbock.

Ein Völkermord ist laut Wikipedia „gekennzeichnet durch die Absicht, auf direkte oder indirekte Weise ‚eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören‘“. Mit anderen Worten: Völkermord ist die gezielte massenhafte Vernichtung von Menschen bestimmter, gemeinsamer Herkunft allen Alters und beiderlei Geschlechts – auch ohne begleitende Kriegshandlungen. Dieser Zusatzgedanke am Schluss ist ein entscheidender Punkt. Denn wie soll man sonst „Völkermord“ von ganz „normalen“ modernen Kriegshandlungen unterscheiden? Im Gazastreifen führt, oder besser gesagt, führte bis vor kurzem Israel einen Krieg gegen die Terrororganisation und Herrscherclique über Gaza namens Hamas, in dem es keinerlei Rücksicht auf Verluste in der Zivilbevölkerung nahm. Auch Terroristen nehmen üblicherweise keinerlei Rücksicht auf Zivilisten – im Gegenteil, der ganze Sinn des Terrors ist es, Angst und Schrecken unter der vergleichsweise ungeschützten Zivilbevölkerung zu verbreiten. Bei den meisten kriegsführenden Staaten ist der Terror ein – mehr oder weniger bedauertes – Nebenprodukt ihrer militärischen Handlungen.

Dass moderne, auch westliche Staaten so etwas machen ist selbstverständlich höchst kritikwürdig. Aber unvermeidbar, wenn man dem eigenen Staat jene Allmacht gewährt, die ihm selbst die meisten Kritiker Israels, zumindest abstrakt und im Prinzip, zugestehen.

Hinzu kommt die historische Besonderheit des gegenwärtigen Stands waffentechnischer Entwicklung. Die massenmörderische Art der Kriegsführung ist nicht neu, aber als „Normalfall“ nicht die älteste. Bis zur Erfindung von Individualschusswaffen war ein Söldner ein hochqualifizierter, hoch ausgebildeter Kämpfer. Der „Rohstoff“, aus dem er stammte, die Zivilbevölkerung, war daher auch für erobernde Armeen grundsätzlich schützenswert.

Nicht jedoch seitdem es möglich ist, massenhaft Individualschusswaffen zu produzieren. Seither kann jeder Depp innerhalb weniger Wochen zur effektiven Tötungsmaschine ausgebildet werden. Seither betrachten Militärs die Zivilbevölkerung nicht mehr als wertvollen Rohstoff zur Heranbildung hochqualifizierter Kämpfer mit Hieb- und Stichwaffen, mit Pfeil und Bogen, zu Pferd oder zu Fuß, sondern als fast unerschöpfliche Quelle von niedrigwertigen Verschleißteilen. Und jetzt, da Drohnen und andere Kampfroboter ins Schlachtfeld geschickt werden, sind Menschen – die eigenen und erst recht die des Feindes – aus Sicht der Militärführung noch weniger wert.

Deshalb nehmen Streitkräfte wenig bis keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung. Schon gar nicht, wenn der Feind sie, wie in Gaza und der Ukraine geschehen, als Schutzschild missbraucht und die Leichen anschließend visuell für Propagandazwecke ausschlachtet. Nochmal schon gar nicht, wenn es aufgrund religiöser und/oder ideologischer Gründe keine Hoffnung gibt, dass aus dem dortigen „Menschenmaterial“ jemals Soldaten hervorkommen werden, die einst für die Gegenseite kämpfen werden.

Das alles mag zynisch klingen. Es ist jedoch die Realität. Wie der Chef meiner Ausbildungskompanie bei der Bundeswehr des Öfteren zu sagen pflegte: „Wir sind hier nicht im Mädchenpensionat!“ Das war vor 41 Jahren. Der Zustand der deutschen Kampfeinheiten mag sich seither in dieser Hinsicht geändert haben. Aber in vielen anderen Ländern nicht. Schon gar nicht in einem Land wie Israel, das sich seit seiner Konstituierung von erbarmungslosen, zu allem entschlossenen Feinden in nächster Nähe umgeben sieht.

Die vorangegangenen Überlegungen schließen nicht aus, dass es sowohl unter den Juden wie auch den Arabern in und um Israel Menschen gibt, die in einem Völkermord an den jeweils „anderen“ eine „Endlösung“ sehen. Entsprechende Äußerungen sind bekannt. Das hat mit den erwähnten religiösen und/oder ideologischen Gründen zu tun. 

Neben Drohnen und ähnlichen Geräten wächst derzeit eine ganz neue Waffe heran. Oder besser gesagt, eine ganz alte in technisch neuem Gewand. Militärisch hat Israel die Hamas, wenig überraschend, besiegt. Aber mit den dabei erzeugten Bildern, die ungefiltert, ohne Kontext und live übertragen sich binnen Sekundenbruchteilen in der ganzen Welt verbreiten, hat Israel eine erhebliche Niederlage an der Propagandafront erlitten. Auch einige Äußerungen israelischer Regierungspolitiker über die Zukunft Gazas und seiner Bevölkerung haben dazu beigetragen, dass weltweit der noch vorhandene gute Wille und die Unterstützung für ihr Land spürbar zurückging. Besonders dort, wo diese Unterstützung überlebenswichtig ist, nämlich in den USA. Und hier wiederum insbesondere unter Konservativen. So sehr ist die Unterstützung dort geschwunden, dass, wie es scheint, offizielle wie inoffizielle Lobbygruppen für Israel geradezu panisch, zumindest aber unüberlegt, reagieren.  

Als kleines aber bemerkenswertes Beispiel verweise ich auf eine Äußerung des israelischen Premierministers in einer Runde mit jungen Amerikanern vor etwa drei Wochen. Dort sagte Netanjahu, es gebe neuerdings im amerikanischen rechten politischen Spektrum, besonders unter jungen, christlichen Podcastern, viele, die sich von Israel abwenden. Man nenne sie die „woke right“, ein Begriff, den rechte Israelfreunde erfunden haben, um sich von rechten Kritikern des Gaza-Krieges zu distanzieren. Dann fuhr Netanjahu fort: Ein Bekannter habe ihm gegenüber gewitzelt, man nenne diese Leute auch das „woke Reich“. Aus der Runde tönt ein leises Lachen. Netanjahu nannte den Witz „genial“ – siehe Link unten.   

Wie der Premierminister mit diesem üblen Kalauer Unterstützung in den USA (zurück-) gewinnen möchte, ist sein Geheimnis. Leicht können Kritiker diesen Satz gegen Netanjahu selbst richten. Denn der jetzt am längsten dienende Premierminister Israels ist bekanntlich ein Politiker der Rechten, nämlich des Likud-Blocks. Somit könnte man ihn, mit seinen eigenen Worten als Vorlage, auf Englisch, „the leader of the Israeli Reich“ nennen – har, har, genial, Zwinkersmiley. Netanjahu machte diese Äußerung, obwohl er die Bedeutung der neuen Medien im Propagandakampf erkannt hat – ein Zeichen höchster Unruhe. Im selben Video spricht er darüber, wie wichtig es ihm ist, dass die Plattformen „TikTok“ und „X“ für Israel auf Reihe gebracht werden.

Der Kontext seiner diesbezüglichen Äußerungen ist bemerkenswert. Das Gespräch wurde am 26. September aufgezeichnet, also zwei Wochen nach dem Tod Charlie Kirks. Es fand statt inmitten herumwabernder und nicht verstummender Anschuldigungen einer Beteiligung Israels an der Ermordung dieses höchst einflussreichen Podcasters. Netanjahu sagte öffentlich und binnen Minuten nach der Meldung von Kirks Tod, mit dem jungen Amerikaner sei ein unerschütterlicher Freund und Unterstützer Israels von uns gegangen. Sehr wahrscheinlich wohl wissend, was wir jetzt alle wissen, nämlich dass Kirk wenige Wochen vor seinem Tod laut darüber nachdachte, „die pro-israelische Sache zu verlassen“, da er sich von jüdischen Spendern für sein „Turning Point USA“-Unternehmen unter immer stärkerem Druck gesetzt sah. Der Grund dafür, so der Verstorbene damals weiter, sei, dass er, ein Verfechter der freien Rede, auf seinen Veranstaltungen israelkritische, aber amerikafreundliche Stimmen und Sprecher wie Tucker Carlson, Candace Owens oder Dave Smith zugelassen hatte – Leute also, die Netanjahu der „woke right“ zuordnet.

Kirk fing darüber hinaus an, für die israelische Regierung unangenehme Fragen zu stellen wie die, warum die israelische Armee am 7. Oktober 2023 ganze sechs Stunden gebraucht habe, um auf den Angriff der Hamas zu reagieren, wo er doch selbst erlebt hatte, dass man mit dem Hubschrauber von Jerusalem gerade mal in 45 Minuten bis zum Gazastreifen fliegen kann. Oder warum überhaupt diese schärfstens bewachte Grenze durchbrochen werden konnte.

Das sind berechtige Fragen, die einer vollumfänglichen Antwort harren, da es noch keine offizielle Untersuchung über diesen Vorfall gegeben hat. Fragen, die sich der junge Amerikaner Kirk zu eigen machte, der sich autodidaktisch das Wissen der österreichischen Schule der Nationalökonomie angeeignet hatte und daher die Verschwendung von Steuergeldern regelmäßig und auf analytisch felsenfestem Boden anprangerte; der konsequenterweise den Missbrauch von Steuergeldern auch bei der Unterstützung Israels witterte; der angesichts selbst in seiner Gefolgschaft umstrittener Gaza-Einsätze zu fragen begann, ob dies wirklich im Interesse seines Landes liege.

Kirk galt als höchst einflussreicher Podcaster. Besonders junge Menschen konnte er für seine konservativen, aber auch libertären, vor allem aber christlichen Ansichten gewinnen und begeistern. Es war allgemein bekannt, dass seine Aktivitäten vor der Wahl entscheidend zum Sieg Donald Trumps beitrugen. Seine drohende Abkehr von Israel, oder zumindest seine offene Kritik an seiner Politik und seinen Militäraktionen, hätte den letzten starken Strang an Unterstützung für den Judenstaat – nämlich die republikanische Wählerbasis – ernsthaft gefährdet. Sollte sich herausstellen – und weit verbreiten –, dass die Israellobby deswegen eine Panikattacke hatte und am gewaltsamen Tod Kirks irgendwie beteiligt ist, wird es für das „einzige westliche Land“ im Nahen Osten und die „einzige Demokratie“ dort sehr eng. Mit ungeahnten, aber weitgehend unangenehmen Rückwirkungen auf den ganzen Westen.

Fest steht jedoch eines: Die Macht der neuen Medien fängt an, die Bedeutung militärischer Waffen für den Einfluss in der Welt zu überschatten.

Quelle:

Benjamin Netanjahu witzelt über „woke right“ und „woke Reich“ (Youtube)


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