THC-Obergrenzen im Straßenverkehr: Mit Gras aufs Gas
Kiffer werden weiterhin kriminalisiert
Seit zwei Wochen ist Cannabis – mit massiven Einschränkungen – in Deutschland entkriminalisiert. Das hält CDU und CSU nicht davon ab, weiter lautstark gegen das „Kiffer-Gesetz“ der Ampel mobil zu machen. Auch haben Merz und Söder bereits angekündigt, nach einem eventuellen Wahlsieg im kommenden Jahr das Gesetz wieder einzukassieren. Viel Glück damit! Die Ampel hat Fakten geschaffen, die sich Gott sei Dank nicht einfach mal so mit einem Federstrich rückgängig machen lassen. Bisher wurde Cannabis an fast keinem Ort, an dem es mal legal wurde, wieder entlegalisiert. Das autoritär geführte Thailand ist ein aktuelles Gegenbeispiel.
Das liegt auch daran, dass sich die Untergangsprophezeiungen der Prohibitionsapologeten erwartungsgemäß nirgendwo bewahrheitet haben. Das gilt auch beim Thema Unfälle im Straßenverkehr. Zwar will eine Studie der University of Illinois, Chicago, herausgefunden haben, dass es in vier von sieben US-Bundesstaaten, in denen Cannabis legalisiert wurde, danach zu zehn Prozent mehr Autounfällen gekommen sei. Doch eine Korrelation beweist noch nicht die Ursächlichkeit. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass an Orten, wo Cannabis erstmals legal wird, tatsächlich vorübergehend die Zahl der Unfälle ansteigt. Denn mit der Legalisierung kommt die bessere Verfügbarkeit und viele probieren Gras dann zum ersten Mal aus, haben aber noch keine Toleranz entwickelt und sind dann tatsächlich manchmal kognitiv so beeinträchtigt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ein Fahrzeug zu lenken.
Im vergangenen Herbst platzte dann eine kanadische Studie wie eine Bombe mitten in die deutsche Legalisierungsdebatte. Demnach haben schwere Unfälle mit Cannabis-Beteiligung in der Provinz Ontario zwischen 2010 und 2021 um 475 Prozent zugenommen. Klingt auf den ersten Blick beeindruckend und besorgniserregend. Nicht mehr ganz so sehr allerdings, wenn man sich die nackten Zahlen anschaut.
Von 947.604 Unfallopfern, die in diesem Zeitraum in die Notaufnahme gebracht wurden, war bei 426 Cannabis im Spiel. Doch was heißt das konkret?. Es heißt, dass 426 von 947.604 Unfallopfern bei ihrer Einlieferung THC im Blut hatten. Und das allein sagt erst mal nichts über ihre Fähigkeit aus, ein Auto steuern zu können. Erst seit 2018 gilt im „Wahren Norden“ ein Grenzwert von zwei Nanogramm je Milliliter Blutserum (ng/ml) für die Teilnahme am Straßenverkehr. Doch was soll dieser Wert über die Fahrtüchtigkeit verraten?
In einer „Nature“-Studie kamen australische Forscher zu dem Ergebnis, dass rund die Hälfte aller regelmäßigen Cannabis-Konsumenten nach zwölf Stunden Abstinenz noch einen Wert von fünf ng/ml aufweisen und über 80 Prozent hatten einen Wert von über zwei ng/ml. Solche Grenzwerte sind also ein Einfallstor für die weitere Kriminalisierung von Cannabis-Konsumenten, die selbstverständlich mehr als zwölf Stunden nach dem letzten Joint keine Beeinträchtigung für den Straßenverkehr darstellen.
Und selbst einen Joint zu rauchen und sich danach ans Steuer zu setzen, ist nicht per se verantwortungslos und gefährlich. Langjährige regelmäßige Konsumenten wissen in der Regel, welche Wirkung eine bestimmte Sorte Gras auf sie hat, und können ganz gut einschätzen, wie fahrtüchtig sie sind. Viele werden nach einem Sativa-Joint sogar besser und sicherer Auto fahren, da diese Sorte nicht nur die Kreativität, sondern auch die Wachsamkeit steigert. Ein indica-Joint hingegen macht eher müde und kann, wenn der THC-Gehalt recht hoch ist, auch zu Angstzuständen führen. Das Problem ist in diesem Zusammenhang die Züchtung immer hochpotenterer Pflanzen, sicher inspiriert aus den USA, die teilweise mit einem THC-Gehalt von 30 Prozent verkauft werden. Ein normaler Joint von guter Qualität hat zwischen 14 und 20 Prozent.
Im Gegensatz zum ebenfalls hochproblematischen, aber durchaus aussagekräftigeren Promillegrenzwert sind Cannabis-Grenzwerte immer willkürlich. Die von mir erwähnte australische Studie zieht dann auch folgendes Fazit: „Die Ergebnisse legen nahe, dass Blut-THC-Konzentrationen relativ schwache Indikatoren für eine aus Cannabis resultierende Fahrbeeinträchtigung sind. Die Nutzung von festgeschriebenen Grenzwerten als eine Methode, um durch Cannabis beeinträchtigte Fahrer zu identifizieren, sollte daher auf den Prüfstand gestellt werden. In der Tat scheint es ein signifikantes Risiko darzustellen, fahrtüchtige Individuen bei diesem Ansatz fälschlicherweise als durch Cannabis beeinträchtigt einzustufen.“
Vor diesem Hintergrund beeindruckt mich auch die aktuelle Debatte in Deutschland über eine Anhebung des Grenzwerts auf 3,5 ng/ml nicht. Ob wie derzeit ein ng/ml oder 3,5 ng/ml – das Problem bleibt das gleiche, nämlich dass die Mehrzahl der Cannabis-Konsumenten de facto nicht legal Auto fahren kann. Doch damit nicht genug. Die Deutsche Polizeigewerkschaft zeigt sich sogar noch entrüstet darüber, dass es keine THC-Obergrenze für Fahrradfahrer gibt. „Das hat gestandene Polizisten und Experten echt erschrocken und schockiert“, sagte der Vorsitzende der Fachkommission Verkehrssicherheit, Stefan Pfeiffer. Falls das stimmt, sagt das viel über die Denkweise von Polizisten aus.
Ob ein Cannabis-Konsument eine Beeinträchtigung für den Straßenverkehr darstellt, ist von so vielen Faktoren abhängig, denen ein Gesetz nie allen Rechnung tragen kann – Etwa, wie lange jemand schon Gras konsumiert und welche Toleranzen er bereits entwickelt hat, welche Sorte er wählt, wann er es zuletzt genommen hat, doch auch die Art der Darreichung spielt eine Rolle. Vapen und rauchen etwa führt in der Regel zu viel stabileren und berechenbareren Highs als etwa „Edibles“. Auf der anderen Seite spielt auch die Fahrerfahrung eine Rolle. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat nicht unrecht, wenn er vor Mischkonsum warnt. Tatsächlich kann der gleichzeitige Konsum von größeren Mengen Alkohol und größeren Mengen Cannabis, je nach Toleranzlevel, ziemlich unschöne Folgen haben. Daraus die Forderung nach einem absoluten Alkoholverbot für Cannabis-Konsumenten am Steuer abzuleiten, ist dann aber wieder der typische autoritäre CSU-Sound, der aus verschiedenen Gründen im Land der weiß-blauen Alkoholleichen nach wie vor so gut ankommt.
Mit einem Bluttest auf THC die Fahrtüchtigkeit bestimmen zu wollen, macht in etwa so viel Sinn, wie mit einem PCR-Test Covid nachweisen zu wollen. Statt immer neue aussagelose Grenzwerte zu definieren und fahrtüchtige Cannabis-Konsumenten damit zu kriminalisieren, wäre es gut, das neue Cannabis-Gesetz zum Anlass zu nehmen und auch im Straßenverkehr mehr auf Eigenverantwortung zu setzen. Der einzelne Cannabis-Konsument weiß meist am besten, ob er fahrtüchtig ist oder nicht. Appelle an die Vernunft helfen sicher mehr als Verbote. Doch Eigenverantwortung ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist eine konsequente Privathaftung – dabei muss freilich entscheidend bleiben, wer im Zweifel einen Unfall verschuldet hat, und nicht, welcher Unfallteilnehmer vorher einen Joint geraucht hat.
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