21. Februar 2024 12:00

Interview mit einem Neo-Zar Carlson auf dem Kremldach

Wie man sich als Journalist von einem abgebrühten Machtpolitiker vorführen lässt

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: Frederic Legrand - COMEO / Shutterstock „Der Gute“: Hatte nach dem Interview mit Carlson gut lachen …

Darauf hat die Welt sehnsüchtig gewartet: Tucker Carlson, Spitzname Tucktuck, der fähigste alternative Journalist der Welt, interviewte den Befreier und Erlöser Taylor Swifts (des Westens), Wladimir Wladimirowitsch Putin, Spitzname „Der Gute“. Sollten Sie einen Nachweis für Tucktucks überragende Fähigkeiten verlangen, kein Problem: schon zig Millionen Views!

Bevor ich Sie mit der inhaltlichen Vakuole des Zwiegesprächs zwischen Tucktuck und dem Guten anhand zweier besonders veralteter Beispiele exemplarisch langweile: Schauen Sie sich das Interview ruhig einmal an. Es ist unfreiwillig komisch, wie ich finde. Tucktuck bemüht sich die ganze Zeit, einen total seriösen Eindruck zu machen, schaut aber drein wie ein unbedarfter Schüler, der keinen Dunst hat, was sein Lehrer ihm so alles erzählt. Der Gute dürfte sich beömmelt haben: Ein ausgebuffter, abgebrühter Neo-Zar sitzt zig Millionen Views gegenüber!

Okay, Spaß beiseite: Natürlich hat er sich innerlich zwei neue Nieren gelacht. Das war ja kinderleicht. Einem ehemaligen hochrangigen KGB-Offizier zufolge war genau das übrigens Putins Spezialität: überzeugend zu wirken. „In der Schule des KGB bringt man Ihnen bei, wie man auf Gesprächspartner einen angenehmen Eindruck macht. Putin lernte diese Kunst bis zur Perfektion. In einem kleinen Kreis von Leuten konnte er extrem charmant sein. Er konnte jeden betören. Und als Stellvertreter war er extrem effektiv. Er führte jedweden Auftrag schnell und kreativ aus, ohne sich dabei Gedanken um die Methoden zu machen“ (zitiert nach Catherine Belton, „Putin’s People“, Seite 141, meine Übersetzung, fürderhin abgekürzt als „Belton“).

Mein Urteil war nicht ganz gerecht: Eine völlige Vakuole war das Interview nicht. Der Gute hat durchaus viel geredet. Nur war das erstens alles nichts Neues. Es gab keine einzige neue, bemerkenswerte oder interessante Information, sondern er nutzte das Gespräch (oh Wunder), um seine Sicht der Geschichte durchzusetzen. Ferner muss zur „Ehrenrettung“ Tucktucks gesagt werden: Doch, er stellte immerhin eine einzige halbwegs kritische Frage. Nämlich als der Gute von den glorreichen Tagen der Zarenherrschaft erzählte (die für einen Großteil der Bevölkerung des Landes allerdings weniger glorreich ausfiel …), als Russland noch richtig groß und stark war und mit der Faust auf den geopolitischen Tisch hauen konnte! Und es ist ja bekannt, dass der Gute die Neigung besitzt, hinsichtlich seiner Herrschaftsmethodik zu diesen Zuständen zurückzukehren. Einen guten Teil dieses Weges hat er ja auch schon zurückgelegt, doch dazu komme ich noch.

Jedenfalls fragte Tucktuck nach den etwas eingefärbten historischen Ausführungen des Guten: „Was hat das mit der heutigen Situation zu tun?“ Eben. Eigentlich nicht viel. Abgesehen von Zar Wlads Großmachtambitionen. Aber, und nun komme ich zur Zarenzeit zurück: Der Gute hat mit seinen ehemaligen Buddys vom KGB, danach FSB, tatsächlich ein Regime etabliert, das man mit Fug und Recht als „zaristisch angehaucht“ bezeichnen könnte. Haben sich so gut wie alles unter den Nagel gerissen, was nach der Schluckspecht-Ära (Jelzin) noch übrigblieb, nachdem die berüchtigten „russischen Oligarchen“ sich am Leichnam des Landes unter ohrenbetäubendem Schmatzen gütlich getan hatten (Russland wurde bekanntlich von einer paradiesischen kommunistischen Planwirtschaft zuverlässig ermordet). So mancher dieser Oligarchen nutzte die Gelegenheit deshalb, weil es vorher – zu Zeiten der UdSSR – unter Strafe stand, einen Profit zu machen. Das war natürlich schrecklich böse und kapitalistisch-faschistisch. Wirft man einen Blick auf die Biographie des einen oder anderen dieser Oligarchen, stellt man fest: Meine Güte, die lebten vorher ja wirklich unter sehr unerfreulichen Umständen. „Dank“ sowjetischer „Elite“ und ihrer untauglichen Planwirtschaft. Kein Wunder also, dass sie hungrig waren und diesen Zuständen mit allen Mitteln zu entkommen versuchten, wobei eben nicht immer nur die lautersten zur Anwendung kamen.

Zu dieser Zeit – in der chaotischen Phase nach dem „Untergang“ der UdSSR (beziehungsweise der Voranstellung eines großen „E“) war es ein Leichtes für jeden halbwegs intelligenten, geschäftsorientierten Menschen, einen Jelzin zu überrumpeln und sich reichhaltig zu bedienen. Laut „alternativer“ Lesart der Geschichte soll der Gute diesem Treiben stets nur aus moralischen Gründen Einhalt geboten und diese in der Schluckspecht-Ära wie Pilze aus dem Boden schießenden russischen Oligarchen ausgebremst haben. Tut mir leid: Ist nicht ganz richtig.

Es ging – wie eigentlich immer in menschlichen Affären – um Macht. Und der Kreml unter Führung des Guten hat ganz klar und unmissverständlich gezeigt, dass der Staat das Sagen haben sollte. Putin selbst drückte es in einem Artikel aus eigener Feder folgendermaßen aus: „Es wird nicht so schnell passieren, wenn überhaupt jemals, dass Russland eine zweite Ausgabe von, sagen wir mal, der USA oder Großbritannien wird, wo liberale Werte tiefe historische Wurzeln haben. Für Russen ist ein starker Staat keine Anomalie, der man sich entledigen sollte. Ganz im Gegenteil: Sie sehen ihn als Quelle und Garantie von Ordnung sowie als Urheber und hauptsächliche Triebfeder jedweder Veränderung“ (Belton, Seite 165).

Nach und nach wurden die größten und wichtigsten russischen Konzerne, vor allem aus dem Energiesektor, unter Kremlkontrolle gestellt. So schuf der Gute mit seinen KGB-Cronies einen blühenden Stamokap (Staatsmonopolkapitalismus). Oligarchen wie Beresowski, Chodorkowski (Yukos) oder Abramowitsch (die, wie gesagt, selber keine Engel waren) bekamen die harte Hand der Neo-Zaren zu spüren. Die Methoden reichten von Einschüchterung über Erpressung bis hin zum Mord aus politischen Motiven, zudem unter Rückgriff auf das organisierte Verbrechen, mit dem der Gute zu seiner Zeit als stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg verbandelt war. Obendrein waren manche Oligarchen ursprünglich ein Produkt des Geheimdienstes: Michail Chodorkowski beispielsweise stammte aus den Reihen der kommunistischen Jugend (Komsomol) und wurde vom KGB dazu ausersehen, eine neue Generation von Unternehmern zu schaffen, die über (ebenfalls vom KGB kultivierte und kontrollierte) Firmengeflechte im Westen viel Geld für den Übergang der russischen Wirtschaft hin zu einem mehr westlich-markwirtschaftlich orientierten System beschaffen sollten. Als er sich gegen den Kreml stellte, wurde es für ihn ganz schnell unangenehm.

Bei der staatlichen Übernahme von Chodorkowskis Konzern „Yukos“ beispielsweise nutzte man einfach einen nicht ganz legalen Trick: Man wendete ein bestimmtes Steuergesetz zeitlich rückwirkend an und behauptete, Chodorkowski habe irgendwann vor x Jahren zu viele Steuern hinterzogen. Eine russische Staatsanwältin, die mit dem Fall betraut war, reichte irgendwann aus Gewissensgründen ihre Kündigung ein: Sie wollte den Missbrauch staatlicher Macht nicht mehr länger mitansehen. Sie blickte mit Sorge darauf und warnte vor der Fortsetzung solcher Verhältnisse, da sie mit einem Rechtsstaat nicht mehr viel gemein hätten. Jedenfalls wurde Chodorkowski zu acht bis neun Jahren Haft verurteilt, Yukos wurde filetiert und die leckersten Stücke wanderten an Putin-Loyalisten. Boris Beresowski sagte einmal über die postsowjetische Wirtschaft, sie würde zu 50 Prozent von einer Gruppe aus sieben Bankern kontrolliert.

In einem anderen Fall – es ging um dubiose Praktiken sowie Geldwäsche rund um eine Firma namens „Rosneft“ – sagte der ehemalige stellvertretende russische Energieminister Wladimir Milow: „Dies ist sehr charakteristisch für das derzeitige Regime. Sie arbeiten mit undurchsichtigen Systemen, bei denen Putins Männer persönlich die Nutznießer sind und das Geld unter sich aufteilen können, ohne jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen“ (Belton, Seite 349). Andrei Illarionow, der ökonomische Berater des Kreml zu dieser Zeit, der wegen dieser Vorgänge aus Protest zurücktrat, sprach mit Blick auf die Beteiligung westlicher Firmen eine Warnung aus: „Westliche Unternehmen bauen tatsächlich langfristige Beziehungen mit denjenigen Kräften in Russland auf, die die wichtigsten Säulen der modernen Zivilisation zerstören: Marktwirtschaft, Respekt vor Privateigentum, Demokratie“ (a. a. O.).

Unter den KGBlern, die sich um den Guten scharten, befanden sich auch einige der „alten Garde“, die bereits in 80er Jahren des letzten Jahrhunderts damit begonnen hatten, ausgedehnte Firmennetzwerke in westlichen Gefilden aufzubauen. Grund: Die klügeren unter ihnen wussten, dass es die UdSSR nicht mehr lange geben würde. Der Bankrott war unabwendbar, er ließ sich nicht mehr aufhalten. Also suchten sie nach Möglichkeiten, im Ausland harte Devisen zu beschaffen. Diese bereits existierenden Firmengeflechte wurden in der Amtszeit des Guten weiter „kultiviert“.

Doch warum erzähle ich Ihnen das alles? Weil der Gute in seinem Interview oder besser: seiner kleinen Zirkusnummer mit einem Pferdchen namens Tucktuck, das er mühelos durch seine Arena führte, Taylor Swift, also dem Westen, die üblichen heuchlerischen Vorwürfe machte. Nicht, dass diese völlig falsch gewesen wären. Aber sie ließen den notwendigen Blick in den Spiegel vermissen.

Ein Beispiel: Der Gute sagte, die europäische Presse stünde unter Kontrolle amerikanischer Finanzkonzerne. Erstens ist das versteinerter Kaffee. Jeder halbwegs gebildete Mensch kriegt heute angesichts der Rede von einer „freien Presse“ die Schlafkrankheit. Erst recht in Schland. Sollten Sie also demnächst mal wieder diesen Quatsch lesen, dürfen Sie so herzlich und laut lachen, dass die Trompeten von Jericho daneben wie ein fast unhörbares Hauchen klingen. Zweitens haben nicht nur Finanzkonzerne die Finger im Spiel, sondern die Weidenzaunpresse ist in den Irreführungsetagen zuweilen besetzt mit vielen Klassenstrebern diverser Denkfabriken, die in ihrem Interesse „Meinungsbildung“ betreiben – auch das sollte mittlerweile hinreichend bekannt sein. Und drittens ist der russische Mainstream auch nicht gerade der freieste der Welt. Schließlich haben der Gute und seine Schlapphüte nicht nur die größten Energie-, sondern auch Medienkonzerne sukzessive infiltriert und übernommen. Deshalb sollte Zar Wlad sich solche Vorwürfe einfach mal sparen. Als wären unter seiner Herrschaft Journalisten noch nie, naja, „verschwunden“.

Mein lieber Freund und Kupferstecher: Wer jungen Männern harte Strafen androht, weil sie keine Lust verspüren, sich zwangsweise für einen Krieg „einziehen“, sprich wie Vieh landverschicken und abknallen zu lassen, nehme bitte nicht mehr Wörter wie „Freiheit“ in den Mund und halte anderen auch keine Vorträge. Capisce? Dasselbe gilt für die Unsitte, „rechtsstaatliche“ Strafen anzudrohen wegen „Verunglimpfung der Streitkräfte“. Definitiv ein Gummiparagraph, um nach Lust und Laune jedem eine aufs Maul geben zu können, der nicht „spurt“.

Dann beglückte er Taylor Swift auch noch mit einer anderen bahnbrechenden Erkenntnis: Die Vereinigten Staaten würden nicht von ihren gewählten Amtsträgern geführt. Hab’ ich ja noch nie gehört. Du meinst also, es gäbe eine Oberschicht, eine Elite reicher und mächtiger Leute, die genug Geld haben, um die schweineteuren US-Präsidentschaftswahlkämpfe finanzieren und somit natürlich auch entscheiden zu können, wer nach oben darf? Und die in der Lage sind, über die ebenfalls ihnen gehörende Presse Kandidaten entweder für die Wählerschaft aufgeilen oder buchstäblich niederschreiben zu können? Und die das politische Spektrum von links bis rechts dadurch manipulieren können, mit viel Geld Influencer in den entsprechenden Szenen zu „Meinungsführern“ aufzubauen, sehr gerne auch im Internet? So wie es in den letzten Jahren vor allem in der „neurechten“ Szene geschah? Und wie es der Kreml übrigens auch macht – ja, auch hier in Schland? Hältst du mich für blöd?

Die USA werden also nicht von ihren gewählten Amtsträgern regiert. Ich bin beeindruckt. Hatte die Universität Princeton doch schon 2014 eine Arbeit veröffentlicht mit dem griffigen Titel: „America is an oligarchy, not a democracy anymore“ (Amerika ist eine Oligarchie, keine Demokratie mehr).

Ich kann auch gerne weiter in der Geschichte zurückgehen. Zum Beispiel als der 28. Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, bereits im Jahre 1913 schrieb: „Seit ich Politiker bin, haben mir Männer ihre Ansichten hauptsächlich privat anvertraut. Einige der größten Männer in den USA auf dem Gebiet des Handels und der Industrie haben Angst vor jemandem, haben Angst vor irgendetwas. Sie wissen, dass Amerika nicht der Ort ist, von dem gesagt werden kann – wie das früher üblich war –, hier könne ein Mann seinen eigenen Weg gehen und ihn so weit verfolgen, wie ihn seine Fähigkeiten tragen; denn heute existieren Organisationen, die, sollte er bestimmte Felder betreten, Mittel gegen ihn aufwenden werden, die ihn davon abhalten, ein Geschäft aufzuziehen, dessen Entstehung sie verhindern wollen; Organisationen, die dafür sorgen werden, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wird und die Märkte sich ihm verschließen. Denn sobald er an bestimmte Einzelhändler verkaufen wird, ja, an alle Einzelhändler, wird das Monopol sich weigern, mit diesen Geschäfte zu machen, und diese Händler werden dann aus Angst die Waren des neuen Mannes nicht kaufen“ (Woodrow Wilson, „The New Freedom. A Call for the Emancipation of the generous Energies of a People“, Chapman & Hall, London, 1913, Seite 12, meine Übersetzung).

Also erzähl mir doch mal was Neues, Wlad. Doch um Wilson weiter zu zitieren: „Eine große Industrienation wird durch ihr Kreditsystem kontrolliert. Das Wachstum der Nation und alle unsere Aktivitäten liegen daher in den Händen einiger weniger Männer, die gerade wegen ihren eigenen Beschränkungen echte wirtschaftliche Freiheit unterdrücken, kontrollieren und zerstören. Dieser Geld-Treuhandfonds oder, wie er richtiger genannt werden sollte, dieser Kredit-Treuhandfonds, mit dessen Untersuchung der Kongress begonnen hat, ist kein Mythos; er ist keine Einbildung. Manchmal kann man etwas Großes tun, wenn er nicht hinschaut, aber wenn er hinschaut, kann man nicht viel tun. Und ich habe Männer gesehen, die von ihm unter Druck gesetzt wurden; ich habe Männer gesehen, die, wie sie es selbst ausdrückten, ‚von der Wall Street aus dem Geschäft gedrängt wurden‘, weil die Wall Street sie unbequem fand und ihre Konkurrenz nicht wollte“ (a. a. O, Seite 111/112).

Merkste was, Wlad? Ich bin vor allem über den Satz gestolpert, das Wachstum der Nation liege in den Händen einiger weniger Männer, „die gerade wegen ihren eigenen Beschränkungen echte wirtschaftliche Freiheit unterdrücken, kontrollieren und zerstören“. Frag mich jetzt nicht, warum, aber irgendwie klingt das schon ein wenig nach dem System, das du und deine KGB-Kumpel etabliert haben.

Und was den ominösen „Treuhandfonds“ betrifft, von dem Wilson sprach, keine Sorge: Darüber wird der Gute Sie in seinem Interview mit Tucktuck bestimmt vollumfänglich aufklären. Ob mit oder ohne zig Millionen Views.

Bis nächste Woche.


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