Bomben auf Jugoslawien: Ein Krieg, der neue Konflikte schuf
25. Jahrestag des Nato-Angriffskrieges
Ich mag keine Staaten. Ich würde lieber in einer Welt ohne Staaten leben. Doch gleichzeitig lebe ich lieber in einer Welt mit 200 Staaten als in einer Welt mit einem Einheitsstaat oder mehreren Großreichen. Genauso geht es mir mit globalen Supermächten und dem Gerangel um territoriale Einflusssphären. Brauche ich alles nicht, doch ich muss anerkennen und akzeptieren, dass dies in der Welt, in der wir leben, Realität ist. Diese zu ignorieren, finde ich mindestens ebenso problematisch wie die Visionslosigkeit vieler Menschen, sich ein Leben außerhalb staatlicher Strukturen überhaupt vorstellen zu können.
So wie die Welt derzeit strukturiert ist, habe ich lieber Großmächte, die zueinander in Konkurrenz stehen, als eine einzige Supermacht, die sich als Weltpolizist aufspielt. Es ist für mich kein Zufall, dass es, trotz möglicher Anlässe (Stichwort: Hongkong-Grippe) zur Zeit des Kalten Krieges keine inszenierten globalen Pandemien gab. Denn was hätte man im Westen gemacht, wenn die Sowjetunion und ihre Satelliten einfach die Teilnahme verweigert hätten? Während die Polizei in West-Berlin Menschen ohne Maske aus Parks vertreibt, geht im Ostteil der Stadt das Leben ganz normal und ohne Restriktionen weiter? Das wäre mit dem Selbstverständnis des freien Westens damals doch kaum vereinbar gewesen.
Die 90er waren die Dekade, in der die USA in der Welt mehr oder weniger so frei schalten konnten, wie sie wollten. Irak, Somalia oder Bosnien fallen in dieses Jahrzehnt. Und auch der Nato-Angriffskrieg auf die Bundesrepublik Jugoslawien mit deutscher Beteiligung, dessen Beginn sich an diesem Wochenende zum 25. Mal jährt. Als Anfang der 90er Jahre der Balkan implodierte, war ich noch zu jung, um dies wirklich bewusst aufzunehmen. Der Kosovo-Krieg 1999 hingegen hat mich damals sehr beschäftigt und aufgewühlt. Und er hat mir sicher bei meiner späteren Entscheidung geholfen, mit der Bundeswehr nie etwas zu tun haben zu wollen.
Die Nato setzte in ihrer Kriegsbegründung damals das Jahr 1989 als Beginn des Konfliktes an, also das Jahr, in dem Milošević mithilfe des Parlaments in Pristina der Provinz die Autonomierechte entzog und die schon damals überwiegend von Albanern bevölkerte Region zentral aus Belgrad verwalten ließ. Dies geschah im Übrigen auf den Tag genau vor 35 Jahren am 23. März 1989. Der einseitige Verweis auf 1989 ist dabei genauso wenig redlich, wie den Beginn des Ukraine-Kriegs auf 2022 zu datieren. Ist man bei der Nato selbst so geschichtsblind oder vertraut das selbsternannte Verteidigungsbündnis auf die Geschichtsblindheit der Menschen im Westen? Der heutige Konflikt im Kosovo hat seine Ursprünge vor allem im Erstarken nationalistischer Bewegungen auf beiden Seiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und wenn es um die Durchsetzung nationalistischer Ziele ging, haben sich beide Völker, Serben und Albaner, in den vergangenen 150 Jahren nicht als Kinder von Traurigkeit erwiesen.
Dem Westen ging es 1999 nicht um den Schutz der albanischen Bevölkerungsmehrheit, die auch abseits von Konzentrationslager-Lügen, wie sie der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping auftischte, in der Tat Schikanen, Übergriffen und Vertreibungen ausgesetzt war. Der Nato ging es um eine Neuordnung des Balkans, während Russland noch am Boden lag und kurz vor dem Zweiten Tschetschenienkrieg stand. Es waren die letzten Monate von Boris Jelzin, Wladimir Putin war Premierminister. Wie vor allem das offizielle Amerika zum damaligen Zeitpunkt die Rolle Russlands einschätzte, illustriert ein Ereignis kurz nach Kriegsende. Russische Truppen, die in Bosnien stationiert waren, hatten sich auf den Weg in den Kosovo gemacht und besetzten den Flughafen von Pristina. Zumindest einen Fuß wollte Russland dann eben doch noch in der Tür haben. Nato-Oberbefehlshaber Wesley Clark ordnete damals an, die russischen Truppen notfalls mit Gewalt vom Flughafen zu vertreiben. Der britische General Mike Jackson erwiderte diesen Befehl mit dem berühmt gewordenen Satz: „Sir, ich werde nicht den Dritten Weltkrieg für Sie beginnen.“ Im selben Jahr erfolgte auch die erste Nato-Osterweiterung mit Polen, Tschechien und Ungarn als neuen Beitrittsländern.
Weniger als ein Jahr nach dem Flughafen-Vorfall wurde Wladimir Putin Präsident, der als Premierminister einer der maßgeblichen Befürworter der Besetzung des Flughafens von Pristina gewesen sein soll. Als acht Jahre später der Kosovo, unterstützt von den USA und ihren Verbündeten, entgegen allen früheren Zusicherungen aus Washington und London seine Unabhängigkeit erklärte, erhielt der Westen eine andere Antwort als neun Jahre zuvor. Sechs Monate nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo griff Putin Georgien an und erkannte seinerseits die Unabhängigkeit Süd-Ossetiens und Abchasiens an. Payback für den Kosovo. So funktioniert Geopolitik. Als libertärer Staatshasser widert mich das an. Denn Leidtragende sind bei sowas immer die Menschen. Doch man kann durchaus dieses geopolitische System ablehnen und gleichzeitig auf ungeschriebene Spielregeln in diesem System verweisen, die seit dem Ende der Sowjetunion oft einseitig gebrochen wurden. Ich bin mir jedenfalls sicher: Hätte Russland damals im Jahr 1999 der Nato die Stirn geboten und klargestellt, sein „orthodoxes Brudervolk“ um jeden Preis gegen einen Nato-Angriff zu verteidigen, hätten wir nicht nur keinen Kosovo-Krieg gesehen, sondern später auch keinen Krieg in Georgien oder der Ukraine.
Besonders armselig ist es, dass der Westen gegenüber Pristina zwar immer wieder auf die Rechte der serbischen Minderheit pocht, gleichzeitig der Regierung Kurti aber völlige Narrenfreiheit lässt. Nach den Straßenblockaden im Nordkosovo Anfang des Jahres hätte sich ein verantwortungsvoller Premierminister um Entspannung bemüht. Stattdessen kam kurz nach der friedlichen Beilegung der Krise und der gebannten Kriegsgefahr eine erneute Provokation aus Pristina. Einziges gesetzliches Zahlungsmittel im gesamten Kosovo soll ab sofort der Euro werden. Das richtet sich gegen die serbische Minderheit im Norden, wo weiterhin in Dinaren bezahlt wird.
Wären die Nato-Staaten ernsthaft an einer dauerhaften Befriedung des Kosovo interessiert gewesen, hätten sie dort ein System strikter kommunaler Selbstverwaltung eingeführt, anstatt einen zweiten albanischen Nationalstaat ins Leben zu rufen. Davon hätten auch die ganzen anderen Minderheiten im Kosovo profitiert, die in der Vergangenheit ebenfalls Opfer nationalistischer Exzesse beider Seiten wurden.
Kosovo und der vier Jahre später folgende Irak-Krieg waren für mich prägende Ereignisse meiner Jugend, ein wenig so wie Vietnam für die Generation meiner Eltern. Spätestens damals habe ich gelernt, meine Liebe für Amerika und seine Menschen nicht mit Sympathien für die amerikanische Zentralregierung zu verwechseln. Aus diesem Grund wollen bei mir auch keine rechten Sympathien für den argentinischen Präsidenten Javier Milei aufkommen, der Argentiniens Außenpolitik an den USA orientieren möchte. Bei allem Verständnis für die Begeisterung über seinen Wahlkampf und einzelne innenpolitische Reformen – die Entscheidung über Krieg und Frieden in der Welt ist keine Nebensächlichkeit, kein politisches Randthema. Und mir definitiv wichtiger als Wirtschafts- oder Finanzpolitik. Wer im Krieg stirbt, dem nützen weder Steuererleichterungen noch ausgeglichener Haushalt. Zumal es ja immer die Menschen sind, die über Steuern und Inflation für die Kriege bezahlen müssen, und der Krieg wiederum ein Treiber für beide ist.
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